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Kolumne Falk Jaeger

BeScheuerte Idee

Jetzt treibt er wieder eine neue Sau durchs Dorf, sagen manche. Verkehrsminister Scheuer macht wieder von sich reden. Endlich mal positiv, wie er selbst es einschätzten dürfte.
Um die Städte von wachsendem Lieferverkehr zu entlasten, solle man Pakete künftig auch des nachts mit der U-Bahn transportieren und von den Bahnhöfen aus mit Lastenrädern umweltfreundlich verteilen. Wenn sich eine Stadt bereit erkläre, wolle er ein Pilotprojekt starten. Eine großartige, bestechende Idee. Aber nur auf den allerallerersten Blick.

CarGoTram Dresden

CarGoTram Dresden (DVB AG)

Schauen wir uns genauer an, was dazu notwendig wäre. Zunächst neue Güter-U-Bahnzüge. Für deren Entwicklung, Produktion und Zulassung muss man nach hiesiger Erfahrung mindestens ein Jahrzehnt kalkulieren. Die Zeit hätte man wohl auch, denn es muss ja auch die Infrastruktur im Netz geschaffen werden. Am einfachsten wären die zentralen Schnittstellen an den U-Bahn-Depots zu meistern, die meist in Randgebieten liegen. Dort kann man mit dem LKW hinfahren und die Züge beladen.
Doch was geschieht an den Zielbahnhöfen? Mit den U-Bahn-üblichen 30-Sekunden-Halts ist da nichts zu machen. Für Abstellgleise fehlt der Platz. Es müssten Lastenaufzüge gebaut werden. Wer beobachtet, welche Mühe es macht (Genehmigungsmarathon, Raum- und Technikprobleme), in der Innenstadt die Bahnhöfe wenigstens mit Personenaufzügen behindertengerecht umzubauen, mag an die Realisierung von Lastenaufzügen nicht glauben.
Kommen die Paletten dann per Lift an die Oberfläche – meist auf der Mittelinsel der Straße, denn die Bahnsteige liegen eben zwischen den beiden Richtungsgleisen – wohin dann?
Dutzende von verbrauchernahen Verteilerzentren müssten unter kompliziertesten örtlichen Verhältnissen gebaut werden – in engen Innenstädten undenkbar. Es gäbe also viel zu wenige Anlaufstellen, um die Städte vom Lieferverkehr spürbar zu entlasten. Der macht nachts ohnehin kein Problem. Aber die Tendenz geht zu spontanen Express-Auslieferungen tagsüber innerhalb weniger Stunden.
Die Verkehrsbetriebe winken ab. „Schwer vorstellbar“, heißt es einigermaßen diplomatisch, „spannend“ findet der Deutsche Städtetag die Idee, wohl wissend, dass die Idee im Sand verlaufen wird. Realistisch betrachtet, handelt es sich um eine Nebelbombe aus dem Ministerium, gezündet, um von den Skandalen, in die der Minister derzeit verstrickt ist, ein wenig abzulenken.
Für die Frankfurter Verkehrsgesellschaft VGF käme eher die Straßenbahn mit ihrem dichteren Netz und mehr Haltepunkten infrage. Meist wird in diesem Zusammenhang die Dresdner CarGoTram genannt. Dort transportieren außerhalb der Stoßzeiten eigens entwickelte VW-eigene Lastzüge Autoteile durch die Innenstadt. Allerdings eben nur von A nach B, von einem Logistikzentrum am Stadtrand zur Gläsernen Manufaktur am Großen Garten.
Wenn auch Straßenbahnen in Einzelfällen geeigneter erscheinen, muss die Bewältigung der extrem umweltschädlichen Paketlawine auf allen Ebenen entschlossen angegangen werden, nicht nur vom Verkehrsminister. Mit der Eindämmung der „Ansichtssendungen“ mit kostenloser Rücksendemöglichkeit zum Beispiel, mit wiederverwendbaren Kartonagen etc.

CarGoTram Dresden

CarGoTram Dresden (DVB AG)

Warum wird der Paketlieferverkehr eigentlich nicht von der Bundesnetzagentur geregelt? Strom, Gas und Telefon und selbst die Zeitungen werden auch nicht von jedem Anbieter mit eigenen Netzen bis zum Endkunden geliefert. Analog dazu müssten die Anbieter gezwungen werden, sich für die Endauslieferung zusammenzutun. In jeder Straße nur ein Lieferwagen pro Tag für alle Paketdienste gemeinsam und vielleicht noch ein Expresslieferdienst, das wäre eine schöne Vision. Gleichzeitig könnte die Effektivität auf dem platten Land durch bessere Auslastung erheblich gesteigert werden.
Oder, noch weiter gedacht: Warum lässt man nicht, ebenfalls nachts, Elektro-LKW die Pakete von den außerörtlichen Logistikzentren in die innerörtlichen Verteilungszentren bringen und dann tagsüber per Lastenfahrrad ausliefern?
Die Städte würden aufatmen und die Umwelt würde es danken.

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Datum 2. März 2020
Autor Falk Jaeger
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