Bauwerksgeburtstag
88 Jahre Chrysler Building
Am 19. September des Jahres 1928 wurde der Grundstein für eines der mittlerweile berühmtesten sowie immer noch elegantesten Gebäude der Welt gelegt: Angefertigt in dem detailreichen Art-Déco-Stil, gilt es mit seinem herausstechenden Stahldach als ein architektonisches Meisterwerk und ist aus der Skyline New York Citys nicht mehr wegzudenken. Wie der Architekt jenes Bauwerkes, William Van Alen, einst so schön sagte „Ich möchte Originale entwerfen und nicht von Objekten, welche bereits entworfen wurden, beeinflusst werden“ („I wish to do things original and not be misled by a lot of things that are being done by somebody else“ [1]), zeichnet sich die Architektur durch Originalität sowie Perfektion aus.
Nun jährt sich zum 88. Mal die Fertigstellung dieses ebenso in Höhe beachtlichen Gebäudes: Es überholte im Jahre 1930 den Eiffelturm in Paris und trug anschließend für elf Monate den Titel des weltweit höchsten Bauwerkes, bis dieser Rekord von dem heute wohl bekanntesten Wahrzeichen New Yorks, dem Empire State Building, bei dessen Fertigstellung eingestellt wurde.
Das Chrysler Building, gelegen an der nordöstlichen Ecke der Lexington Avenue und 42. Straße in Midtown Manhattan, gilt jedoch bis zum heutigen Tage mit seinen rund vier Millionen Ziegelsteinen als das höchste Ziegelsteingebäude der Welt. Es entstand zu jener Zeit, die nicht nur als das “Golden Age” der Automobilindustrie gilt, sondern ebenso als eine Epoche, in welcher allerorts die Errichtung hoher Gebäude zur Erreichung maximaler Profite angestrebt wurde.
Der Ursprung des Bauwerkes führt bis zum Jahre 1921 zurück: Dort beschloss der Immobilienunternehmer und ehemalige Senator der Stadt New York, William Henry Reynolds, das höchste Gebäude der Welt bauen zu lassen. Als das Bauvorhaben Reynolds jedoch zu teuer wurde, übergab er das Projekt im Jahre 1928 an keinen anderen als den Begründer der Chrysler Corporation und international angesehenen US-amerikanischen Automobil-Pionier Walter Percy Chrysler. Wie schon Reynolds, strebte auch Chrysler nach der in die Höhe ragenden Bauweise: Er wollte als Zeichen seines geschäftlichen Erfolges einen in Material sowie Höhe außergewöhnlichen Wolkenkratzer errichten lassen. So sollte „[…] ein Gebäude [errichtet werden], welches den Himmel nicht nur kratzt sondern durchsticht“ („A building which would not merely scrape the sky but positively pierce it […]“ [2]).
Den neuen Entwurf und die Konstruktion dieses angestrebten weltweit höchsten Bauwerkes sollte der bereits von Reynolds eingestellte US-amerikanische Architekt William Van Alen übernehmen. Entgegen der ursprünglichen Planung einer unter anderem stumpfen Gebäudespitze aus Kupfer, Glas sowie Terrakotta, erhielt Van Alen den Auftrag, eine geradlinige Spitze aus rostfreiem Stahl zu entwerfen.
Mit dem Bau des Chrysler Buildings nahmen Chrysler und Van Alen an dem damaligen weltweit laufenden Wettbewerb „Tallest Building in the World“ teil und es begann alsbald ein spannendes Rennen zwischen jenem Ziegelgebäude und der Bank of Manhattan, heute bekannt als 40 Wall Street. Obgleich es für Außenstehende bis kurz vor Wettbewerbsende so schien, als sei der Gewinner nicht das geplante Bauwerk des Architekten Van Alen, übertrumpfte dieses dennoch schlussendlich mittels eines Tricks seinen Konkurrenten.
Van Alen, geboren 1883 in dem New Yorker Stadtteil Brooklyn, erlangte internationalen Ruhm durch den Bau des Chrysler Buildings. Er arbeitete schon früh an seiner Karriere: Bereits im Alter von 28 Jahren machte er sich, zusammen mit dem US-amerikanischen Architekten Harold Craig Severance, in New York City mit einem eigenen Architekturbüro selbstständig. Im Laufe der Zeit entwickelte Van Alen, anders als sein Geschäftspartner, eine stetig wachsende Begeisterung für das Neue sowie Experimentelle und er entfernte sich immer weiter von dem Beaux-Arts-Stil, welcher im Gegensatz zur Moderne steht. Er erforschte Konstruktionsmethoden und begann, mit Materialien zu arbeiten, die in Kombination bislang kaum Verwendung gefunden hatten. So waren seine Entwürfe zunehmend von Stahl im Zusammenspiel mit Stein geprägt und er kam beispielsweise zu der Erkenntnis, dass für die Tragfähigkeit eines Gebäudes kein großer Steinsockel mehr benötigt werde, sondern durchaus ein Stahlskelett ausreiche. Aufgrund der unterschiedlichen Entwicklungen der beiden Architekten, kam es nach nahezu fünfzehn Jahren zu einem Streit, woraufhin sie ihre Zusammenarbeit beendeten und getrennte Wege gingen.
Doch sie sollten sich wiedersehen: In den späten 1920ern begegneten sich die Architekten bei dem Wettbewerb um den Bau des höchsten Gebäudes der Welt. Während Van Alen hierbei den Bau des Chrysler Buildings anstrebte, wurde das Konkurrenzbauwerk, die Bank of Manhattan, von seinem ehemaligen Geschäftspartner Severance geplant. Mit einer Gebäudehöhe von 283 m schien es bis kurz vor Schluss eindeutig, dass der Entwurf der heutigen 40 Wall Street das Rennen gegen das laut Entwurf nur 263 m hohe Chrysler Building gewinnen würde.
Doch es sollte anders kommen. Van Alen hatte die Spitze seines Bauwerkes heimlich in dessen Inneren, genauer gesagt in einem Aufzugsschacht, konstruieren und installieren lassen. Die Überraschung war groß, als dem Chrysler Building, eine Woche nach Fertigstellung der Bank of Manhattan, bei seiner feierlichen Einweihung am 28. Mai 1930, seine 56 m hohe Stahlspitze in nur 90 Minuten aufgesetzt wurde. Mit dieser nun beeindruckenden Gesamthöhe von 319 m gewann es den Wettbewerb und erhielt den Titel des höchsten Gebäudes der Welt.
Das als privates Bürogebäude genutzte, rund 62 m lange und 61 m breite Chrysler Building in Midtown Manhattan hebt sich aufgrund seines zugespitzten, detailreichen Daches von den umliegenden Wolkenkratzern ab. Es besteht aus abgestuften Türmen, wobei sich der Wolkenkratzer in grob drei Teile gliedern lässt: Bis zum 31. Stockwerk setzt es sich aus mehreren Abstufungen zusammen, gefolgt von einem geradlinigen Turm, der bis nahezu unter das Dach führt, sowie nach weiteren kleineren Abstufungen von dem beeindruckenden Stahldach samt Spitze. Das Gebäude zählt insgesamt 77 Stockwerke, wobei die oberste Etage auf einer Höhe von 274 m liegt. Die dreigeschossige Eingangshalle, kann von den Straßen Lexington Avenue, 42nd Street sowie 43rd Street betreten werden.
Das Tragsystem wurde aus einem biegesteifen Stahlrahmen angefertigt, wohingegen sich die nicht tragende Fassade überwiegend aus hellgrauem Mauerwerk mit einer teilweise auftretenden Edelstahlverkleidung zusammensetzt. An ausgewählten Stellen weisen die Ziegelsteine jedoch ein dunkles Grau auf, um die Horizontalität der Fensterreihen zu unterstreichen. Mittels hervorspringenden vertikalen Steinreihen, die als Kühlerhauben um einige Fenster herum konzipiert sind, wird dem Gebäude eine Leichtigkeit sowie Schmalheit verliehen. Alle Ziegel wurden von den Bauarbeitern manuell und in einer unglaublichen Geschwindigkeit – durchschnittlich schafften sie wohl vier Stockwerke pro Woche – verlegt, weshalb das Chrysler Building das erste über 300 m handgefertigte Bauwerk darstellt. Insgesamt beinhaltet das Gebäude etwa viertausend Fenster und für den Bau wurden rund 400.000 Nieten sowie 21.000 t Stahl verwendet; alle Stahlbauteile sind aus dem gleichen rostfreien Stahl wie ein Automobilkühler angefertigt. Das Bauwerk wurde im Jahre 1996 restauriert und erstrahlt seither wieder wie in den 1930er-Jahren.
Eine Besonderheit des Wolkenkratzers stellen die zahlreichen Zierelemente an der Außenfassade dar: Es lassen sich an den unteren Abstufungen des Bauwerkes aus Ziegelsteinen geformte Kreismuster erkennen, welche die von Chrysler angefertigten Radkappen seiner Automobile symbolisieren. An den Ecken des 31. Stockwerkes befinden sich des Weiteren Skulpturen in Form von Chrysler-Kühlerhauben und 30 Stockwerke darüber die wohl bekanntesten Zierelemente der Außenfassade: Eine Reihe von in Edelstahl gefertigte Wasserspeiern, zu Englisch Gargoyles, in Form von amerikanischen Adlern, die wachsam über die Stadt schauen.
Das Chrysler Building wird mit einem Dach gekrönt, welches sich aus rostfreiem Chromnickelstahl, zahlreichen Kacheln sowie Nickeltafeln zusammensetzt und sich in sieben Bögen pyramidengleich in den Himmel verjüngt. Diese Bögen bilden in ihrer Ganzheit ein Kreuzgewölbe, das aus sieben konzentrischen Einzelteilen besteht, welche mit Rücksprüngen terrassenförmig hintereinander angeordnet sind. In der Architektur wird diese Anordnung auch als Sunburst-Design bezeichnet, das vor allem in dem Art-Déco-Stil Verwendung findet. Ein Sunburst, zu Deutsch Sonnendurchbruch, bezeichnet eine kreis- oder teilweise auch halbkreisförmige Strahlenreihe, welche sich wie Sonnenstrahlen von einer fiktiven Mitte entfernt. Traditionelle Motive zeigen eine Verengung der Strahlen, je weiter diese von dem Zentrum abkommen. Hiervon abgeleitet, entstanden die Dreiecksformen auf dem Dach des Chrysler Buildings, welche gerippte und vernietete, vermutlich noch originale, Schiebefenster sind, die sich in allen Stockwerken öffnen lassen. Die einst vor der Öffentlichkeit verborgene, in den Himmel ragende Spitze des Bauwerkes bildet eine 27 t schwere Nickelstahlnadel. In der Nacht stellt das Dach des Wolkenkratzers ein für die Skyline New York Citys unverwechselbares sowie einzigartiges Merkmal dar: Mit seiner aus Leuchtstofflampen bestehenden Beleuchtung, angebracht an den Fensterrahmen, erstrahlen die Dreiecke der Kuppel jede Nacht für die Bewohner der Stadt.
Der für Besucher einzig zugängliche Raum des Gebäudes, die dreieckige Eingangshalle, ist ein im Art-Déco-Stil prunkvoll angelegter Empfangsbereich mit sienafarbenem Marmorboden sowie roten, marokkanischen Wandverkleidungen aus Marmor, welche mit Elementen aus dem pechschwarzen Stein Onyx, blauem Marmor und Stahl verziert sind. Der Künstler Edward Trumbull schmückte die Decke mit prächtigen Malereien von Transportmitteln, wie zum Beispiel von Flugzeugen, und ägyptischen Motiven. Überdies sind die Aufzugstüren der Eingangshalle mit beeindruckenden Intarsien versehen und die riesigen Leuchten, angebracht an Decke, Säulen sowie über Türen, tauchen den Raum in ein angenehm warmes Licht.
Der Wolkenkratzer war vor allem während seiner Fertigstellung äußerst umstritten: Nicht nur der Baupreis von rund 15 Millionen US-Dollar, der dem aufwendigen Design sowie den außergewöhnlichen Materialien geschuldet war, führte zu negativen Äußerungen, sondern auch der Baustil selbst. Zeitgenössische Architekturkritiker lehnten diesen prunkvollen Stil weitgehend ab und bezeichneten das Bauwerk als „unsagbar ehrgeizig“, „kitschig“ oder „zu romantisch“ [3].
Im Laufe der Zeit änderten sich jedoch die Meinungen: Seit der Fertigstellung stieg das Ansehen des symbolhaften Gebäudes stetig. So bewunderte beispielsweise der US-amerikanische Architekt Kenneth MacKenzie Murchison die glänzende Stahlkuppel des Chrysler Buildings, welche nicht nur in der Nacht, sondern auch am Tage auf eine bestimmte Art erstrahle und das Sonnenlicht mit schillernder Brillanz reflektiere, sodass ein Jeder die „[…] beeindruckenden Lichtspiele […]“ („[…] the astonishing plays of light […]“ [4]) erblicken könne.
Zu allem Bedauern musste Van Alen nach dessen Fertigstellung seinen Beruf als Architekt aufgeben.
Er hatte zu Beginn des Baus keinen Vertrag mit seinem Bauherrn Chrysler geschlossen, was ihm zum Verhängnis wurde: Aufgrund eines Streites verweigerte ihm Chrysler sein Honorar von rund 900 Tausend US-Dollar. Van Alen blieb keine andere Wahl als zu klagen. Obwohl er gewann und somit seine Entlohnung erhielt, bedeutete die Klage, zusammen mit der Weltwirtschaftskrise, das Ende seiner Karriere. Bis zu seinem Tod war er als Lehrer tätig.
Das an der nordöstlichen Ecke der Lexington Avenue und 42. Straße in Midtown Manhattan stehende Chrysler Building gilt heutzutage mit seinen prachtvollen Details sowie seinem unverwechselbaren Stahldach als Kunstwerk. Es erinnert nicht nur an das „Golden Age“ der Automobilindustrie, sondern gilt mit seinem außergewöhnlichen Design als eines der wichtigsten und bekanntesten Gebäude der USA, um nicht zu sagen der ganzen Welt.
Quellenangabe:
[1] http://www.flatirondistrict.nyc/discover-flatiron/flatiron-history/william-van-alen, letzter Zugriff 12.09.2018 um 16.30 Uhr
[2] Gossel, Peter and Leuthauser, Gabriele: Architecture in the Twentieth Century. TASCHEN GmbH. P. 209
[3] https://www.skyscraper.org/EXHIBITIONS/FAVORITES/fav_chrysler.htm, letzter Zugriff 12.09.2018 um 16.40 Uhr
[4] https://www.nytimes.com/1995/12/17/realestate/streetscapes-the-chrysler-building-skyscraper-s-place-in-the-sun.html, letzter Zugriff 12.09.2018 um 16.50 Uhr
Leserkommentare
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Hans Gerster | 19. September 2018
Vielen Dank für diesen informativen und spannenden Artikel.
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Helen Flemming | 21. September 2018
Ein sehr interessanter Artikel, der mir nicht nur die New Yorker Architektur, sondern auch die Methoden der Architekten für spektakuläre Gebäude nähergebracht hat. Falls ich mal einen Skyscraper entwerfe merke ich mir diesen Trick!
Toll geschrieben, super recherchiert und spannend gemacht.