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Bauen digital, BIM - Building Information Modeling

BIM – Der Irrglaube von einem reinen 3D-Modell

Prof. Dr.-Ing. Sven Rogalski

Prof. Dr.-Ing. Sven Rogalski (Foto: privat)

Die „Digitalisierung“ ist gegenwärtig ein Thema von gesamtgesellschaftlicher Tragweite, an das verschiedene Erwartungshaltungen geknüpft sind. Besonders während der COVID-bedingten Kontaktreduktionen und dem damit verbundenen Bedarf verstärkt digitale Werkzeuge für die Erbringung von Arbeits- und Dienstleistungen einzusetzen, zeigten sich hier zum Teil große Defizite überall in Deutschland, vor allem jedoch in öffentlichen Bereichen, aller Ankündigungen führender Politiker hinsichtlich getroffener Digitalisierungsinitiativen im Vorfeld der Krise zum Trotz. Besser als dem öffentlichen Bereich gelang es aber dem privatwirtschaftlichen, sich auf die pandemiebedingten Einschränkungen und dadurch geänderten Arbeitsanforderungen einzustellen, was sicherlich damit zu tun hat, dass der Einsatz moderner informationstechnischer Werkzeuge in die täglichen Arbeitsprozesse für viele Unternehmen bereits seit Langem eingeübte Praxis war. Dies ist vor allem dem wirtschaftlichen Druck geschuldet, um mittels des Einsatzes neuster Informations- und Kommunikationstechnologien wettbewerbsfähig zu bleiben.

Nicht erkannte Digitalisierungspotenziale

Allerdings sind beim Vergleich unterschiedlicher Branchen ebenfalls mitunter große Unterschiede hinsichtlich der Erschließung von Digitalisierungspotenzialen auszumachen, wie dies unlängst eine Studie zum Vergleich der Produktivitätsentwicklungen zwischen der Baubranche und dem verarbeitenden Gewerbe belegte, wobei letztere Zuwächse von 34,1 % vorweisen konnte, das Bauwesen jedoch nur 4,1 % [1]. Dies bedeutet nicht, dass es im Bauwesen keine Digitalisierungspotenziale zu erschließen gibt, sondern schlicht und ergreifend daran, dass sie nicht erkannt werden, bzw. nicht erkannt werden wollen, weil eine Vielzahl von Arbeitsprozessen immer noch identisch ausgeführt werden, wie dies vor Jahren oder sogar vor Jahrzehnten erfolgte, insbesondere in der Bauausführung. Auch modernere Bezeichnungen wie der Begriff des “Construction 4.0“, unter dem sich Digitalisierungsinitiativen in der Bauindustrie subsummieren, werden hier keinen „Aufbruch“ in veränderte Arbeitstechniken forcieren. Tatsache bleibt, dass der „Bau“ bei der Digitalisierung hinter anderen Branchen mitunter deutlich zurückliegt, da nur ein kleiner Teil der dort Beschäftigten auf digitale Technologien zur Ausführung ihrer Arbeiten zurückgreift.

Im Mittelpunkt sämtlicher Digitalisierungsbestrebungen muss jedoch nach Auffassung des Autors zweifelsohne BIM stehen. Dies erlaubt die durchgängige, digitale Informationsbereitstellung sämtlicher gebäuderelevanter Informationen, über alle Phasen des Gebäudelebenszyklus von der Planung, über die Bauausführung sowie die Nutzung eines Gebäudes bis hin zu dessen Abriss.

Sämtliche Informationen unabhängig vom Datenformat und über dessen gesamten Lebenszyklus

Mit BIM wird oftmals das Vorhandensein eines 3D-Modells assoziiert. Dies ist nicht richtig, da der Gedanke von BIM ein virtuelles Gebäudemodell ist, bei dem sämtliche Informationen zu einem Gebäude, unabhängig vom Datenformat, über dessen gesamten Lebenszyklus zeit- und versionsbezogen digital abrufbar vorliegen, unter Wahrung der Zuordnung zu den räumlichen Objekten des Gebäudes, wie Wände, Fenster, Räume, Etagen oder ganzen Gebäudeteilen. Dies können somit auch papierbasierte 2D-Zeichnungen aus der Bauausführung einer Heizungsanlage sein, die mit den dort händisch eingetragenen Änderungen der Rohrführung im Technikraum digitalisiert und den betreffenden BIM-Objekten zugeordnet wurden. Oder aber es handelt sich um Ergebnisse einer Wärmebedarfsberechnung mit unterschiedlichen Aktualitäten, auch Versionen genannt, z.B. einmal zum Zeitpunkt der Planungsphase des Gebäudes, deren Ergebnisse dann infolge der Bauausführung aktualisiert wurden, bspw. infolge der Verwendung anderer Baustoffe für die Gebäudehülle und dann zu einem noch späteren Zeitpunkt, nämlich der Sanierungsphase einer abermals geänderten Berechnungsgrundlage unterzogen wurde, was den Wärmebedarf beeinflusste. Die daraus resultierenden Ergebnisse sind dabei für einzelne Räume bis hin zum ganzen Gebäude darstellbar und beeinflusst sowohl die Kesseldimensionierung, die Heizkörperauslegung und Rohrnetzberechnung als auch Teile der Gebäudeautomation.

Im Idealfall liegen somit sämtliche Informationen für nachgelagerte Planungs- und Arbeitsschritte im BIM gewerkübergreifend vor, so dass unnötige Zusatzaufwendungen und Fehler infolge veralteter Daten vermieden und somit Zeiten und Kosten minimiert werden können. Anhand dieser Beispiele wird deutlich, dass es sich bei BIM vielmehr um eine digitale, gebäudebezogene Projektstruktur handelt, als um ein 3D-Modell, aus der sämtliche lebenszyklusrelevanten Information durchgängig vorhanden sind und jederzeit abgerufen werden können. Offene Standards, insbesondere der Industry Foundation Classes (IFC) garantieren hierbei einen Datenformat- und Stakeholder-übergreifenden Austausch BIM-relevanter Information, was die möglichst vollständige Informationsanreicherung der jeweiligen virtuellen Gebäudemodelle fördert.

Innovationstreiber

Eine solcher sach- und versionsgerechter Datenbestand bildet dabei den Ausgangspunkt für nachgelagerte Entscheidungen und vermeidet den falschen bzw. ineffizienten Einsatz von Ressourcen, unabhängig davon, ob es sich um Human- oder energetische Ressourcen oder aber Materialien und Betriebsmittel handelt. Hierbei können vor allem Mechanismen der KI ihre Vorteile entfalten, wie verschiedene Beispiele, u. a. auch im Beitrag „Der künstlich intelligente Bauleiter“ im aktuellen Special: BIM 2021 belegen. Aussagen, welche die Bestrebungen BIM weiter voranzutreiben in eine dekadente Richtung rücken, indem z.B. von „BIM-Gimmicks“ gesprochen wird, die jeder Informatikstudent im zweiten Semester umsetzen könnte, nutzen in der sehr konservativ geprägten Baubranche nur den Protagonisten ausgedienter Praktiken. Auf mittelfristige Sicht wird jedoch das erfolgreiche Antizipieren neuer Technologien und IT-gestützter Arbeitsweisen auch die deutsche Bauindustrie vor große Wettbewerbsherausforderungen stellen. Ein gutes Beispiel hierfür liefert die deutsche Automobilindustrie, die Anfang der 1980er Jahre in einer tiefen Krise steckte. Hätte sie sich damals den Adepten nicht mehr konkurrenzfähiger Arbeitsweisen hingegeben und auf die Einbindung moderner Technologien zur Unterstützung bzw. kompletten Umgestaltung bestehender Produktentstehungsprozesse verzichtet, wären deutsche Automobilmarken heute wahrscheinlich in asiatische Konzernen integriert. Glücklicherweise waren aber unsere Automobilbauer offen gegenüber neuen und digitalen Technologien, wie bspw. dem Produktdatenmanagement (PDM), einer produktbezogenen Datenbasis in der sämtliche Informationen zu einem Fahrzeug digital erfasst waren, von seiner Konzeption und Entwicklung bis hin zur Fertigungsplanung und Produktion. Somit wurden die Voraussetzungen des Simultaneous Engineering und der späteren alle Lebensphasen umschließenden integrierten Produktentwicklung geschaffen, durch die technologisch überlegene Produkte und Produktionsabläufe entstanden. Trotz aller berechtigter und auch unberechtigter Kritik an der deutschen Automobilindustrie, sie ist nach wie vor ein weltweiter Innovationstreiber.

BIM und PDM

Ein Vergleich zwischen BIM und dem PDM, das sich von der Automobil- auf die gesamte Fertigungsindustrie übertrug und heute oftmals als PDM/PLM bezeichnet wird, zeigt viele Gemeinsamkeiten. So steht in beiden Fällen ein virtuelles Modell eines realweltlichen Produkts im Fokus (bei BIM das Gebäude), welchem über seine verschiedenen Lebensphasen unterschiedlichste produkt- und prozessbeschreibenden Daten zugeordnet werden. Im PDM/PLM-Kontext ist bspw. die Anwendung von KI-Verfahren auf diesem Datenbestand zum Beheben von Kundenunzufriedenheit, infolge von Mängeln oder falscher Erwartungen oder aber Ineffizienzen bei der Produktherstellung kein Neuland mehr, von effizienten Vorschlagsmechanismen zur Konfiguration des Wunschprodukts aus unzähligen Variationsmöglichkeiten ganz zu schweigen. Also warum sollte dies nicht auch im BIM möglich sein?

Ein Hemmnis hierfür ist sicherlich in der Verantwortung der durchgängigen Pflege derartiger Datenbestände zu suchen. Während es in der Fertigungsindustrie klares Interesse des OEMs ist, sämtliche lebenszyklusrelevanten Informationen zum eigenen Produkt aktuell bei sich zu haben, sieht es im Bauwesen etwas anders aus, da sich hier nicht immer das eigentliche Produkt, also das Gebäude einer spezifischen Organisationseinheit originär zuordnen lässt.

So bleibt die Frage nach dem konkreten Interesse bzw. der Verantwortung für eine durchgängige Pflege des BIM, von bspw. einem Wohngebäude, dessen Wohnungen an verschiedene Eigentümer vermietet werden/sind, unbeantwortet. Der Architekt ist hieran vorrangig in der Planungsphase interessiert, während es in der Ausführungsphase der Generalunternehmer oder der Bauherr sein sollte. Bei Letzteren können allerdings nicht immer ausreichende BIM-Fähigkeiten vorausgesetzt werden, um sämtliche BIM-Daten aktuell und vollständig zu halten, erst recht aber nicht in der Nutzungsphase bei den jeweiligen Wohnungseigentümern. Somit würde im Sanierungsfall bzw. einer Umnutzung des Gebäudes ein Architekt, selbst wenn es der aus der Planungsphase ist, auf einem unvollständigen, veralteten BIM-Stand mit seinen Arbeiten beginnen.

Abhilfe könnten hier allerdings sog. Third Partys schaffen, also IT-Dienstleister, die über das notwendige Know-how verfügen und die Pflege spezifischer BIM auf Basis eines für alle beteiligten profitablen Kostenmodells anbieten. Allerdings sind nach Kenntnisstand des Autors derzeit keine derartigen Geschäftsmodelle in der Baubranche bekannt.

 

Quellen:
[1] Berger, R.: Studie zur Digitalisierung der Bauwirtschaft; https://www.rolandberger.com/ publications/publication_pdf/roland_berger_digitalisierung_bauwirtschaft_final.pdf, Abruf: 16.03.2021/

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