Im Ernst, Kolumnen
Auf Linie
Vorhin London, Kontakt zu abgefahrener Softwarebude. Gestern Melbourne morgens um sieben. Heute Shanghai gegen null Uhr. Dann DB-Preko zur Flutkatastrophe in Berlin, huch, da bin ich ja selber. Lieber nochmal nachgucken … Klingelschild – Name scheint zu stimmen. Ist doch Berlin hier, oder?
Überall sein – auf Linie, und doch in der stillen Kemenate. Reisen entfällt – Stressfaktor futsch, viel gut. Doch: Kühlschrank immer gefährlich nah. Und: nirgendwo mehr wirklich (oder gar wirksam), aber überall voll dabei. Onlinestress haben die Psychologen längst als Geschäftsmodell erkannt, kann man sich jetzt auch wegmachen lassen. Es gibt viel zu tun, quatschen wir’s durch.
Tun wir ja auch: online. Den Hartmut in Dortmund, gibt’s den eigentlich wirklich? Ach so, den habbich ja schon mal auf ‘ner Messe getroffen. Den Dingens aus Wien auch. Aber was ist mit Paul aus Berlin, hier, eine Straße – oder wo? – weiter – Online-Chimäre, schon viel mit geplaudert, gute Gespräche – Gespräche? Online?? Wir „kennen“ uns gar nicht. Real und irreal gehen in eins. Unlängst fand jemand bei einem Treffen in echt jetzt, wie toll das doch so mit dem menschlichen Gegenüber sei. Vgl. siehe ebd. Gerhard Polt: Weit hamm mir’s gebracht!
Aber so einfach ist das nicht und auch: no laughing matter. Wie viele an großen und weniger großen Bauprojekten Beteiligte befinden sich derzeit in Kliniken und Krankenhäusern? Nein, keine Delta-Variante, sondern: Burnout. War ja mal ein Status-Symbol. Jetzt haben es viele, direkt aus dem Homeoffice in die Klinik. Da ist die Kühlschranknähe eigentlich gesünder, aber keine Lösung auf Dauer, wenn der Schreibtischstuhl mürbe wird. Nun, man spricht nicht so gern drüber, wer wollte das nicht verstehen? Der Verzapfer dieser Zeilen z. B. Gut drauf sein ist auch im HO probates Mittel der Wahl. Und wenn mal nicht so ganz auf Linie, dann einfach mal runter von ihr. Alles andere ist Symptomdoktorei. Online klingt wie „Onlein“ – also norddeutsch „Onchen“. Einfach mal so betrachten – im Ernst.
Leserkommentare
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work-f-home | 27. Juli 2021
Was macht das Digitale aus dem Sein des Seienden und wie kommt es, das Homeoffice Stress verursacht, obwohl der Arbeitsplatz Kommuter freundlich liegt und das Auskommen gesichert scheint – und dann sind die Familie, Kinder, Hund und Nachbarn – sie sind alle sooo nah dran. Herrlich. Früher konnte Heimarbeit beim geselligen Kugelschreiber-basteln noch romantisiert werden, trotz Leidensdruck. Wenn Licht aus, dann Ruhe, aber heute ist es schwierig mit der Ruhe, dem Abschalten, dem Analog werden, denn es gilt gerne: Auf Linie bleiben, ein Gratwanderung zu jeder Zeit …auf unterschiedlichsten Niveaus, mit unterschiedlichen Folgen.