Bauwerksgeburtstag
170 Jahre Thames Tunnel in London
Schon 1799 versuchte der Ingenieur Ralph Dodd (ca. 1756-1822) einen Tunnel unter der Themse zu bauen, um die Docks in Gravesend und Tilbury zu verbinden, was jedoch nicht gelang. Ein weiterer Versuch wurde 1805 bis 1809 mit dem Thames Archway-Projekt zwischen Rotherhithe und Wapping/Limehouse unternommen. Bei dem Projekt versuchten Bergbau-Arbeiter aus Cornwall, darunter auch Bergbauingenieur Richard Trevithick (1771-1833), mit ihnen bekannten Methoden, den Tunnel auszuheben. In dem Pilottunnel mit einem maximalen Querschnitt von 0,9 mal 1,5 Metern gab es zwei schwere Wassereinbrüche. Beim zweiten wäre Trevithick beinahe ertrunken. Zwar war der Stollen bereits 312 Meter lang – von 366 geplanten – und war als Entwässerung für den eigentlichen Tunnel gedacht, aber das Projekt wurde trotzdem nicht fertiggestellt. Danach herrschte in Tunnelbaukreisen die Meinung vor, dass es ein Ding der Unmöglichkeit wäre, einen Tunnel unter einem Gewässer zu bauen.
Brunels Tunnelschild
Marc Isambard Brunel (1769-1849) weigerte sich diese Ansicht zu akzeptieren und sollte sie schließlich auch wiederlegen. Der Weg dahin war allerdings langwierig und schwierig. Bereits 1806 stellte er in London eine Erfindung vor, die es ermöglichen sollte, einen Tunnel im Schutze eines Schildes auszubrechen. Dieses erste Patent bestand aus einem kreisrunden Kastenschild, der in verschiedene Zellen unterteilt war. In jeder dieser Zellen konnte ein Arbeiter dann manuell seinen Teil des Tunnelquerschnitts ausbrechen. Während der Ausbruch selbst so noch nicht maschinell erfolgte, wäre dieser Schild immerhin mit hydraulischen Pressen vorgeschoben worden. Allerdings kam dieses Patent selbst nicht direkt zum Einsatz: Brunel hatte damit einen Tunnel für eine Newaquerung in Sankt Petersburg vorgeschlagen, es wurde jedoch eine Hängebrücke ausgeführt.
1818 erfand Brunel einen weiteren Tunnelschild, den er zusammen mit Thomas Cochrane (1755-1860) patentierte, jedoch vollkommen anders konstruiert war. Dieser ebenfalls kreisförmige Schild war als Schraube konzipiert und hätte einen komplett geschlossenen Schildmantel gehabt. Auch diese Erfindung kam nicht zum Einsatz kann aber als konzeptioneller Vorläufer heutiger Erddruckschilde gesehen werden.
Im Jahre 1823 war Brunel dann soweit und präsentierte ein Tunnelprojekt zwischen Rotherhithe und Wapping, das mit seinem Tunnelschild erbaut werden sollte. Tatsächlich fand er Investoren – darunter auch den Duke of Wellington (1769-1852) – mit deren Geldern 1824 dann die Thames Tunnel Company gegründet wurde. Der Bau des Themsetunnels begann dann schließlich im Februar 1825. Als erstes wurde 46 Meter vom Südufer der Themse entfernt in Rotherhithe ein Schacht ausgehoben. Dabei wurde ein Eisenring von 15 Metern Durchmesser auf dem Boden aufgelegt und darauf eine 12 Meter hohe und 91 cm dicke Mauerwerkswand errichtet wurde. Darüber thronte eine Dampfmaschine, die Pumpen antrieb. Insgesamt mag die Anlage 1000 Tonnen gewogen haben. Die Arbeiter entfernten den Boden unter dem scharfkantigen Ring händisch und die Gerätschaft sank sukzessive unter ihrem Eigengewicht tiefer in den Boden ein. Problematisch war dabei die senkrechte Ringwand, die zwischendurch an der parallelen Erdfläche hängen blieb. Mit 50.000 Ziegeln konnte der Erddruck schließlich überwunden werden. Jahre später beim Aushub des Schaftes am Nordufer in Wapping wurde das gleiche Konzept verwendet, jedoch mit einer leicht nach innen geneigten Ringwand, die sich nicht mehr an der Erde rieb. Der erste Schaft wurde bereits im November 1825 fertiggestellt und der eigentliche Tunnelaushub begann kurz danach.
Der eiserne Schild, der beim Bau zum Einsatz kam, wurde im Schacht montiert und war allerdings rechteckig. Er bestand aus 36 Zellen, die wie im ersten Patent jeweils für einen Arbeiter gedacht waren. Der Schild bot auf allen erdseitigen Flächen Schutz und stützte sich auf die bereits fertiggestellte Tunnelauskleidung ab. Jede Zelle stützte in Vortriebsrichtung mithilfe mehrerer horizontaler Bretter die Erde ab, und jede dieser Zellen stützte sich wiederum gegen den Schild. Ein Arbeiter musste jeweils ein Brett entfernen, die Erde dahinter bis zu einer bestimmte Tiefe ausheben, und dann das Brett wieder einbauen, um die Fläche abzusichern. Nach Aushub der kompletten Fläche konnte der Schild mit Schraubwinden schließlich vorgeschoben werden während dahinter die Tunnelauskleidung aus Mauerwerk erfolgte, worauf sich der Schild dann abstützte.
Wassereintritt konnte der Schild nicht vollständig verhindern, was schnell problematisch wurde, das es sich meist um unreine Abwässer handelte, die viele Arbeiter krank machten. Der erste Bauleiter, William Armstrong, fiel im April 1826 wegen Krankheit aus und wurde durch Brunels Sohn, Isambard Kingdom Brunel (1806-1859) ersetzt, der damals erst 20 Jahre alt war. Der Tunnelvortrieb erwies sich als schwierig und langwierig und betrug nur etwa 3 bis 4 Meter pro Woche. Um trotzdem ein Einkommen zu generieren, wurden Baustellenführungen für einen Schilling angeboten. Pro Tag sollen 600 bis 800 Schaulustige die Gelegenheit genutzt haben.
Der Vortrieb erwies sich auch als gefährlich: Am 18. Mai 1827, bei einer Länge von 167 Metern, lief der Tunnel plötzlich mit Wasser voll. Isambard Kingdom Brunel ließ mithilfe einer Taucherglocke das Loch in der Tunneldecke mit Säcken voller Ton reparieren. Nach Abpumpen des Wassers veranstalte er im Tunnel ein Bankett.
Am 12. Januar 1828 gab es einen erneuten Wassereintritt. Der eigentliche Notausgang war immer verschlossen, was den Arbeitern auch bekannt war. Sechs von ihnen ertranken daher bei dem Versuch stattdessen die Haupttreppe zu erreichen. Isambard Kingdom Brunel versuchte jedoch über den Notausgang zu entkommen, der jedoch von außen von einem Arbeiter erst eingeschlagen werden musste. Er konnte den bereits bewußtlosen Brunel dann aus dem Wasser bergen. Dieser wurde danach in die Nähe Bristol geschickt, um sich von dem Vorfall zu erholen. Dort erfuhr er dann von dem Wettbewerb zur Brücke in Clifton, die eines seiner Meisterwerke werden sollte.
Im August 1828 zwangen finanzielle Probleme dann eine Unterbrechung der Arbeiten. Der Tunnel wurde hinter dem Schild zugemauert; die Baustelle ruhte sieben Jahre lang.
Zweiter Versuch
Im Dezember 1834 hatte Marc Isambard Brunel dann wieder ausreichend Kapital zugesagt bekommen, um den Tunnel weiterzubauen. Ab August 1835 wurde der erste, inzwischen angerostete Schild abmontiert und entfernt. Bis März 1836 wurde ein neuer, verbesserter und schwererer Schild eingebaut, mit dem der Vortrieb weiterging. Weitere Wassereintritte (am 23. August 1837, 3. November 1837, 20. März 1838 und 3. April 1840) sowie Brände und Gaslecks machten der Baustelle schwer zu schaffen. So dauert der weitere Vortrieb insgesamt fünfeinhalb Jahre bis im November 1841 dann die volle Länge erreicht wurde. Die Londoner Gesellschaft verspottet Brunel und sein Tunnelprojekt in dieser Zeit gerne und war wenig optimistisch, was die Fertigstellung anging. Nach Beendigung des Tunnelvortriebes wurde die Beleuchtung installiert, die Schächte mit Treppen ausgestattet und ein Maschinenhaus in Rotherhithe zur Tunnelentwässerung errichtet. Vor 170 Jahren, am 25. März 1843 konnte der Tunnel dann endlich eröffnet werden.
Der Tunnelbau war ein finanzieller Kraftakt. Die Kosten lagen bei 454.000 Pfund für den Rohbau und weiteren 180.000 Pfund für die Ausstattung. Der Tunnel konnte auch nur von Fußgängern genutzt werden – Zufahrten für Pferdewagen wären noch viel teurer gewesen. Bei Touristen war der Tunnel anfangs jedoch eine abenteuerliche Attraktion. Bis zu zwei Millionen Menschen pro Jahr passierten den Tunnel gegen Bezahlung eines Penny.
Umbau zum Eisenbahntunnel
Die East London Railway kaufte den Investoren im September 1865 den Tunnel ab, um ihn für den Eisenbahnverkehr zu nutzen. Der Querschnitt war großzügig genug, um Eisenbahnen aufzunehmen. Der erste Zug passierte den Tunnel am 7. Dezember 1869. Die Eingangsschächte wurden 1884 dann auch in Haltestellen umgebaut. Die East London Railway ging später in der London Underground auf, wobei der Tunnel 20 Jahre vor der ersten U-Bahn-Linie gebaut worden war und damit zu dessen ältestem Bauwerk wurde. Als Teil der Underground, diente der Tunnel der East London Line. Ab 1995 wurde der Tunnel jedoch für Sanierungsarbeiten geschlossen, ohne zu wissen ob die Reparaturen erfolgreich sein und eine Wiedereröffnung ermöglichen würden. Unzählige Lecks wurden mit Spritzbeton abgedichtet, was jedoch die ursprüngliche Auskleidung komplett verbarg. Aus Gründen des Denkmalschutzes wurde an beiden Enden des Tunnels allerdings die ursprüngliche Auskleidung erhalten. Der Tunnel wurde 1998 wieder eröffnet.
Am 23. Dezember 2007 wurde der Tunnel erneut geschlossen, um die Gleisanlagen umbauen zu können. Der U-Bahn-Betrieb wurde dabei durch eine neue Regionalstrecke der London Overground ersetzt. Seit dem 27. April 2010 ist der Tunnel wieder in Betrieb.
Der Bau des Thames Tunnel hat insbesondere durch das damit erfolgreich demonstrierte Bauverfahren per Schildvortrieb den Tunnelbau nachhaltig verändert. Flussunterfahrungen gehören heute zum Alltag und sind quasi selbstverständlich. Der Aushub erfolgte beim Thames Tunnel noch manuell, aber das Grundkonzept des Schildes wird immer noch bei den heutigen Schildmaschinen und Tunnelbohrmaschinen verwendet.
Weitere Informationen zum Thames Tunnel finden Sie auf Structurae.