Bauprodukte digital, BIM - Building Information Modeling, Gespräch
„Immer wieder kritische Überprüfung des Bestehenden und der neuen Möglichkeiten“
Ein Gespräch mit Prof. Steffen Feirabend über den Umgang mit der Digitalisierung in der Lehre

Steffen Feirabend ist Professor für Digitales Planen und Bauen an der Hochschule für Technik Stuttgart (HFT) und Prokurist bei der Werner Sobek AG. (Foto: privat)
Herr Feirabend, verzeihen Sie die platte Frage: Kann man Digitalisierung unterrichten – und: Muss man es angesichts von einer Generation aus digital natives überhaupt noch?
Feirabend: Beide Fragen kann ich eindeutig bejahen. In der Lehre geht es um Wissensvermittlung und um die Befähigung zur Arbeit mit digitalen Werkzeugen. Unser Ziel ist es, Kompetenzen aufzubauen, damit die Studierenden ihr Wissen und ihre Fertigkeiten bewusst anwenden, um beabsichtigte Ergebnisse zu erzielen. Sicherlich ist die Generation der digital natives stärker an den Umgang mit digitalen Werkzeugen gewöhnt als wir Älteren.
Aber es geht eben nicht nur um den bloßen Umgang, ja?
Genau! Der zielgerichtete Einsatz dieser Tools in digitalen Prozessen, insbesondere bei Prozessen im Bauwesen, muss auch von der jüngeren Generation erlernt und bewusst erarbeitet werden. Diese Vermittlung ist Aufgabe von uns Lehrenden – auch wenn wir dabei natürlich ebenso immer wieder etwas Neues von der jungen Generation lernen. Beide Seiten brauchen daher Offenheit und Neugier.
Eine Frage zu dem, was einmal „Bewusstseinsarbeit“ hieß: Digitalisierung und das gemeinsame Arbeiten an einem Modell erfordern gewisse neue, offene Denkweisen, die dem Normativen des Bildungssystems (der Schein bestimmt das Bewusstsein) und auch der Denkweise einer Konkurrenzgesellschaft nicht unbedingt entsprechen. Sehen Sie hier ein Spannungsfeld und falls ja, wie begegnen Sie dem?
Das digital vernetzte Arbeiten, oft über mehrere Disziplingrenzen hinweg, fordert und fördert eine offene Denkweise. Studierende bringen diese Offenheit meistens mit. Wenn dann zusätzlich ein gewisser Wettbewerb herrscht, ist dies sicherlich auch nicht schädlich. Dabei sollte aber klar sein: Der Weg ist das Ziel. Es geht nicht darum, das eine, absolut korrekte Endergebnis zu erreichen. Viel wichtiger ist der digitale Prozess, über den das Ziel erreicht wird. Durch die intensive Auseinandersetzung mit diesem Prozess lernen die Studierenden am meisten.
Wie würden Sie den Unterschied zwischen einer Erstsemester-Veranstaltung vor 10 Jahren und heute beschreiben?
Da ich vor 10 Jahren weder Professor noch Student war, fällt es mir schwer dies konkret zu beschreiben … Ich kann aber gerne sagen, wo ich aktuell konkreten Handlungsbedarf sehe. Man sollte annehmen, dass das Erlernen digitaler Werkzeuge (Hard-/und Software) schon heute fester Bestandteil der meisten Lehrpläne für Erstsemester ist. Schließlich ist dies die Basis für das digital vernetzte Arbeiten im weiteren Studium. Die Studien- und Prüfungsordnungen der Studiengänge, in denen die Lehrpläne festgeschrieben sind, werden jedoch nicht jährlich geändert. Daher wirken sich Änderungen sehr zeitverzögert auf die Kompetenzen der Absolventen aus.
Es kommt also auch auf den Lehrkörper an …
Ganz genau, auf die einzelnen Lehrenden und ihre Methoden. Sie können (und sollten m. Es.) schon früh neue digitale Werkzeuge und Prozesse in ihre Lehrveranstaltungen aufnehmen, selbst wenn dies noch nicht im Detail im Lehrplan festgeschrieben ist. Dass dies möglich ist, habe ich selbst als Student erfahren – vor 25 Jahren habe ich im Studium bereits CAD- und Berechnungssoftware in 3D erlernt, obwohl das damals bei weitem noch nicht der Standard war.

Studierende sollten früh neue digitale Werkzeuge und Prozesse in ihren Lehrveranstaltungen erlernen. (Foto: privat)
Digitalisierung und das Interdisziplinäre: Sie bieten Veranstaltungen in Zusammenarbeit mit den Architekten an. Rücken die Berufsbilder von Ingenieur und Architekt im Zuge der Digitalisierung zusammen oder geht es eher in Richtung immer ausdifferenzierterer Spezialisierung, indem ja auch neue Berufsbilder entstehen?
Grundsätzlich denke ich, dass nur ein Team eine komplexe Bauaufgabe erfolgreich lösen kann. Dazu benötigen wir Spezialisten, aber auch Generalisten. Wichtig ist dabei, dass alle ein Verständnis und die nötige Wertschätzung für die anderen Disziplinen entwickeln. Genau dieses können wir in Projekten an den Hochschulen mit den Studierenden fächerübergreifend trainieren. So z. B. im „BIM+“ Seminar an der HFT Stuttgart. Dort arbeiten Studierende fakultätsübergreifend in Teams digital vernetzt zusammen. Diese interdisziplinären Teams bestehen jeweils aus fünf bis sechs Studierenden aus unterschiedlichen Fachdisziplinen. Jedes Team entwickelt mit der BIM-Methodik modellbasiert ein Hochbauprojekt. Die kollaborative Zusammenarbeit der beteiligten Fachdisziplinen führt über mehrere Iterationen zu einer abgestimmten Planung.
Und was sind da die konkreten Lernziele?
Die zentralen Lernziele sind hierbei zum einen die Befähigung zum kompetenten Umgang mit allen eingesetzten digitalen Werkzeugen und zum anderen die Kompetenz, diese in einem digital vernetzten Prozess kollaborativ anzuwenden – und damit ein Projekt innerhalb eines interdisziplinären Teams erfolgreich zum gewünschten Ergebnis zu führen. Darüber hinaus erlangen die Studierenden ein besseres Verständnis für die jeweiligen Sichtweisen aller beteiligten Fachdisziplinen.
Also Tellerrand-Erweiterung …
Ja, ganz klar, sie lernen so, unterschiedliche Perspektiven einzunehmen, über den besagten eigenen Tellerrand hinauszuschauen und ihr Wissen, ihre Kompetenzen und ihre Einstellungen zum Lernen und zum Arbeiten zu erweitern und zu vertiefen.
Stichwort Ökobilanz: Sie betonen die Bedeutung der Schnittstelle zwischen Planen und Bauen einerseits und FM bis Rückbau andererseits. Kann die Digitalisierung mehr zu einer echten Nachhaltigkeit beitragen als konventionelle Methoden?
Das Zukunfts-Potential, das uns die Daten für mehr Nachhaltigkeit bieten, dürfen die am Bau Beteiligten nicht unterschätzen.
In Projekten ist es wichtig, richtungsweisende Entscheidungen frühzeitig zu treffen; dabei helfen u. a. Ökobilanzierungen und Simulationen des Betriebs. Die Bauwerksdatenmodelle, die bereits im Rahmen einer Planung entstehen, verknüpft mit lebenswegbezogenen Bauproduktdaten, bilden die Basis hierfür.
Ohne Lebenszyklus-Betrachtung keine Nachhaltigkeit, ja?
Ja, ohne erstere jedenfalls nicht, wenn wir unsere gebaute Umwelt tatsächlich langfristig nachhaltig gestalten und betreiben wollen. Dann muss unser Fokus stärker als bisher auf dem gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks liegen. Betrieb, Um- und Rückbau eines Bauwerks sind mindestens ebenso wichtig für seine Nachhaltigkeit wie seine Planung und Ausführung. Dies bedingt aber die geordnete und gezielte digitale Übergabe der relevanten Daten aus Planung und Bau in den Betrieb (sprich: in das FM) und deren Pflege über viele Jahrzehnte hinweg, bis hin zum Rückbau. Nur wenn wir bzw. kommende Generationen genau wissen, welche Materialien wie und wo verarbeitet sind, ist eine zielgerichtete Rückführung aller Komponenten in Stoffkreisläufe möglich – und kann eine frühzeitige Planung künftiger Nutzungen dieses Rohstoffpotentials erfolgen.
Gibt es eine analoge Kreativität und eine digitale? Ist das trennbar? Sähen Sie noch eine Bedeutung im Zeichnen mit Papier und Bleistift?
Selbstverständlich sollte jeder zeichnen und skizzieren können. Ob dies mit Bleistift auf Papier oder digital mit Stift auf einem Tablet erfolgt, ist aus meiner Sicht zweitrangig. Bei unserer Lehrveranstaltung „Skizzieren“ im ersten Semester ist den Studierenden die Wahl des Mediums freigestellt.
Zeichnungen und reale Modelle stehen nicht mehr unbedingt im Mittelpunkt?
Von Zeichnungen und realen Modellen als alleinige Darstellungsformen des Entwerfens und Planens müssen wir uns sicherlich lösen und uns neuen digitalen Möglichkeiten öffnen. Das parametrische Entwerfen bis hin zum generative design erschließt ein neues, sehr breites Kreativitätsfeld. Dieses gilt es in Zukunft weiter auszuloten.
Gesetzt, die Grundlagen des Studiums änderten sich nun mal nicht, sind sie dann im digitalen Entwerfen und Planen aber noch von derselben Wichtigkeit, wo die Programme etwa alle zugrundeliegenden Parameter besser kennen, als ein Mensch es kann? – Von KI-Prozessen gleich ganz zu schweigen …
Die Grundlagen des Studiums bilden eine sehr wichtige Basis, um später Problemstellungen frühzeitig erkennen und lösen zu können – und um dabei gezielt bestimmte Ergebnisse erreichen zu können. Die notwendigen Werkzeuge und Prozesses hierfür ändern sich und werden zunehmend digitaler. Dies verlangt immer wieder eine kritische Überprüfung des Bestehenden und der neuen Möglichkeiten. Beide müssen gegeneinander abgewogen werden.
Also zwischen den ewigen Grundlagen und dem Digitalen tut sich was?
Es gibt in der Tat ein Spannungsfeld zwischen notwendigen Grundlagen und neuen, digitalen Inhalten – insbesondere, wenn das Studium innerhalb einer vorgegebenen Regelstudienzeit bewältigt werden soll.
Mit KI-Prozessen und den damit verbundenen Möglichkeiten werden wir uns im Bauwesen mittelfristig eingehender auseinandersetzten müssen. Ich sehe dies aber als große Chance. Ich glaube nicht, dass der Mensch als Steuerer und Entscheider so schnell „von der Maschine abgelöst“ wird. Ich teile solche Bedenken nicht. KI wird uns helfen, schnellere und bessere Entscheidungen treffen zu können, auch beim Entwerfen und Planen, Bauen und Betreiben. Letztendlich gestalten wir Menschen unsere Umwelt für Menschen. Das ist und bleibt unser Ziel, unabhängig vom Prozess.
Haben Sie Dank, Herr Feirabend, für dieses Gespräch.
Die Fragen stellte Burkhard Talebitari