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Projekte

Nicht nach Schema F

Die Hilfsorganisation Ingenieure ohne Grenzen ist weltweit engagiert und baut zusammen mit der Bevölkerung in Entwicklungsländern zum Beispiel Brücken oder Wasser- und Energieversorgungen. Aber wie schafft man bei solchen Projekten eine genaue Planung und Qualitätssicherung?

Wie beginnt ein Projekt?
Ingenieure ohne Grenzen will die Lebenssituation von Menschen immer konkret und dauerhaft verbessern. Nur das rechtfertigt die Durchführung eines Projektes, nicht etwa der Wunsch, technische Lösungen in scheinbar „unterentwickelte“ Regionen dieser Welt zu bringen. Projektideen entstehen daher oft durch persönliche Kontakte und Erfahrungen.

Wasserspeicher

Wasserspeicher (Foto: Ingenieure ohne Grenzen)

So hat sich zum Beispiel aus dem Hinweis eines Kollegen auf die Partnerschaft des ev.-luth. Kirchenkreises Hannover-Linden mit einer Gemeinde in Simbabwe eine Zusammenarbeit ergeben. Ziel ist die Verbesserung der Wasserversorgung für Bevölkerung, öffentliche Einrichtungen und Landwirtschaft durch die Nutzung von Wasser von einem nahegelegenen Damm und die Sanierung des Leitungssystems.

Eine Idee nimmt Form an – die Erkundungsreise
Anfangs benötigt man viele Informationen zur Situation vor Ort. Neben geografischen Randbedingungen, der Verfügbarkeit von Material und der Verbreitung verschiedener Technologien sind auch kulturelle, religiöse und gesellschaftliche Aspekte wichtig.
Vieles davon lässt sich nur persönlich klären.
Vor der weiteren Planung findet daher eine Erkundungsreise statt, um das Projektgebiet kennenzulernen und Kontakte z.B. zu Entscheidungsträgern und Zulieferern zu knüpfen. In einem internen Erkundungsantrag werden die geplanten Schritte dokumentiert – neben dem Zusammenstellen konkreter Informationen (z. B. Materialpreise oder Bodenproben) auch die Kostenplanung und Finanzierung der Erkundung.

Projektleiterin Yvonne Schneider über die Erkundungsreise nach Simbabwe:

„In Begleitung unserer kirchlichen Partner verbrachten wir drei Wochen in Familien, bei denen kein sauberes, warmes Wasser aus der Dusche kommt und jeder Schluck Wasser zuerst abgekocht oder gefiltert werden muss.
In dieser Zeit versuchten wir in zahlreichen Gesprächen so viele Informationen zu sammeln wie möglich. Es dauerte etwas, die informellen Entscheidungsstrukturen vor Ort zu verstehen. Wir erkundeten das Projektgebiet, Wasserressourcen und Transportwege, vermaßen das Gelände, dokumentierten die Wasseraufbereitung, die verfügbare Technik und die Wasserverteilung.

Schwierig war der Wasserverbrauch abzuschätzen, da Wasserzähler fehlen. Improvisation war gefragt – wir versuchten, einige Familien dazu zu bringen, ihren Verbrauch in Eimern pro Tag zu dokumentieren, denn mit der üblichen Angabe „nicht besonders viel“ lässt sich kein Speicher bemessen. Jeden Abend schrieben wir Tagesberichte und kurze Rückmeldungen per SMS an die Projektkoordination in Berlin.
Auf unsere Initiative bildeten sich in zwei Orten Wasserkomitees, mit denen wir Probleme, Wünsche und Möglichkeiten besprachen. Diese Gruppen organisieren selbstständig Treffen, entwickeln gemeinsam Projektideen weiter und planen die Beschaffung von Informationen oder den Behördenkontakte. Ein wichtiger Schritt ist damit bereits erreicht: Es wird ein Projekt der Bevölkerung, um das sie sich selbst kümmert.“

Nägel mit Köpfen – Projektplanung und Durchführung

Schema des Projektablaufs

Schema des Projektablaufs (Grafik: Ingenieure ohne Grenzen)

Nach der Erkundung sind folgende Fragen zu beantworten: Ist das Projekt vor Ort wirklich nötig? Welches Problem soll wie behoben werden? Wie gut sind die Erfolgsaussichten beim geplanten Projektumfang?

„Wir erleben, dass insbesondere die Festlegung der konkreten Projektinhalte jeweils in Absprache mit der weit entfernten Zielgruppe eine langwierige Sache sein kann, denn schließlich muss aus den vielen Optionen und unter Berücksichtigung vielfältiger Interessen ausgewählt werden.“

Die Projektplanung geschieht mit etablierten Technologien und Bemessungsregeln aus Deutschland, Erfahrungen anderer Organisationen und eigener Projekte. Im Vordergrund steht eine robuste und individuelle Lösung, die lokale Verfügbarkeit des Materials und eine einfache Bedienung und Wartung.

Außerdem gehört zu den Grundsätzen die Einbindung eines lokalen Partners, der z. B. Bauüberwachung, Behördengänge und Verwaltung der Gelder übernimmt und das Projekt so langfristig vor Ort verankert.

Für die Finanzierung gilt: Investitionen werden durch Spenden oder über Stiftungen und Ministerien bestritten. Laufende Kosten sollen dagegen vor Ort aufgebracht werden, z. B. durch Einführung eines „Wassergeldes“ für die Bewohner.
Beim Bau der Anlagen sind dann Mitglieder der Ingenieure ohne Grenzen für einige Wochen vor Ort, begleiten die Bauarbeiten und bilden spätere Nutzer aus.

Dokumentation und Evaluierung

Am Ende jedes Projekts steht ein Abschlussbericht, der Arbeiten und Kosten dokumentiert und die Fortführung des Projektes durch den Partner erklärt.

„Wirksame Unterstützung heißt, dass ein Projekt erst dann erfolgreich abgeschlossen ist, wenn es die Menschen vor Ort selbständig weiterführen können – Hilfe zur Selbsthilfe.“

Nach fünf Jahren wird der Projekterfolg evaluiert. Bei einem erneuten Besuch im Projektgebiet werden der Anlagenzustand, die Nutzung sowie die Verankerung und Weiterentwicklung des Know-hows bewertet. Dadurch werden nicht nur eventuelle Korrekturen und weitere Unterstützung möglich, sondern auch die Nutzung der Erfahrungen in nachfolgenden Projekten.

Weitere Informationen:
www.ingenieure-ohne-grenzen.org

Datum 19. November 2012
Autor Yvonne Schneider, Christian Koll
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