Bauen digital, Interviews
„Ich sehe keinerlei Konflikte zwischen Kreativität und Digitalisierung“
Über BIM als Bewusste Infektions-Minderung und die neue Bedeutung von Webinaren und Online-Meetings – Ein Gespräch mit Andreas Kohlhaas, GSP Network GmbH. – Das Gespräch fand online statt.
Herr Kohlhaas, bricht mit COVID-19 auch in der Projektplanung die große Häuslichkeit aus?
Na klar! Alle, die bisher in internationalen Projekten gearbeitet haben, sind es gewohnt, Planungssitzungen und Datenaustausch über das Internet abzuwickeln. Ob man in den Planungsabstimmungen nun an Plänen oder viel besser an Modellen gemeinsam arbeitet, man teilt den Bildschirm und erläutert sein Thema! Irgendwann kennt man die drei oder vier gängigen Projekträume und ebenso viele Web-Konferenz-Tools und spätestes beim dritten Mal haben auch alle Headsets auf und die Technik klappt weitestgehend, sodass man sich endlich auf die Inhalte konzentrieren kann.
Ist man womöglich im Home-Office produktiver?
Klappen wird’s mit der gelebten Digitalisierung möglicherweise dann nicht, wenn bürointern noch keine Standards, Prozesse und Workflows aufgebaut wurden. Aber das ist ein altes Thema; mit BIM kommen erst recht alle organisatorischen Versäumnisse der letzten Jahre zutage, die das Management möglicherweise ausgesessen hat. Das ist auch der Grund, warum ich in BIM-Projekten darauf bestehe, dass alle Beteiligten aller Ebenen an den BIM-Kick-Offs teilnehmen oder eine BIM-Basis-Schulung absolviert haben. Wie oft wird die Chef-Sache „BIM“ zur reinen Angelegenheit der Techniker, wenn es konkret wird.
Da sehen Sie vermutlich nicht nur bei mir einen fragenden Blick …
Gut möglich (lächelt) aber: nein, ich sehe tatsächlich keinerlei Konflikt zwischen Kreativität und Digitalisierung! Und Projekte, die bisher ,gut‘ auf Zuruf funktionierten, werden sich leider mit BIM definitiv nicht umsetzen lassen, wenn man sie nicht zu einer besseren 3D-Visualisierung degradiert …
… was vor 20 Jahren auch schon möglich gewesen wäre …
Eben!
Kein Themenwechsel: Bis Leistungsphase 5 muss keiner den anderen sehen. Stimmt das so?
Ob man nun an einem großen Tisch zusammensitzt oder in einer virtuellen Konferenz, so richtig kann ich keinen Unterschied in den Sitzungsergebnissen entdecken. Stellt man der, zugegebenermaßen, häufig noch holprigen Technik und den Streaming-Abrissen, die Fahrkosten (samt CO2-Footprint) und die tote Zeit in Auto und Bahn gegenüber, sehe ich bei meiner Gesamtbewertung nur Vorteile, weniger Ärger und mehr Produktivität sowie Lebensqualität.
Aber die Beherrschung der Technik erfordert von allenVerständnis, Geduld und Experimentierfreude …
Aber ja! Und das sind doch genau die Tugenden, die wir gerade in BIM-Projekten benötigen. Digitalisierung und damit auch BIM ist leider nichts für Ungeduldige und Choleriker …
Kritisch sehe ich jedoch die schon oben erwähnten BIM-Kick-Offs, bei denen man vom Konstrukteur bis ins oberste Management hinein alle abholen und für BIM begeistern muss. Die Anforderungen an Softskills und Moderationsfähigkeiten gepaart mit Technik-Know-How stellen für mich die Königsklasse des BIM-Managements dar und entscheiden leider schon sehr frühzeitig über den Ausgang eines BIM-Projektes.
Wie sieht es da eigentlich auf den Bauämtern aus?
Die sind ein anderes Thema mit ihren föderal unterschiedlichen Bauordnungen. Die offene Frage ist, wie weit in Deutschland flächendeckend eine digitale Genehmigung durchgeführt werden kann, ohne bei dem Amt persönlich vorstellig werden zu müssen. Aber das ist kein BIM-Problem. Auch die Bauämter sind ja von Corona betroffen und müssten ihrerseits auf Home-Offices umstellen. Da kommen andere Aspekte ins Spiel, die sich mir völlig entziehen. Für die Grundlagenermittlung mit Nutzerbedarfsanalysen z. T. durch Interviews, der Erhebung von Standortfaktoren etc. muss man als Objektplaner leider auch das Haus verlassen. Wenn ich also die Leistungsphasen 0 (im Sinne der Projektsteuerung und des Stufenplans) sowie die LPh 1 einmal aus der Betrachtung herausnehme und hoffe, dass es der Notwendigkeit eines gemeinsamen Essens zum Geraderücken einer emotionalen Schieflage nicht bedarf, würde ich der bis-LPh 5-These also zustimmen.
VPN ist Mist, wenn du nur zu Hause bist. Die Umstellung auf die Homeoffice-Arbeit zu Beginn der Virus-Krise haben die meisten von uns sicherlich nicht vergessen. Was braucht es an Technik für unverminderten Workflow gegenüber dem Firmenbüro?
VPN ist nicht nur zu Hause Mist, sondern besonders auch auf Reisen. Aber die verbieten sich gerade in Zeiten des Corona-Virus. Ich habe noch nie einen, auch nur halbwegs erträglich schnellen VPN-Tunnel erlebt. Es ist sicher die schnellste und billigste Möglichkeit zur Umstellung einer zentralisierten IT-Struktur auf dezentrale Zusammenarbeit.
Wenn VPN mit Schriftstücken und Büro-Organisation also schon schwierig ist …
… wird es mit den Datenmengen, die für BIM erforderlich sind, zum qualvollen Geduldsspiel. Hier kommen drei Faktoren zusammen: die häufig immer noch fehlende Bandbreite auf der letzten Meile der Anbindung der Privathaushalte, der große Datenoverhead, den die Verschlüsselung benötigt, und die Asymmetrie der Anbindung der Privathaushalte (Uploads sind meist sechsmal langsamer als Downloads). Die Alternative in Form von Webdiensten, wie sie bei Projekträumen genutzt werden, sind aufwendig und müssen auch für den bürointernen Gebrauch eingerichtet, konfiguriert und bezahlt werden.
Stehen da nicht ein paar Gewinner der Krise bereits fest?
Und ob! Das sind die Cloud-Dienste, denen wir nicht unbedingt alle unsere Daten anvertrauen wollten. Vor ca. zwei Jahren wurden alle Web-Server auf sichere SSH-Verschlüsselung umgestellt. Ob diese nun so sicher sind und keine Abhör-Hintertürchen haben, sei mal so als Frage in den Raum gestellt; schneller als VPN sind sie in jedem Fall.
Alle, die jetzt zu Hause mit Modellen arbeiten, haben sicher mittlerweile die 4K-Bildschirme vom gewohnten Arbeitsplatz auf ihren privaten Schreibtisch gestellt und der große Blechkasten steht unter dem Tisch. Trotzdem stellt sich, ob zu Hause oder im Büro, häufiger mal die Frage, in wieweit BIM nur mit ‚Doppelhäusern‘ oder auch in großen Projekten funktioniert. Eigentlich hat schon jeder in Realprojekten die Erfahrung machen müssen, dass sich nicht alles darstellen lässt, weil die Dateien zu groß und der Arbeitsspeicher zu klein sind. Wenn man dieses Problem durch ein paar RAM-Riegel mehr meint in Griff zu bekommen, wird die Freude häufig auch nicht von langer Dauer sein …
Sind wir da an den Grenzen der Software-Lösungen im Bauwesen?
Ein Problem besteht darin, dass diese Lösungen bis auf ganz wenige Ausnahmen die Modelldaten komplett im Arbeitsspeicher halten – ein Defizit, das in den Softwarelösungen des Maschinenbaus bereits vor Jahren angegangen wurde. Schon vor 30 Jahren konnte man Raffinerien und Schiffe mit 700 km Verrohrung modellieren! Haben wir eine Art Rebound-Effekt in der Software-Entwicklung? Aber das ist wieder ein anderes Thema …
Werden wir auch am Bau mit neuen Erfahrungen aus der Krise wieder in das gesellschaftliche Leben zurückkommen.
Sicherlich. Web-Konferenzen, Online-Schulungen und Cloud-Dienste werden ihren festen Platz im täglichen Alltag auch kleiner Planungsbüros haben. Vielleicht haben sich Besprechungen an Koordinationsmodellen etabliert und sind nicht mehr wegzudenken. Vielleicht werden auch viele Geschäftsreisen nicht mehr so wichtig sein und die Zusammenarbeit auch über Entfernungen zu einem gemeinsamen Erlebnis, das verbindet.
Alles Weitere dazu findet man unter https://www.GSP-Network.com
Lesen Sie Teil zwei des Gesprächs in einer Woche hier.