Historie, Personalien
Zum 200. Geburtstag von Jacques Antoine Charles Bresse
Jacques Antoine Charles Bresse erblickte am 9. Oktober 1822 in Vienne, Isère/Frankreich das Licht der Welt. Nach dem Studium an der École Polytechnique und der École des Ponts et Chaussées wirkte Bresse als Assistent für Angewandte Mechanik bei Jean-Baptiste-Charles-Joseph Bélanger (1790-1874) an der École des Ponts et Chaussées und avancierte 1853 zu dessen Nachfolger. Ein Jahr später veröffentlichte Bresse die erste Monographie zur elastischen Bogentheorie [Bresse, 1854]. Das genannte Buch ist eine wesentliche Erweiterung von Naviers Ansätzen: Formulierung des Konzeptes des Kerns eines Querschnitts, Berücksichtigung der Dehnsteifigkeit und der Temperaturverformungen. In klarer Weise arbeitete Bresse das Superpositionsprinzip heraus und wies auf, dass es nur für Hookesche Körper mit kleinen Verschiebungen gültig ist. Damit leistete Bresse neben Winkler den wichtigsten Beitrag zur Durchsetzung der elastischen Bogentheorie bei der Analyse von Gewölben in der Etablierungsphase der Baustatik.
Sein zweibändiges Werk Cours de mécanique appliquée, das drei Auflagen erlebte (1859, 1860, 1866, 1868, 1879, 1880) ist eine umfassende und eigenständige Darstellung der Technischen Mechanik, die Weisbachs Mechanik an wissenschaftlicher Originalität weit übertrifft. So enthält der erste Band der 1. Auflage (1859) eine umfassende Theorie der Durchlaufträger, der Bögen und des Erddrucks; dort entwickelt Bresse auch die Grundlagen der Theorie des schubweichen Balkens – allerdings ohne das Konzept der Schubkorrektur (vgl. [Gade et al., 2021] u. [Elishakoff, 2020]).
1871 wechselte Bresse auf die Mechanikprofessur an der École Polytechnique und drei Jahre später von dort wieder zurück an die École des Ponts et Chaussées.
Die Beiträge von Bresse zur Baustatik stehen für das hohe Niveau der französischen Bauingenieurwissenschaften im Übergang von der Etablierungs- zur Vollendungsphase der Baustatik. Für seine wissenschaftlichen Arbeiten zeichnete ihn die Académie des Sciences 1873 mit dem Poncelet-Preis aus; 1880 wurde Bresse Mitglied der Académie des Sciences.
Am 22. Mai 1883 schloss Jacques Antoine Charles Bresse für immer die Augen. Über den vier Hauptbögen des 1889 fertiggestellten Eiffelturms ließ der Namensgeber als Hommage an den Triumph der verwissenschaftlichten Technik die Nachnamen von 72 Natur- und Technikwissenschaftlern, Ingenieuren und Unternehmern in 72 Tafeln aus Eisenguß verewigen: darunter findet sich auch Jacques Antoine Charles Bresse.
Wesentliche Beiträge zur Baustatik:
Études théoriques sur la résistance des arcs employés dans les ponts en fonte ou en bois [1848]
Recherches analytiques sur la flexion et la résistance des pièces courbées [1854]
Cours de mécanique appliquée. T. 1: Résistance des matériaux et stabilité des constructions [1859, 1866, 1880]
Calculs des moments de flexion dans une poutre à plusieurs travées solidaires [1864]
Zum Weiterlesen:
Kurrer, Karl-Eugen: The History of the Theory of Structures. Searching for Equilibrium. Berlin: Ernst & Sohn 2018. https://www.ernst-und-sohn.de/the-history-of-the-theory-of-structures
Elishakoff, Isaac: Who developed the so-called Timoshenko beam theory? Mathematics and Mechanics, 2020, Vol. 25(1), pp. 97-116, https://doi.org/10.1177/1081286519856931.
Gade, Jan, Tkachuk, Anton, von Scheven, Malte, Bischoff, Manfred: A continuum-mechanical theory of redundancy in elastostatic structures. International Journal of Solids and Structures, 2021, Vols. 226–227, 110977, https://doi.org/10.1016/j.ijsolstr.2021.01.022.