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Karl Bernhard. Ein vergessener Meister der Ingenieurbaukunst

Karl Bernhard

Karl Bernhard (Quelle: [Baer, 1929, S. 794])

Er studierte an der TH Hannover Bauingenieurwesen, legte die Regierungsbaumeisterprüfung ab, wirkte von 1894 bis 1896 als Bauleiter der Oberbaum-Brücke in Berlin, habilitierte sich mit Unterstützung von Heinrich Müller-Breslau kurz darauf an der TH Charlottenburg, hielt dort Vorlesungen über Eisenbau, begründete das größte Bauingenieurbüro Berlins und entwarf zahlreiche Brücken- und Industriebauten aus Stahl, stritt für eine eigenständige Ingenieurästhetik und kritisierte die Giebelfassade von Peter Behrens‘ Turbinenhalle an der Huttenstraße in Berlin-Moabit und publizierte in zahlreichen Fachzeitschriften. Endlich wird einer der bedeutendsten Beratenden Bauingenieure Berlins im ersten Viertel des vorigen Jahrhunderts – Karl Bernhard (1859-1937) – mit einer Ausstellung geehrt (Bilder 1 und 2). Der Ausstellungsort ist die Galerie „Goldbergkunst“ im mecklenburgischen Goldberg, der Geburtsstadt Bernhards. Die Ausstellungsmacher möchten „einen kleinen Beitrag dazu leisten, Karl Bernhard aus der Vergessenheit zu holen, in die er als Jude während der 30er Jahre in Deutschland gestoßen wurde“. Das ist ihnen vortrefflich gelungen.

Ausstellungsplakat Karl Bernhard

Plakat zur Ausstellung (Quelle: Goldbergkunst)

Der Fotokünstler Gerhard Stromberg von der Galerie „Goldbergkunst“ setzte mit Unterstützung der Stadt Goldberg, dem Landkreis Ludwigslust-Parchim, der Familie Rudolph und „Antik Lübz Kai Hohlfeld“ die Lebensstationen Karl Bernhards gekonnt ins Bild. Dabei kann sein Œuvre nur exemplarisch gezeigt und erwähnt werden: Ofenhaus der Gasanstalt in Stockholm (1897), AEG-Turbinenhalle in Berlin-Moabit (1909-11), Deutsche Kraftmaschinenhalle auf der Brüsseler Weltausstellung (1910), Dieselmaschinenfabrik in Glasgow (1913), Lokomotivwerkstätten der Linke-Hofmann-Lauchhammer AG in Breslau (1916-18), Bürohaus des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes in Berlin (1922/23) und zahlreiche Brücken.

Für das Elektrizitätswerk in Straßbourg (1909) setzte Bernhard erstmals Vollwandbinder ein: „Der offen gezeigte Vollwandbinder wird bei Industriehallen zu einem Markenzeichen von Karl Bernhard“ [Prokop, 2012, S. 245]. Diese Tragwerksinnovation Bernhards findet sich auch bei der AEG-Montagehalle für Großmaschinen in Berlin-Wedding (1911-12) wieder (Bild 3), deren Tragsystem aber nicht von Bernhard, sondern von den Ingenieuren Redlich & Krämer stammt. Der Grund, weshalb Behrens das genannte Ingenieurbüro bevorzugte ist möglicherweise in der Differenz mit Bernhard über dessen streitbar vertretenen Anspruch nach einer autonomen Ingenieurästhetik zu suchen, die allein auf der Kunst des Konstruierens des Ingenieurs basiert. Die Weddinger Halle wird seit Juli 2003 als Versuchshalle vom Institut für Bauingenieurwesen der TU Berlin und der Materialprüfungsanstalt Berlin/Brandenburg genutzt. Seit dieser Zeit ist sie als Peter-Behrens-Halle bekannt: Sie ist heute Genius loci der Bauingenieurwissenschaften in Berlin, wo sich alljährlich das Institut für Bauingenieurwesen zur „Langen Nacht der Wissenschaften“ der Öffentlickeit auf spektakuläre Weise präsentiert. Bernhard als Meister der Beratenden Bauingenieure im Berlin der Hochindustrialisierung blieb bis heute eine weitgehend unbekannte Größe. So symbolisiert Bernhard das Verschwinden des Ingenieurs, gegen das Werner Lorenz in seinem Karlsruher Festvortrag aus Anlass des 35-jährigen Bestehens der Ingenieurgruppe Bauen am 16. Februar 2001 so trefflich redete.

Versuchshalle des Instituts für Bauingenieurwesen der TU Berlin

Versuchshalle des Instituts für Bauingenieurwesen der TU Berlin (Quelle: Rolf Wens i.A. der TU Berlin)

Auch Bernhards Veröffentlichungen verdienen eine Aufarbeitung durch die Historiographie der Bautechnik. Insbesondere in der Zeitschrift des Vereins Deutscher Ingenieure (ZVDI) meldete sich Bernhard nicht nur zu Fragen des Industrie- und Brückenbaus, sondern auch zu gesellschaftlichen Problemen des Bauens engagiert zu Wort. Über Bernhards Auffassung zur Ingenieurbaukunst schrieb Werner Lorenz 1997 in seinem Aufsatz „200 Jahre eisernes Berlin“: „Die von Bernhard vertretene radikale Position des autonomen und auch für die Ästhetik allein zuständigen Bauingenieurs, gepaart mit hohem Engagement und sicherer fachlicher Kompetenz, ist ein Modell, mit dem Berlins Eisenbau über Deutschlands Grenzen hinaus neuerlich Beachtung und Anerkennung erlangen kann“.

Die Ausstellung arbeitet auch Facetten dieser außergewöhnlichen Ingenieurpersönlichkeit heraus, die bislang auch Kennern verborgen waren. So arbeitete er unentgeltlich Planungsunterlagen für ein Brückenbauwerk in Goldberg aus und verdoppelte den Stipendienfond seines Vaters für bedürftige Goldberger.

Bislang erfuhren Werk und Wirkung von Karl Bernhard in der von Werner Lorenz betreuten Diplomarbeit von Elmo Brink, den Aufsätzen von Cengiz Dicleli sowie Hinweisen von Werner Lorenz, Ines Prokop und des Verfassers in ihren einschlägigen Publikationen eine Würdigung. Aber all das reicht nicht hin, um dieser Ingenieurpersönlichkeit annähernd gerecht zu werden. So ist die Ausstellung in Goldberg ein wichtiger Schritt, die Öffentlichkeit auf Karl Bernhard und sein Schaffen aufmerksam zu machen.

Die Ausstellung wurde am 4. Juli 2015 eröffnet und kann bis zum 6. September 2015 Mittwoch bis Sonntag und an Feiertagen von 15 bis 18 Uhr (oder nach Vereinbarung) besucht werden. Der Ort der Ausstellung ist die Galerie Goldbergkunst in der Langen Straße 90, der Hauptstraße der beschaulichen Stadt Goldberg. Ein Besuch dieser Ausstellung lohnt sich allemal, zumal unweit das Kloster Dobbertin am gleichnamigen See situiert ist – ein poetischer Ort par excellence.

Literatur:

Baer: Karl Bernhard zu seinem 70. Geburtstag. Der Bauingenieur 10 (1929), H. 45, S. 794-795.

Brink, Elmo: Karl Bernhard (1859-ca. 1937) – Tragwerksplaner im Industrie- und Brückenbau. Diplomarbeit am Lehrstuhl für Bautechnikgeschichte der BTU Cottbus. Cottbus: BTU Cottbus 1999 (unveröff. Manuskript).

Dicleli, Cengiz: Karl Bernhard. Die Durchdringung von Kunst und Technik. deutsche bauzeitung 134 (2000), H. 6, S. 116-120.

Dicleli, Cengiz: Der Bauingenieur Karl Bernhard. Erbauer der AEG-Turbinenhalle. Bautechnik 87 (2010), H. 4, S. 220-228.

Kurrer, Karl-Eugen: Geschichte der Baustatik. Berlin: Ernst & Sohn 2002, S. 397-398.

Kurrer, Karl-Eugen: August Hertwigs Lebenserinnerungen (1947): Rechenschaftsbericht einer konservativen Ingenieurpersönlichkeit zwischen Scylla und Charybdis zweier Weltkriege. In: Technik und Verantwortung im Nationalsozialismus, hrsgn. v. Werner Lorenz u. Torsten Meyer, S. 109-142. Münster: Waxmann Verlag 2004, hier S. 116.

Lorenz, Werner: 200 Jahre eisernes Berlin. Stahlbau 66 (1997), H. 6, S. 291-310, hier S. 305-307.

Prokop, Ines: Vom Eisenbau zum Stahlbau. Tragwerke und ihre Protagonisten in Berlin 1850-1925. Berlin: Mensch und Buch Verlag 2012, hier S. 241-245 u. S. 351-356.

Autor dieses Beitrages:

Dr.-Ing. Karl-Eugen Kurrer, Wilhelm Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Rotherstr. 21, 10245 Berlin

Chefredakteur „Stahlbau“, Editor-in-chief „Steel Construction – Design and Research

Leserkommentare

  1. Holger Svensson | 15. Juli 2015

    Ein sehr interessanter Artikel. Könnte man die Ausstellung auch nach Berlin holen?

  2. Breidenbach | 9. März 2016

    Das kann ich nur wiederholen! Es wäre schön, diese Ausstellung auch in Berlin zu sehen!

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Datum 15. Juli 2015
Autor Karl-Eugen Kurrer
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