Kolumne Falk Jaeger
Deutsche Architektur ist nicht sexy
Deutschland ist Exportweltmeister. Nicht in Barrel, Tonnen oder Dollar gemessen, sondern an der Dominanz auf dem Weltmarkt. 1600 „Hidden Champions“ hierzulande hat das Handelsblatt kürzlich gezählt, meist mittelständische Firmen, die auf ihrem Spezialgebiet Weltmarktführer sind. Sie liefern Transportbänder für den Bergbau oder HIV-Diagnosegeräte, Lasertechnik oder Kunststoffdübel, Autokrane oder Büttenpapier in alle Erdteile. Und natürlich Automobile. Warum zählt die Architektur nicht dazu?
Wo es um Leistung, um messbare Werte und um die Lösung hochkomplexer Probleme geht, sind deutsche Ingenieure Weltspitze und haben sich einen entsprechenden Ruf erworben (Fehleistungen wie der Flughafen BER oder der VW-Abgasskandal haben deshalb international katastrophale Wirkung, weil sie diese deutschen Kernkompetenzen infrage stellen).
Architektur muss ebenfalls funktionieren, solide und kostengünstig sein, aber sie hat, wie die Kleidung, immer auch repräsentative Funktion. Wer sich über die Deckung von Grundbedürfnissen hinaus etwas leisten kann, stellt Status durch Kleidung und Architektur zu Schau. Oft hat der Imagefaktor sogar die größere Bedeutung.
Auf diesem Gebiet haben deutsche Architekten jedoch wenig zu bieten. Denn in der Ausbildung werden ihnen die Flausen ausgetrieben. Deutsche Hochschulen gelten als Ausbildungsstätten für solide, bodenständige Arbeit. Überflieger wie Zaha Hadid, Wolf Prix oder Bjarke Ingels sind nicht das Ausbildungsziel. Nachwuchs für das architektonische Showgeschäft kommt aus den Eliteuniversitäten mit Glamourfaktor in London, Rotterdam oder New York, wo das Starsystem schon immer systemimmanent gewesen ist – und selbstreferenziell. Die internationale Architekturpublizistik und das Ausstellungswesen leben von diesem Starsystem und befeuern es. Deutsche Architekten und ihre Werke sind nicht sexy. Sie besuchen fleißig die Biennale in Venedig, spielen aber dort keine Rolle. Sie bekommen höchst selten einen Pritzker-Preis (bislang 2 von 38). Die Welt will Koolhaas´ knallige Thesen, Prix´ flotte Sprüche und Libeskinds Wohlfühlphilosophie hören, nicht die von Selbstzweifeln umwölkte deutsche Seele, nicht Meinhard von Gerkans pessimistisch-analytischen Pragmatismus, nicht Arno Lederers tiefempfundenen Lebens- und Architekturerkenntnisse.
Deutsche Architekten haben im Ausland durchaus Erfolge aufzuweisen, dort, wo es ihnen trotz schwieriger Verhältnisse gelingt, die gewohnte Qualität zu realisieren. In China gibt es zehn Jahre alte Hochhäuser deutsche Provenienz, die dastehen wie eine eins, während die gleichaltrigen Nachbartürme nebenan schon wieder renovierungsbedürftig aussehen. Das erkennen inzwischen auch die dortigen Bauherren und bevorzugen zunehmend deutsche Architekten.
Bei Renommierprojekten gibt es hier und da Wettbewerbserfolge, mal eine Moschee in Agier, eine Nationalbibliothek in Riad, ein Parlament in Hanoi oder eine Autostadt in Peking. Mega-Flughäfen in Nah- oder Fernost, spektakuläre Museen oder kilometerhohe Wolkenkratzer sind jedoch außerhalb der Reichweiter deutscher Baukünstler. Das hängt wohl auch mit den Produktionsbedingungen zusammen, wenn internationale Bau- und Finanzierungskonzerne agieren und der Architekt nur noch als Designer und Labelträger fungiert – eine Dienstleisterfunktion, die den deutschen Architekten zuwider ist.
Lediglich die deutschen Erbauer von Stadien mit der starken Tragwerkkomponente (!) haben Weltgeltung. Deutsche Ingenieure sind ohnehin international recht gut aufgestellt, vielleicht weil sie zuverlässig im Hintergrund wirken. Sie machen die exaltierten signature buildings von Helmut Jahn, Zaha Hadid, Massimiliano Fuksas oder Coop Himmelb(l)au erst möglich und sie trimmen die spektakulärsten internationalen Stararchitekturen auf eine ökologisch verträgliche Energiebilanz. Und sie sind ebenfalls Weltmeister – im Export von Vorschriften. DIN-Normen sind in aufstrebenden Staaten der Renner. Wenn sie den Export deutscher Waren und Dienstleistungen erleichtern, ist das gewiss kein schlechter Handel.
Leserkommentare
-
Dr. Christofer Hornstein | 7. Dezember 2015
Ein Architekturkritiker und Architekturhistoriker braucht vermutlich Stararchitekten, große Namen, egomane Selbstüberschätzer, die Ihre Ufos landen lassen ohne die Landeplätze überhaupt gesehen, geschweige denn analysiert oder verstanden zu haben. Das findet er dann “sexy”, weil er über sie auf Vernissagen mit einem Piccolöchen in der Hand mehr oder weniger geistreich small talk machen kann. Für mich ist das ignorant dem Genius Loci gegenüber. Dies scheint aber für diese Grundsatzhaltung der gebauten Umwelt gegenüber irrelevant zu sein, denn den Genius Loci kreiert der Stararchitekt ja erst durch SEIN Bauwerk. Wer anders denkt und wem es zunächst einmal und vorrangig um die Schönheit des Ortes geht, denkt natürlich kleinkariert und ängstlich deutsch….