Bauprodukte digital
Bauen digital und nicht digitales Bauen
Entspannte Überlegungen zu einem spannenden Thema

Leitungsteam Fachverband Bauprodukte digital (v. l. n. r.: Markus Heße, Martin Peukert, Kai Oberste-Ufer) (Foto: Fachverband Bauprodukte digital)
Berechnen, Kalkulieren, Schreiben, Definieren, Regeln und vieles mehr sind Tätigkeiten, die wir ohne die Unterstützung des Computers und anderer digitaler Hilfsmittel kaum mehr erledigen möchten, und auch gar nicht mehr in der erforderlichen Geschwindigkeit könnten. Große und komplexe Herausforderungen und Veränderungen in Industrie und Gesellschaft erfordern ständige Höchstleistungen, die nur noch digital unterstützt und vernetzt erbringbar sind. – Was gäbe es heute noch, das ohne digitale „Null und Eins“ auskommt?
So hat auch das all dies unterstützende Digitale eine große Relevanz für das Planen, Bauen und Betreiben von Gebäuden. Von der Vermessung und dem Aufmaß über Bauplanung bis hin zum Bauen selbst sind komplexe digitale Werkzeuge schon längst fester Bestandteil der damit verbundenen Tätigkeiten, für die es nicht nur jede Menge Spezialisten, sondern auch eine scheinbar unendliche Fülle von Softwareanwendungen, Apps und Cloud-Anwendungen gibt.
Die Zeiten, in denen die Computer in die Gebäude reinkamen, sind so lange noch gar nicht her – inzwischen kommen die Gebäude „aus dem Computer“.
Die immer häufiger zu vernehmende Forderung einer umfassenden Einführung von BIM in das Bauwesen unterstreicht in selbigem die Kraft der Digitalen Evolution, die in allen Bereichen der Gesellschaft und insbesondere in der Industrie zu spüren ist.
BIM wohnt die Idee inne, dass die Realität zunächst modellhaft abgebildet werden muss, das Modell aber nach erfolgtem Bauen nicht vernachlässigbar ist, sondern weiterhin benötigt wird. Um jederzeit Nutzen zu bringen im Unterhalt und Betrieb – wie etwa beim Ordern von zu ersetzenden Bauteilen. Die mit dem Erstellen von BIM-Modellen erforderliche objektorientierte Arbeitsweise verlangt von den Beteiligten ein hohes Maß an geordneter und disziplinierter Zusammenarbeit, um den Informationsfluss zwischen den spezifischen Anknüpfungspunkten der Bauprojekte abzusichern. Gelingt dies, ist das bildhafte Herauskommen ganzer Gebäude aus dem Computer umso trefflicher.
Nur noch BIM – aber wie?
Ist nur noch mit BIM gut bauen? Wie erkennt oder definiert man denn überhaupt ein BIM-Projekt? Alle Versuche, BIM zu erklären sind letztendlich der Sicht und dem Standpunkt des Erklärenden geschuldet, und können und müssen unbedingt hinterfragt werden. Bislang fehlen schlüssige und klare Definitionen, die eindeutig genug für alle Beteiligten sind, aber in sich auch sinnvoll und praktisch nachvollziehbar.
Warum nicht mehr geändert werden darf, wenn sich die Bedingungen in der Bauphase geändert haben, kann aus der Sicht des BIM Managers ja schlüssig klingen. Der Bauherr würde es jedoch nicht verstehen. Zu Recht.
Muss alle Dokumentenverarbeitung und damit verbundene Kommunikation absolut „medienbruchfrei“ sein, nur dann ist es das anzustrebende „BIG BIM“? Oder ist das nicht doch etwas theoretisch gedacht? Vor allem, wenn der Mensch vor dem Computer mit einbezogen wird.
Ein von örtlichen Baufirmen und Handwerkern erbautes Einfamilienhaus oder das hochkomplexe Krankenhaus: So unterschiedlich wie die Bauaufgaben selbst, sind auch die daran angelehnten Anforderungen an Beteiligte, Werkzeuge und Prozesse. Bei der Fragestellung, was genau BIM ist, hilft eine Beurteilung nach Richtig oder Falsch kaum weiter. Es geht eher darum, dem Bauwesen mit den in Summe verfügbaren digitalen Nutzbringern stetig Vorteile zu verschaffen und die Nachteile zu verringern. Wie gut oder brauchbar die Ansätze des BIM sind, wird sich in der Praxis ganz von selbst zeigen.
Digitales Miteinander
Dass sich der BIM innewohnende Ansatz des optimalen „digitalen Miteinanders“ von der Planung bis in den Betrieb gut eignet, einen Weg des Optimierens und Qualifizierens der eigenen Leistungsbilder bietet, ist sicher unbestritten. Überzeugende und beispielhafte Anwenderberichte von Architekten, Baufirmen, Betreibern und Herstellern offenbaren eine Menge nützlicher Erkenntnisse:
1. Planung
- Alle Planungsabläufe werden mittels digitaler Anwendungen unterstützt, es ist einfach geworden, benötigte Informationen über Inhalte und Zusammenhänge zu finden, diese einzusetzen und zu bewerten.
- Bereits in der Planung können alle Komponenten modellhaft aufeinandergelegt und untereinander abgeglichen werden, Kollisionsprüfungen ersparen später teure Rückbau-Erfordernisse.
- Speziell für das serielle Bauen eignen sich Computer-Planungstools besonders. Im Kopieren und Multiplizieren liegt besondere Schlagkraft.
- Varianten können virtuell gebaut gegeneinander abgewogen werden.
- Es kann besser im Team gearbeitet werden – Optimierungen können gemeinsam gefunden werden, da die Beteiligten über digitale Vernetzung besser kommunizieren können.
- Die Beteiligten der einzelnen Gewerke können bereits in der Planung so einbezogen werden, dass sie einen Beitrag zur Optimierung leisten können.
- Softwareseitige Unterstützung beim Bewerten und Prüfen von Zusammenhängen schafft unmissverständliche Fakten und vermeidet Diskussionen.
2. Bauen
- Das Bauen in seiner Gesamtheit profitiert, da die digital optimierte Planung eine hohe Qualifizierung der benötigten Informationen mitbringt. Es wurde ja bereits einmal digital gebaut!
- Auf der Baustelle werden Logistik, Material und Personaltiming, Abläufe, Maschineneinsatz und vieles mehr dadurch optimiert, dass eine Orientierung an einem koordinierenden Gebäudemodell und an Fachmodellen erfolgt.
- Die digital vernetzte Kommunikation der Beteiligten sowohl auf der Baustelle und um diese herum, ist ein starkes Mittel, von dem letztlich alle profitieren.
- Auch digitale Einzellösungen je nach Gewerk tragen zur Effizienz des Gesamten bei.
3. Bauprodukte
- Die meisten Bauprodukte unterliegen bereits in Planung, Entwicklung und Herstellung einer sehr hohen Stufe der Digitalisierung.
- Bauprodukte, aus denen Gebäude ja bestehen, stellen somit sicher, dass das Bauen in Summe nicht als digital rückständig begriffen werden kann.
- Bauprodukte garantieren durch geprüfte Qualität eine hohe Sicherheit für geforderte Bauleistungen und für den gesamten Lebenszyklus des Gebäudes. Dafür stehen CE-Kennzeichnung, Garantieleistungen und hinterlegte Services der Hersteller und Lieferanten.
- Bauprodukt- und Bausystemdaten sind in den PIM-Systemen der Hersteller für Herstellung, Logistik und bauliche Prozesse verfügbar und als digitale Repräsentanz oder Typenvertreter für Planer nutzbar.
- Durch meist in Echtzeit verfügbare Produktinformationen der Hersteller werden Planungs-, Bau- und Betriebsabläufe rund um die Uhr abgesichert.
4. Gebäudebetrieb
- Informationen aus dem Gebäudemodell und den Fachmodellen der Gewerke können in ein digitales Betreibermodell einfließen.
- Betrieb, Pflege und Wartung profitieren von dem schnelleren und hochtransparenten digitalen Informationspool. Optimierungen und Änderungen von Abläufen im Gebäude lassen sich einfacher und schneller planen und umsetzen.
- Ein Monitoring des Gebäudes hinsichtlich Bedarfe und Kosten ist möglich.
- Umbau, Erweiterung und Umnutzung profitieren ebenso vom Informationspool.
- Optimierung des Gebäudebetriebs hinsichtlich Energie, Kosten und Raumklima, um dem Nutzer eine ideale Umgebung für Wohnen und Arbeiten bieten zu können.
- Es kann eine bessere Gebäudesicherheit durch intelligente und vernetzte Zutrittskontrolle erreicht werden.
Wenn man so will, sind wir im Bauwesen insgesamt schon sehr weit durchdigitalisiert.
Wo es aber tatsächlich noch Bedarf gibt, ist der Bereich der Schnittstellen, der Bindeglieder zwischen den Einzelteilen oder Einzelprozessen. Hier können Erkenntnisse und Ansätze aus der BIM-Methode helfen, die letztendlich messbare Effizienz des Gesamten weiter abzusichern.
Von „reday-to-use“ Kochrezepten ist man aber noch etwas entfernt. Und das ist wahrscheinlich auch gut so. Zwar gilt es, bestehende Hindernisse im Datentransfer zu beseitigen und Standards für eine reibungslose Zusammenarbeit der Systeme zu schaffen, aber die definierten Prozesse sollten immer eine gewisse Flexibilität besitzen und sich an Veränderungen anpassen können. Man sollte nicht den Fehler machen, klassische Vorgehensweisen auf die BIM-Welt anwenden zu wollen, denn „Digital“ bedeutet immer auch Wandel und Flexibilität. Der Versuch, alte Denkweisen auf neue digitale Konzepte anwenden zu wollen, ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt.
Es geht noch was: Smart Building und IOT
„Da geht noch was“. Dieser Ausspruch stimmt in wenigen Gebieten so gut, wie beim Betrieb eines Gebäudes. Da gerade die Betriebsphase eines Gebäudes deutlich die Zeit für Planung und Errichtung übersteigt, liegen auch hier einige der größten digitalen „Schätze“ verborgen. Die Nutzung der digitalen Möglichkeiten zur Optimierung des Gebäudebetriebs ist auch schon deshalb unumgänglich, weil ansonsten die (oftmals selbstgesteckten) Ziele für Kosten und Energieeffizienz gar nicht erreicht werden könnten.
Das smarte Gebäude ist aber nur deshalb smart, weil man die Intelligenz in der Planungsphase durch die geschickte (intelligente) Wahl der Bauprodukte in Kombination mit einem passenden Gebäudekonzept in das Bauwerk hineinbringt. Wählt man dann noch moderne Bauverfahren und Werkstoffe sowie ein geeignetes Bewirtschaftungsmodell, entsteht ein modernes und in vielen Bereichen intelligentes Gebäude. Die besondere Herausforderung ist hier, diejenigen verschiedenen Produkte zu identifizieren, die sich optimal kombinieren und dann auch gemeinsam im Gebäude verwenden lassen. Simulationen auf Basis des BIM-Gebäudemodells können hier helfen, den idealen Mix aus Produkt, Konzept und Bauverfahren zu finden.
Allein die Nutzung von smarten Produkten macht das gesamte Gebäude noch nicht intelligent. Erst die Online-Erfassung der Betriebsdaten, deren (Cloud-basierte) Zusammenführung und die gemeinsame Auswertung bringen die Optimierung ins Gebäude. Stichwort „Internet of Things“ (IoT). Durch die gemeinsame Betrachtung aller Devices kann das Gebäude besser kontrolliert und gesteuert werden.
Eine BIM-basierte Planung ist hier natürlich die perfekte Grundlage für den optimalen Gebäudebetrieb. Schon während der Planung können unterschiedliche Szenarien durchgespielt und das optimale Setting gefunden werden. Darüber hinaus kann das Gebäudemodell später für viele Anwendungen im Betrieb verwendet werden: Als Informationsquelle über die verbauten Produkte („as-build-model“), zur Visualisierung von Gebäudezuständen bzw. IoT-Daten (Türen offen/geschlossen, Öffnungszyklen von Automatik-Türen, etc.) oder zur Steuerung der Gebäudetechnik. Dieses sind nur einige Beispiele für die Nutzung der BIM-Daten im Betrieb des smarten Gebäudes.
Eine Lösung für alles?
Das Bauen – als industrielles Segment gesehen – kann durchaus mit der Automotive verglichen werden, vor allem durch viele Artverwandtschaften wie Vorfertigung, Maschinen- und Robotereinsatz. Beim Bauen muss jedoch beim Finden von Lösungswegen für die einzelnen Bauaufgaben nach Zweckmäßigkeit unterschieden werden. Stets gilt, mit Augenmaß und letztlich auch menschlichem Sachverstand zu agieren. Nicht alles, was vernetzbar oder mit Künstlicher Intelligenz erreichbar ist, ergibt auch wirklich in jedem Fall Sinn. Im Hinblick auf verschiedenste Bauaufgaben und Gebäudenutzungen wird nicht zuletzt auch aus wirtschaftlichen Gründen immer noch gelten, dass auch einfachere Lösungen nicht die schlechtesten sind. Erfahrungen aus bereits realisierten Projekten müssen auch weiter als solide Basis für neue Planungen gelten dürfen, auch wenn (noch) nicht alles in der Datenautobahn verfügbar ist.
Partnerschaftliches Miteinander
Der 2018 gegründete Fachverband Bauprodukte Digital hat sich zum Ziel gesetzt, aus der Praxis heraus die Digitalisierung des Bauens weiter voranzutreiben. Dazu gehört der Austausch von Informationen und Erfahrungen, gemeinsame Pilotprojekte und auch das gemeinsame Vorantreiben der digital unterstützten optimalen Vernetzung zwischen Herstellern, Planern und Kunden.
An dieser Stelle laden wir auch interessierte Hersteller und Systemgeber von Bauprodukten zur Mitgliedschaft in unserem Fachverband ein.
Der Fachverband Bauprodukte digital steht allen Herstellern von Bauprodukten und Unternehmen aus dem Bereich Dienstleistungen rund um die digitale Bauplanung offen. Bei einem Interesse an einer Mitgliedschaft, schauen Sie sich doch bitte die weiterführenden Informationen unter www.productsforbim.de an.
Als Planer und Anwender von BIM-Daten empfehlen wir Ihnen, sich direkt an die Mitgliedsfirmen zu wenden. Experten im Bereich digitaler Bauplanung unterstützen Sie hier für Ihre Bauvorhaben. Eine aktuelle Übersicht der Mitglieder finden Sie unter www.bv-bausysteme.de im Bereich Fachverband Bauprodukte digital.
Wir freuen uns, dass der Fachverband auch die zweite Auflage dieses Fachmagazins Bauprodukte Digital partnerschaftlich unterstützen durfte und bedanken uns bei dem Verlag Ernst & Sohn im Namen unserer Verbandsmitglieder.
Leitungsteam Fachverband Bauprodukte Digital:
Markus Heße, Martin Peukert, Dr. Kai Oberste-Ufer
www.productsforbim.de, www.bv-bausysteme.de