Kolumne Reinhard Hübsch
“jedes jahr ein neues chicago”
eben hatte er im „Falcon Crest“, einem appartment-hochhaus inmitten des ehemaligen textilindustrie-reviers von mumbai, gehört, wie man dort mit dem konversionsgelände umgehen will, da wurde der stuttgarter prof. werner sobek gefragt, wie er denn auf die präsentation reagiere. „fast schon mit verzweiflung“, so sobek, „weil man nicht mehr weiß, mit welchen werkzeugen man die hier entstehenden probleme lösen soll.“ wenig später, nach einem vortrag über die entwicklung eines anderen quartiers, nämlich des rund sieben hektar großen bhendi bazaar im süden der indischen 20-millionen-metropole, prophezeite der stuttgarter architekt und bauingenieur „ein furchtbares scheitern“. wiederum einen tag später konstatierte der basler prof. harry gugger konsterniert, dass das, was er während einer exkursion in der mega-city gesehen hat, „ein relativ schreckliches bild abgibt“. sobek wie auch gugger waren nicht die einzigen, die mit verstörung zur kenntnis nehmen mussten, wie sich auf dem indischen subkontinent architektur und stadtplanung entwickeln. zahllose teilnehmer des symposiums „economy of sustainable construction“, zu dem die holcim foundation aus zürich expertern aus 60 nationen eingeladen hatte, zeigten sich geradezu bestürzt über die drohenden fehlentwicklungen, die sich protoypisch am bhendi bazaar illustrieren lassen.
dort, auf einem etwa 350 meter langen und 175 meter breiten areal, leben derzeit rund 15.000 menschen, und zwar in überwiegend drei- bis fünfstöckigen gebäuden, von denen nicht wenige aus dem 19. jahrhundert stammen. ihre bauliche, ihre hygienische situation ist mit „problematisch“ noch reichlich euphemistisch beschrieben; die situation erinnert – wenn denn solche vergleiche zulässig sind – etwa an den zustand des berliner quartiers SO36 in den 70er jahren, das dann im rahmen der IBA alt saniert wurde. im kiez von mumbai verdienen sich in den erdgeschossen kleinhändler ihr geld, sei es mit dem verkauf von lebensmitteln oder elektro-artikeln, mit textilien oder uhren, mit kleinen reparaturen, über den ladengeschäften und werkstätten wohnen ihre familien. autos haben auf den engen straßen kaum eine chance, fußgänger, fahrräder und laut hupende mopeds und motorräder dominieren.
das alles will der sich gemeinnützig gebende „Saifee Burhani Upliftment Trust“ (SBUT) abräumen lassen, wie orgelpfeifen sollen von süd nach nord 17 hochhäuser entstehen, wobei das religiöse zentrum der Dawoodi Bohra Community den ausgangspunkt bildet. für die bauarbeiten werden die dort lebenden familien in eine komplett möblierte hochhaussiedlung umgesiedelt, nach abschluss der bauarbeiten können sie in ihr altes quartier zurückkehren.
dort erwarten sie dann breite, autogerechte straßen, die drei ersten geschosse der hochhäuser sind ladengeschäften und malls vorbehalten, darüber residieren büros, banken, hotels und 3.200 wohnungen. platz für rund 20.000 menschen, so der investor – die alte sozialstruktur wird hier allerdings gar nicht fuß fassen können.
das ohnehin hochverdichte quartier wird weiter verdichtet, doch es wird nicht saniert, es wird „dubaiisiert und shanghaiisiert“, wie es später bei der plenumsdebatte des kongresses heißen wird. während in den industrialisierten ländern angesichts ökologischer probleme und eines notwendigen schwenks in der energiepolitik nicht-fossile energieträger verstärkt zum einsatz kommen, betreten die planer in mumbai die alten, ausgetretenen trampelpfade der klimatisierung der hochbauten und damit jene energiepolitik, die man in europa und in den usa gerade verlassen will. der investor in indien rühmt sich, man werde mit der anpflanzung von 700 bäumen und einer regenwasser-rückgewinnungsanlage ökologische maßstäbe setzen; die 700 bäume werden den anfallenden co2-tsunami in kaum nennenswertem maß aufnehmen können, und regen fällt hier nur in den monsun-monaten juli und august, von oktober bis april zählt die statistik für mumbai insgesamt neun regentage. während hier am arabischen meer selbst in den wintermonaten noch temperaturen von 29 grad erreicht werden können, haben die planer aber weder an geothermie noch an solaranlagen oder photovoltaik gedacht.
welche emissionen von solchen quartieren ausgehen werden, das lässt sich schnell ausrechnen, die erhöhten abgas-volumina des zunehmenden individualverkehrs sind da noch gar nicht einberechnet. und während man in europäischen metropolen das komplette ausradieren eines stadtteils zum anlass genommen hätte, unterirdische nahverkehrs-stationen einzurichten, denkt man in mumbai in anderen dimensionen – da werden gerade die betonpfeiler für eine neue monorail errichtet. nur: bhendi bazaar wird vorerst nicht angefahren.
bhendi bazaar ist kein einzelfall – „indien braucht bis zum jahr 2030 jedes jahr eine stadt von der größe chicagos“, frohlockte der sprecher vom SBUP. so wird nicht nur mumbai, sondern demnächst auch etwa new delhi und kalkutta zu den dubais, shanghais oder chicagos asiens transformiert – mit all den problemen, die sich abzeichnen und, nebenbei, mit gigantischen renditen für die investoren. SBUP renommiert damit, dass man ein non-profit-unternehmen sei, doch die gottesmänner streichen, wie hinter den kulissen zu hören war, einen gewinn ein, der dem investierten kapital und damit einer überirdirschen profitrate sehr nahe kommt.
dass die experten aus aller welt sich in mumbai beim kongreß, der sich übrigens überwiegend auf dem gelände des IIT-campus traf, besorgt zeigten, ist da verständlich. doch obwohl das indische menetekel bereits grausam genug ist, so muss man doch darauf hinweisen, dass von den entwicklungen in den anderen schwellenländern wie brasilien und russland noch gar nicht gesprochen wurde, von der sich explosionsartig vollziehenden urbanisierung chinas ebenso wenig wie von der irgendwann einsetzenden entwicklung auf dem afrikanischen kontinent.
der klimawandel, so prof. hansjuerg leibundgut aus zürich am rande der beratungen in mumbai, hat bereits nicht mehr rückholbare schäden angerichtet. angesichts der prognosen, die man mit den kennziffern aus mumbai nun wagen kann, wird sich die lage weiter verschärfen. wer bislang prophetien belächelte, wonach berlin alsbald angesichts schmelzender polkappen zur hafen- und küstenstadt werde wird, der wird nun bestenfalls sarkasmus zeigen. und mit sarkasmus können wohl auch nur jene szenarien kommentiert werden, von denen prof. leibundgut berichtete. wenn die wasserstände weiter steigen, dann könnte man etwa für new york so hohe betonwände errichten, daß die stadt selbst 40 meter unter dem meeresspiegel liegen kann. sollte aber der fall eintreten, daß die gesamte menschheit evakuiert werden müßte, liegen auch dafür pläne in den schubladen der untergangs-propheten. wenn zu diesem zeitpunkt etwa acht milliarden menschen den erdball bevölkern, so könnten die am küstenstreifen rund um afrika umgesiedelt werden – der stadt-streifen würde dann nur 50 bis 80 kilometer in den kontinent hineinragen. wenn das keine gute nachrichten sind!
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Holcim-Forum (Seite in englischer Sprache)