Historie
Der „Tunnel über der Spree“
Die vielzähligen Nachrichten über den Bau des Themse-Tunnels durch die beiden Brunels führten Anfang des 19. Jahrhunderts nach und nach dazu, den Begriff „Tunnel“ fest in der deutschen Sprache zu verankern. Zunächst wurde dieser Begriff häufig neben anderen Umschreibungen wie “Straße”, “Gang” oder “Brücke unter der Themse”, verwandt.
Wie undenkbar ein solcher Bau damals noch in Preußen schien, wird deutlich an der Gründung einer literarisch-satirischen Sonntagsgesellschaft, deren vorbereitende Sitzung am 3. Dezember 1827 in Max Gottlieb Saphirs Berliner Wohnung stattgefunden hatte. Die Sitzungen dieser Gesellschaft wurden „Tunnel“ genannt, sie fanden unabhängig von wechselnden Lokalitäten statt im „Tunnel über der Spree“. Der Name zielte natürlich auf den noch im Bau befindlichen Themse-Tunnel und so ernannte der Verein einen der Erbauer, Isambard Kingdom Brunel, zu seinem Ehrenmitglied. Dessen Dankschreiben für diese Ehre ist erhalten und lautet:
„Mr. Lewis Schneider
W 98 Französische Straße
Berlin
Sir
Ich fühle mich hochgeehrt durch den Titel eines Ehrenmitglieds der Berliner Tunnel Gesellschaft, den Sie die Güte hatten, mir zu verleihen und bedaure außerordentlich, daß es mir unmöglich war, Ihren höflichen Brief schneller zu beantworten, aber, von den Schäden noch nicht erholt, die ich vom letzten Unfall im Tunnel aushalten mußte, wurde ich vom früheren Schreiben abgehalten.
Ich bitte Sie, meine Grüße allen Mitgliedern der Gesellschaft zu übermitteln und Ihnen meinen Dank für die mir angetane Ehre zu überbringen.“
Ob Brunel ahnte, dass er Ehrenmitglied einer satirischen Gesellschaft geworden war?
Eines der berühmtesten Mitglieder dieses Berliner Literaten-Vereins war seit 1844 – der echte Tunnel war inzwischen fertiggestellt und festlich eingeweiht – Theodor Fontane, der das Bauwerk bei seinem ersten Englandaufenthalt im selben Jahr und in späteren Jahren wiederholt besuchte und darüber berichtete:
„Das erste war der Tunnel. Er bereitete mir eine große Enttäuschung. Ein so kühn gedachtes und auch ausgeführtes Unternehmen dieser unter das Flußbett getriebene Stollen war, so machte derselbe doch unmittelbar bloß den Eindruck, als schritte man durch einen etwas verlängerten Festungs-Torweg.“
Und er fährt fort:
„Großen Eindruck macht immer nur das, was einem im Moment auf die Sinne fällt, man muß die Größe direkt fühlen; ist man aber gezwungen, sich diese Größe erst herauszurechnen, kommt man erst auf Umwegen und mit Hilfe von allerlei Vorstellungen zu der Erkenntnis: ‚Jawohl, das ist eigentlich was Großes‘, so ist es um die Wirkung geschehen.“
Jahre später, 1852, nach dem zweiten Englandaufenthalt, bleibt er diesem Gedanken treu und schreibt: „Die Größe liegt nicht im Augenschein, sondern im Gedanken, in der Vorstellung, daß Dreimaster über unsern Köpfen hinweggleiten.“ Und 1856 hat ihm der Besuch einfach nur gefallen und ihn nicht zu neuen Reflexionen angeregt: „Nach Hungerford Market. Themsefahrt von dort bis zum Tunnel. Besuch desselben mit Dr. Metzel. Ueberrascht durch den außergewöhnlich freundlichen Anblick, der heut (es war Easterfair gewesen) mit grünen Guirlanden geschmückten Bogengänge.“
Während der richtige Tunnel noch heute seine Aufgabe erfüllt – dem herausragenden Ingenieur-Bauwerk wurde lange Zeit die notwendige Aufmerksamkeit vorenthalten –, war dem Verein kein so langes Leben gewährt, bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts hörten die Sitzungen auf, fast gleichzeitig wurde nun allerdings der erste Tunnel unter der Spree gegraben.