Bauwerksgeburtstag
110 Jahre Glienicker Brücke
Wir schreiben den 10. Februar des Jahres 1962. Der Morgen ist eisig und dunkel. Nur das Licht der Laternen schneidet sich durch den Nebel über der Havel. Gespannt warten alle Beteiligten auf das, was sich in den folgenden Minuten an diesem Ort abspielen wird. „Was meinen Sie, wird zuhause passieren?“, fragt der New Yorker Anwalt Donovan seinen sowjetischen Schützling Abel, den er heute zum letzten Mal sehen wird. „Ich werde wohl einen Vodka trinken“, erwidert dieser. Mit jenen Worten, entnommen aus dem US-amerikanisch-deutschem Spielfilm „Bridge of Spies“ von Steven Spielberg, schreiten die beiden weiter – weiter auf dem Bauwerk, welches aufgrund folgenden Ereignisses in die deutsche Geschichte als überaus bedeutsam eingehen wird. Die Brücke wird an jenem Morgen des Jahres 1962 Schauplatz des ersten durchgeführten Agentenaustausches zwischen der Sowjetunion und den USA.
Nun jährt sich, zum 110. Male, der Bau dieser Brücke, die nicht nur aufgrund der drei spektakulär durchgeführten Agentenaustausche während des Kalten Krieges, sondern auch ihrer faszinierenden Geschichte eines der symbolträchtigsten Bauwerke Deutschlands darstellt: Sie ist wohl die einzige Brücke, deren westliche Hälfte sich 40 Jahre lang in der DDR, im Osten Potsdams, und östliche Seite im Westen Berlins, der Bundesrepublik, befand.
Der Ursprung der Glienicker Brücke führt bis ins 17. Jahrhundert zurück: Sie wurde aufgrund mangelnder Tragfähigkeit mehrmals abgerissen und erneuert, sowie im Jahre 1945 durch eine Sprengung teilweise zerstört. Während der Zeit des Kalten Krieges galt sie als Symbol der deutschen Teilung, wurde jedoch nach dem Mauerfall schon bald als „Brücke der Einheit“ bezeichnet. Heute erinnert die unter Denkmalschutz stehende Stahlkonstruktion zwar an diese Ereignisse der deutschen Geschichte, stellt aber mit ihrer Erhaltung ein Symbol der Wiedervereinigung Deutschlands dar.
Die Glienicker Brücke, gelegen an der Bundesstraße 1, verbindet die Städte Berlin und Potsdam über die Havel. Ihren Namen erhielt sie von dem zu Potsdam gehörenden, um 1375 erstmals urkundlich erwähnten, Gutsbezirk Klein Glienicke, welcher sich nord-östlich der Stadt erstreckt. Mit der Ernennung Potsdams zur Residenzstadt, nahm der Pendler- sowie Handelsverkehr zu, weshalb neue Wege und Brücken gebaut werden mussten. Die erste errichtete Glienicker Brücke, erbaut vermutlich zwischen 1660 und 1683, war eine schlichte Holzkonstruktion, die bereits eine gemauerte Uferbrüstung und einen aufklappbaren Schiffsdurchlass in ihrer Mitte enthielt. Im Jahre 1777 wurde sie aufgrund starker Verwitterung und mangelnder Tragfähigkeit durch einen neuen Holzbau ersetzt. Die nachfolgende dritte Glienicker Brücke, diesmal eine massive Steinkonstruktion, wurde nach dem Entwurf Karl Friedrich Schinkels nach dreijähriger Bauzeit eröffnet. Der Bau bestand aus zehn gemauerten Bögen; die elfte und mittlere Öffnung verfügte über hölzerne Zugklappen. Aufgrund des zunehmenden Verkehrsaufkommens und der daraus resultierenden Belastung wurde 1905 mit dem Abriss der unter Schinkels Entwurf errichteten Steinkonstruktion sowie mit der Planung einer neuen, tragfähigeren Brücke begonnen.
Die vierte Glienicker Brücke wurde aus Stahl gefertigt. Somit war sie preiswerter als eine Steinbrücke und konnte überdies für größere Spannweiten eingesetzt werden. Nach einem Wettbewerb wurde die Duisburger Brückenbauanstalt Harkort mit dem Entwurf und der Konstruktion des Baus beauftragt. Bauherr war die preußische Wasserbauverwaltung. Das Material der alten Brücke, deren Abriss mit zweimonatiger Verspätung im Dezember 1906 beendet war, wurde größtenteils sowohl wiederverwendet als auch verkauft, um die Kosten für den Neubau so gering wie möglich zu halten. Nachdem die Arbeiten an den vier Pfeilern abgeschlossen war, konnte im April des Jahres 1907 mit der Montage des Stahlüberbaus begonnen werden. Nach dessen Fertigstellung am 30. Juli und zahlreichen Nacharbeitungen wurde die neue Glienicker Brücke am 16. November 1907 eröffnet.
Die bis heute erhaltene Fachwerkbrücke aus Stahl fügt sich aufgrund des verwendeten hellgrünen Anstrichs passend in die ländliche Umgebung ein. Durch ihre geschwungene Form, resultierend aus der Parabelträgerkonstruktion, und der wenigen mit Stein verkleideten Stützen, die ins Wasser reichen, vermittelt sie eine elegante Leichtigkeit. Die drei großen Durchfahrten für den Schiffsverkehr, zwei äußere mit jeweils rund 26 Metern und eine mittlere mit rund 70 Metern, unterstreichen diesen Aspekt. Auf der Potsdamer Seite wird die Zufahrt der Brücke mittels zwei aus Sandstein errichteten Kolonnaden mit neubarockem Schmuck und auf den Säulen angebrachten Figuren eingeleitet. Die Stahlkonstruktion weist eine Gesamtlänge von 148 m auf und verfügt über eine 11 m breite Verkehrsfläche für Autos und Fahrräder. Die Passanten dürfen einen, jeweils zu beiden Seiten gelegenen, drei Meter breiten Fußgängerweg genießen.
Das Tragwerk der Fachwerkbrücke wurde in der Zeitschrift „Stahlbau“ von Volker Wetzk in seinem Beitrag mit dem Titel „Vor 50 Jahren Wiedereröffnung der Glienicker Brücke“ ausführlich beschrieben. Das System besteht aus aufgelösten Balken, wobei die Hauptträger auf den vier Stützen stehen. Zur Querstabilisierung des Überbaus dienen zwei Rundbögen, die durch ihre horizontale Anordnung die gedrückten Obergurte stabilisieren und dem seitlichen Ausweichen entgegenwirken. „[…] Die einzelnen Bauteile der Brücke bestehen aus genieteten Blechen und Winkelprofilen, deren Querschnitt entsprechend den Beanspruchungen variiert. […]“, heißt es in Wetzks Artikel.
Nachdem die Stahlbrücke den Großangriff der Royal Air Force Ende des Zweiten Weltkrieges, am 14. April des Jahres 1945, unbeschadet überstanden hatte, wurde sie jedoch rund eine Woche später schwer beschädigt. Als sich am 29. April die Wehrmacht von Potsdam nach Wannsee zurückzog, zerstörte sie mit zwei Sprengungen das Werk teilweise: Die Enden beider, aus der Sprengung resultierenden, geteilten Brückenelemente fielen in die Havel und machten die Brücke somit für den weiteren Verkehr untauglich.
Da die Glienicker Brücke eine bedeutende Verbindung zwischen Berlin und Potsdam darstellte, wurde schon Ende des Jahres 1945 mit dem Wiederaufbau unter der Leitung von Dr.-Ing. Hans Dehnert begonnen. Die Firmen Siemens-Bauunion, Krupp-Druckenmüller und Beuchelt & Co. hatten jeweils unterschiedliche Schwerpunkte beim Wiederaufbau der Brücke. So war Beuchelt & Co. für die Brückenhebung zuständig. Bevor mit dem Heben begonnen werden konnte, musste zunächst das Eigengewicht der Brücke reduziert werden. Nach einer Minderung von rund 1300 t durch Abriss sowie Reduktion der Fahrbahnbreite und beider Gehwege wurde zuerst der westlich eingestürzte Teil gehoben. Die Hebung und Positionierung des Ostteils unterlag weitaus größeren Schwierigkeiten, da hier die Sprengung enorme Zerstörungen hinterlassen hatte. Im Wesentlichen bestanden die arbeitsintensiven Maßnahmen zum Wiederaufbau der Brücke aus der Reparatur beschädigter und dem Ersatz zerstörter Bauteile. Eine besondere Herausforderung bestand in der Wiederherstellung verbogener sowie gebeulter Elemente vor Ort, da diese zum Bearbeiten erhitzt werden mussten. Am 19. Dezember des Jahres 1949 konnte die Glienicke Brücke schlussendlich wieder in Betrieb genommen werden. Als Resultat des Wiederaufbaus wurde die Fahrbahnbreite von ursprünglichen 13 m auf 11 m reduziert.
Die Inanspruchnahme der Brücke währte nicht lange, denn mit der Gründung der beiden deutschen Staaten, kurz nach Eröffnung des Baus, wurde bereits am 26. Mai des Jahres 1952 der Brückenverkehr von der DDR eingeschränkt. Des Weiteren durften mit dem Mauerbau rund elf Jahre später einzig die Alliierten die Brücke passieren. Die Grenze beider Staaten verlief in Brückenmitte, weshalb sie damals ein Symbol der deutschen Teilung darstellte. Seit der Grenzöffnung im Jahre 1989 ist die „Brücke der Einheit“ wieder für den allgemeinen, öffentlichen Verkehr zugänglich.
Die vierte, bis heute erhaltene Glienicker Brücke zwischen Berlin und Potsdam stellt mehr als nur eine schlichte Konstruktion zum Zwecke der Verkehrsanbindung dar. Mit ihrer beeindruckenden Geschichte und dem heutigen Zustand steht sie als Symbol der deutschen Wiedervereinigung.
Leserkommentare
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Daniel | 17. November 2017
Sehr guter Artikel! Vieles war mir garnicht bekannt :)