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Bachelor of Engineering – zu nichts zu gebrauchen?

Vorlesung

Studenten in einer Vorlesung. (Foto: kasto/fotolia)

Die Bauwirtschaft sucht dringend Absolventinnen und Absolventen, die gut ausgebildet sind, sofort auf Großbaustellen selbstständig arbeiten können, mindestens zehn Jahre Auslandserfahrung auf Baustellen vorweisen, aber nicht älter als 23 Jahre sein dürfen. Diese „Eier legende Wollmichsau“ gab es noch nie und wird es auch nicht geben können. Wenn man ehrlich zu sich ist, wird man dem schnell zustimmen können. Wer weiterhin diese Eier legende Wollmilchsau suchen möchte, braucht jetzt nicht weiterzulesen. Für alle anderen wird in diesem Artikel zu untersuchen sein, welchen „Wert“ die heutigen Studiengänge und -absolventen haben.


„Echte Qualitätsprodukte“ verlassen die Hochschulen

Um das Ergebnis dieses Beitrags gleich vorweg zu nehmen: Heute, nach der Umsetzung des Bologna-Prozesses, verlassen echte „Qualitätsprodukte“ in Form von gut ausgebildeten Bauingenieurinnen und Bauingenieuren mit dem Abschluss Bachelor (B. Eng.; B.Sc.) oder Master (M. Eng; M.Sc.) die Hochschulen. So absolvieren beispielsweise die Studierenden der Technischen Hochschule Köln ein siebensemestriges Vollzeitstudium wie ehemals der Dipl.-Ing. (FH), schließen mit dem B. Eng. ab und führen die Tradition der klassischen Bauingenieurausbildung fort. Daran kann ein Masterstudium angeschlossen werden, das qualitativ dem Dipl.-Ing. entspricht.

„Wie kann das sein?“ werden Sie sich jetzt sicherlich fragen. Ganz einfach: Das Studium zum Bauingenieur hat sich in den letzten Jahren sehr stark verändert. Mit der europäischen Hochschulreform, dem Bologna-Prozess, fand ab 1999 eine Weiterentwicklung der nationalen Hochschulsysteme in Europa mit dem Ziel einer einheitlichen Qualifizierung von Fachkräften für den Arbeitsmarkt statt. Dazu wurde ein international gültiges Bewertungssystem mit Credit-Points (ECTS), das den Arbeitsaufwand des Studienfachs, Modul genannt, erfasst und ein für die internationale Vergleichbarkeit der Abschlüsse zweistufiges Studienmodell in Form von Bachelor und Master mit insgesamt 10-semestriger Studiendauer ins Leben gerufen.

Für die Umsetzung dieser Vorgaben sind letztendlich die Hochschulen zuständig und verantwortlich. Deren Hauptaufgabe bestand nun darin, neue und innovative Studiengänge im zweistufigen System der Bachelor- und Masterstudiengänge zu entwickeln. Hierbei waren die Randbedingungen der einzelnen Hochschulen, abhängig von Auslastungen, Kapazitäten und Hochschultypen, deutlich unterschiedlich. Beispielhaft können Fachhochschulen mit Bachelor- und Masterstudiengängen jetzt 10 Semester Lehre anbieten, erhalten aber weiterhin nur eine Grundfinanzierung des Lehrpersonals für 7 Semester Lehre. Universitäten hingegen wollen weiterhin forschungsorientiert, auf einer hochwertigen naturwissenschaftlichen Grundlage Masterstudierende ausbilden, sollen aber zuvor zusätzlich einen berufsbefähigenden Abschluss ermöglichen.


„Bauingenieur ist nicht mehr gleich Bauingenieur“

Aus diesem Spannungsfeld und mit den den Hochschulen eingeräumten Gestaltungsmöglichkeiten entwickelten sich daher in der Vergangenheit viele unterschiedliche Studiengänge, die zwar den Abschluss „Bauingenieur“ erreichen, aber im Detail oft doch sehr unterschiedliche Ausrichtungen aufweisen. Ein Nachteil für die Berufspraxis: Bauingenieur ist nicht mehr gleich Bauingenieur. Eine wichtige Entscheidung für die Hochschulen war, ob ein sechs-oder siebensemestriger Bachelor-Studiengang angeboten werden soll. Ein sechssemestriger Studiengang bietet einen schnelleren Einstieg ins Berufsleben und mehr Zeit für Spezialisierungen in einem späteren Masterstudiengang, kann aber nur unter hohem Aufwand und kaum studierbar die erforderlichen Kenntnisse des Bauingenieurwesens vermitteln. Die Folge war und ist teilweise heute noch, dass Personalentscheider in Unternehmen und Verwaltungen meinen, dass der Bachelor eigentlich nur ein abgespeckter „Dipl.-Ing. (FH)“ ist und man damit also nur Masterabsolventen einstellen sollte.

Dieser Gedanke ist jedoch falsch, da zahlreiche Hochschulen siebensemestrige berufsbefähigende Studiengänge anbieten und die Qualität der Lehre gegenüber dem „Dipl.-Ing. (FH)“ sogar gesteigert wurde. Man muss schon etwas genauer hinschauen, wenn man die Qualität und die Inhalte der Abschlüsse der Hochschulen vergleichen bzw. den geeigneten Absolventen für sein Unternehmen finden möchte. Einen sehr guten Vergleichsmaßstab bietet der Anforderungskatalog des Akkreditierungsverbundes für Studiengänge des Bauwesens, ASBau e. V. Eine Reihe von Fakultäten für Bauingenieurwesen hält ihren Bachelor nicht nur für berufsbefähigend, sondern sogar für qualitativ hochwertiger als den früheren Diplom-Ingenieur (Dipl.-Ing. (FH)). Das Bachelorstudium ist heute angereichert mit praxisnahen, projektorientierten Studieninhalten, welche die Studierenden von Beginn an einerseits zu einer gewissen Selbstständigkeit und problemlösungsorientiertem Denken erziehen, anderseits mit Softskills wie Teamfähigkeit oder Kommunikationsfähigkeit konfrontieren – aber immer im Zusammenhang und mit dem Hauptaugenmerk auf die Kernkompetenzen in bauingenieurspezifischen Fächern, die mit den ASBau Standards einhergehen.


Baufirmen sollten Studieninhalte vergleichen

„Wichtig für Unternehmen ist ein Vergleichen der Studieninhalte, die zum Abschluss an einer Hochschule führen“ erklärt Prof. Dr.- Ing. Josef Steinhoff, Dekan der Fakultät für Bauingenieurwesen und Umwelttechnik an der Technischen Hochschule Köln. Absolviert ein Student z.B. einen Studiengang „Umweltingenieurwesen Bau“ mit Abschluss zum Bauingenieur, könnte der junge Ingenieur für die Bauleitung in einem Schlüsselfertigbau-Millionenprojekt vielleicht nicht der Richtige sein, da klassische Inhalte des Baubetriebs in seiner gewählten Vertiefung nur untergeordnet behandelt wurden.


Bauingenieurstudium zunehmend komplex

Das Studium zum Bauingenieur unterliegt einer zunehmenden Komplexität, einer Fülle von Normen, Richtlinien und Projektsteuerungs- und Planungsmethoden. Der Fachbereichstag Bauingenieurwesen diskutierte in Folge der Entwicklung der letzten Jahre die Qualität der Lehre und verabschiedete 2013 einheitliche Standards für das Kernstudium. Darüber hinaus soll den Hochschulen im Bereich des Vertieferstudiums die Freiheit der Lehre und damit die individuelle Gestaltung ihrer Studiengänge, Modulinhalte sowie der Abschlüsse nicht genommen werden. Doch genau in dieser Individualität und Vielfältigkeit liegen auch die zuvor genannten Probleme. Um die Berufsbefähigung der jungen Bauingenieure vor dem Hintergrund der Hochschulreformen zu sichern, wurden durch den Akkreditierungsverbund ASBau e.V. Standards entwickelt, festgelegt und beschlossen, die für eine qualitativ hochwertige Bauingenieurausbildung als notwendig erachtet werden. Noch erfüllen zu viele Hochschulen diese Anforderungen nicht.

Die Fakultät für Bauingenieurwesen und Umwelttechnik der TH Köln beispielsweise entschied sich, den Schwerpunkt ihrer Kapazitäten in ein „Qualitätsprodukt“ Bachelor zu investieren und das mit einer erfolgversprechenden Kombination aus den anerkannten Kerninhalten des Fachbereichstages Bauingenieurwesen und den bauspezifischen Inhalten der ASBau zu versehen. „Um die notwendigen Inhalte für einen berufsbefähigenden Bachelor abdecken zu können, brauchen wir sieben Vollzeitsemester sowie entsprechende Studienrichtungen. Diese sind in sechs Semestern kaum vermittel- und studierbar.“, so Dekan Steinhoff. Bereits im viersemestrigen Grundlagenstudium haben die angehenden Ingenieurinnen und Ingenieure ein ebenso breites wie vertieftes Wissen erworben wie „unser alter“ Dipl.-Ing. (FH). Darauf aufbauend, können die Studierenden durch Wahl einer Vertiefungsrichtung, je nach persönlichem Interessengebiet, deutlich vertieftere Kompetenzen erwerben als ihre Vorgänger mit dem Abschluss Dipl.-Ing. (FH).


Projektbasiertes Studium und interdisziplinäre Arbeit

Als sehr erfolgreich haben sich projektbasierte Lehrformen erwiesen. Bereits im ersten Semester erarbeiten Studierende in Gruppenarbeit selbstständig Themenbereiche zum Berufsfeld des Bauingenieurwesens. Durch die zwar „oberflächliche“ aber umfangreiche Recherche ist ein „Aha“-Effekt in weiten Teilen des Studiums die Folge. Später folgen fachübergreifende Aufgabenstellungen mit unterschiedlichen Zielen aus verschiedenen Fachrichtungen und Modulinhalten. Das Modul „Projektwoche interdisziplinär“ lässt die angehenden Bauingenieure auch über den Tellerrand hinausblicken, indem Aufgabenstellungen in Kombination mit anderen Fakultäten bearbeitet werden.

Die jeweiligen Vertiefungsrichtungen bieten den Studierenden mit dem „Praxisprojekt“ die Möglichkeit, selbstständig eine Aufgabenstellung nach eigenen Interessen, vorzugsweise in Verbindung mit einem Unternehmen und aktueller, praxisorientierter Ausrichtung zu erarbeiten. Sowohl im Rahmen der Abstimmung mit den jeweiligen Betreuern in den Unternehmen und den Professoren als auch im Zuge der Abschlusspräsentation vor und mit anderen Studierenden werden außerfachliche Kompetenzen wie Rhetorik, Ethik usw. nicht in separaten Modulen, die wichtigen Workload blockieren würden, gelehrt, sondern innerhalb der Bauingenieurausbildung.


50% höherer Lerninput durch Vorlesungen und Übungen

Die TH Köln wiederum als Beispiel bietet neben den Projektmodulen ca. 150 Semester-Wochenstunden (SWS) Lehre bei einer Vorlesungsdauer von 15 Wochen. Ein typischer 6-semestriger Studiengang an einer Universität enthält i.d.R. Vorlesungen und Übungen im Umfang von 120 SWS bei einer Vorlesungsdauer von 12 Wochen. Im direkten Vergleich bedeutet dies, dass der Lehrinput durch Vorlesungen und Übungen an der TH Köln 50 % höher ist als in einem typischen 6-semestrigen Bachelorstudium an einer Universität. Natürlich hinkt dieser Vergleich, da an der Universität auch ein um ein Semester längerer Masterstudiengang anschließt und zu einem hochwertigen Abschluss führt. Aber leider verlassen zu viele Studierende die Universitäten nach dem Bachelor, ohne ausreichend auf den Berufseinstieg vorbereitet zu sein. Die TH Köln erfüllt die formalen Anforderungen der ASBau e.V. an einen „Bauingenieurstudiengang“ bereits nach Abschluss des 5. Fachsemesters. Nach Beendigung des Vertiefungsstudiums werden die fachlichen Anforderungen der ASBau e.V. an einen Bauingenieurstudiengang weit übererfüllt. Im Gegensatz dazu erfüllen zahlreiche Universitäten und Fachhochschulen die Anforderungen der ASBau e.V. nur zum Teil.


Bachelor mit mehr bauspezifischen Fächern als Dipl.-Ing.

Genau das macht aber den qualitativen Unterschied in der Ingenieurausbildung aus. Die TH Köln hat nachgerechnet: Ihr Bachelorabsolvent hat mehr bauspezifische Fächer absolviert als deren Dipl.-Ing. (FH). Diese Fachkenntnisse kann er unmittelbar im Berufsalltag nutzbringend anwenden. Der mittlerweile etablierte und auf den Bachelor aufbauende Master-Studiengang mit den zwei Studienrichtungen „Infrastruktur“ als Kombination aus baubetrieblichen und verkehrstechnischen Inhalten und „Konstruktiv“ schließt sich dem hohen Anspruch der Fakultät an die Lehre nahtlos an. Dies näher zu beleuchten, ist aber nicht Ziel dieses Beitrags.


„Natürlich fehlt Lebens- und Berufserfahrung“

Was den Absolventen teilweise fehlt – natürlich fehlen muss aufgrund ihres Lebensalters – ist Lebens- und Berufserfahrung. Aber das war schon immer so. Das Bauingenieurstudium der TH Köln verzichtet bewusst auf ein Praxissemester. „70% der Studierenden unserer Fakultät haben bei ihrem Studienabschluss bereits eine abgeschlossene Berufsausbildung im Bereich Bau, arbeiten während des Studiums in Ingenieurbüros, Fachämtern oder Bauunternehmen und haben schon erste Erfahrungen gesammelt. Ein Praxissemester würde uns zu viel Zeit kosten. Hochschulen müssen das Rüstzeug vermitteln und einen qualifizierten Berufseinstieg ermöglichen, aber nicht die Praxis vermitteln“ so Dekan Steinhoff.


Kombination aus Theorie und Praxis verspricht Erfolg

Die jungen Leute von heute haben selbst erkannt, dass eine Kombination aus Theorie und Praxis erfolgversprechend ist. Der Bachelor-Studiengang zum Bauingenieur wird seit 2002 parallel als „Dualer Studiengang Bauingenieurwesen“ in enger Kooperation mit dem Ausbildungszentrum der Bauindustrie in Kerpen angeboten. Regelmäßige Jahrgangsbeste, sowohl im Bereich Ausbildung, als auch im Bereich Studium, zeugen von der Qualität, die auch im dualen Studiengang nicht reduziert, sondern sogar noch erhöht wird. Eine gewinnbringende Kombination aus Theorie und Praxis, die auch über 250 Unternehmen der Bauwirtschaft aus ganz Deutschland mittlerweile für sich erkannt haben und am dualen Studiengang der TH Köln teilnehmen. Diese Unternehmen denken an morgen und unterstützen junge Berufseinsteiger – mit semesterbegleitenden Nebenjobs, praxisnahen Bachelorarbeiten oder bestenfalls mit einem Ausbildungsplatz für ein duales Studium (im UBB 4/ 2014 wurde der „Duale Studiengang Bauingenieurwesen“ detailliert erläutert.).

Der Bachelor von heute – erfolgversprechend, leistungsbereit und interdisziplinär – aber aufgrund der verschiedenen Ausrichtungen auch nicht immer die „Eier legende Wollmilchsau“. Aber war das der junge Diplom-Ingenieur?

(Erstveröffentlichung: UnternehmerBrief Bauwirtschaft 11/2015, S. 14ff.)

 

 

 

 

 

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Datum 8. Dezember 2015
Autor Prof. Dr.-Ing. Josef Steinhoff, Dipl.-Ing. (FH) Stefan Stenger
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