Bauen digital, BIM - Building Information Modeling
Bytes, Hypes, IT-Mythen
Womit beschäftigt sich eigentlich die 1. Welt noch, außer mit Diskutieren, Präsentieren, Konsumieren, Spekulieren, Zocken oder Zeit vertreiben? Und, lieber Leser, einmal so gefragt: Was verbinden Sie eigentlich wirklich mit Digitalisierung? Etwas vom zuvor Genannten? Wenn nicht, bliebe die Frage, wie halten Sie’s mit BIM, sprich der Digitalisierung im Bauwesen im Besonderen?
Jetzt, da seit vielen Jahren „die” BIM-Theorie ausformuliert zu sein scheint und gleichzeitig die Umsetzung in konkreten Projekten immer noch an so vielen Problemen scheitert, entsteht der Eindruck, dass auch die letzten IT-Gimmicks unbedingt noch die Bauindustrie beglücken müssen, bevor auch nur die grundlegenden (BIM-) Methoden leidlich funktionieren.
Das „ewig Neue” hat natürlich seinen unbestreitbaren Reiz, so auch in Sachen BIM-Methode. Aber die Kluft zwischen dem, was ohne dedizierte IT-Abteilung oder Quer-Subventionen aus irgendeinem Marketing-Budget im Moment in BIM-Projekten umsetzbar ist und dem was, uns ständig angepriesen oder als Erfolg berichtet wird, ist doch beträchtlich und hat sich auch in letzten zehn Jahren nicht wesentlich verkleinert.
Es fehlen z. B. immer noch öffentliche, nationale Bauteilkataloge und Klassifikationssysteme – eine Fleißarbeit, die weder Ehrenamtliche leisten können noch durch Forschungsgelder Unterstützung finden kann. Solange diese BIM-Basics nicht vorhanden sind, wird in jedem BIMProjekt erst einmal Monate lang an Attributen und Software-Konfigurationen gefeilt, bevor es überhaupt losgehen kann. Doch wenden wir den Blick auf die IT-Gimmicks der letzten Jahre, die auch nicht mehr so neu sind.
Nicht mehr neue BIM-Gimmicks
Block Chain in der Bauindustrie? Diese Idee oder gar Forderung hört man immer öfter. Während IT-Experten, Softwareentwickler und Sicherheitsexperten in Podcasts darüber nachdenken, welche weltlichen Probleme denn nun wirklich mit dieser Technologie gelöst werden können (und leider nicht viel gefunden haben: Chaosradio Blockchain, die CR269 und viele andere Diskussionen dieser Art) taucht die Technologie jetzt auch im BIM-Umfeld auf.
[‘bbktJEJn] – Block Chain: Sie ist das Mittel der Wahl, wenn Parteien nicht genügend gegenseitiges Vertrauen haben, Transaktionen verschlüsselt abzulegen. Diese Schlüsselkette können nur die zurückverfolgen, die auch die „Schlüssel” haben und alle Beteiligten haben eine Kopie dieser Schlüsselkette verteilt auf Ihren eigenen Rechnern. Es geht dabei um das Vertrauen in diese Schlüsselkette, die nicht „geknackt” werden kann (weil jeder Einzelschlüssel ca. 10 Min. Prozessorzeit benötigt) und auf ganz vielen Computersystemen liegt. Die Frage ist also, wo gibt es ein so tiefes Misstrauen in der Branche, das man mit dieser Technologie absichern könnte?
Vertrauen in CDE
Ich und hoffentlich alle Beteiligten in den BIM- und Bauprojekten vertrauen der Datenumgebung, der CDE Ihrer Wahl; dafür ist sie ein Produkt das Geld kostet, Sicherheitszertifikate vorweist und schnell vom Markt verschwindet, wenn auch nur das Gerücht einer Ungleichmäßigkeit auftauchen sollte. Die Grundfunktion ist, dass nichts gelöscht werden kann und jede Aktion von jedem User dokumentiert wird. Also wozu die Energieverschwendung (und das im wahrsten Sine des Wortes) einer Block Chain? Oder geht es doch darum, mit der Spekulation über eine neue Technologie möglichst schnell reich zu werden? Zumal das größte Misstrauen der analogen oder kognitiven Erfassung z. B. von Baumängeln, Gutachten usw. gelten sollte und nicht der Datensicherheitstechnik.
[ka: ‘?i.J] – Künstliche Intelligenz: Wenn die Definition schon der allwissenden Wikipedia schwerfällt, konzentrieren wir uns auf die Betrachtung der Schwachen KI, der Technologie der selbstlernenden Neuronalen Netzwerke, deren Hype in den 1960er und 1970er durch das Fehlen schneller Hardware gestoppt und nun vor geraumer Zeit wieder zum Leben erweckt wurde.
Nein, KI kann uns Menschen keine Entscheidungen abnehmen und wird nie schlauer als der Mensch werden, aber sie kann Menschen bei der Entscheidung durch den statistischen Blick auf eine Vielzahl Beispielen unterstützen. Neuronale künstliche Netzwerke sind Algorithmen, die aufgrund der Auswertung hunderttausender von Beispielen, eine statistische Vorhersage machen können. Anhand von 200 bis 400.000 Katzenbildern etwa lernt der Algorithmus, ein ihm völlig neues Bild als eines mit einer Katze oder nicht (also keiner Katze) zu identifizieren. Mit einer hohen statistischen Zusicherung, natürlich!
Nun sei mir hier die gleiche ketzerische Frage gestattet, wie im Fall zuvor: Welches Problem soll damit in der Bauindustrie gelöst werden? Es benötigt 100.000 von Beispielen, damit ein ähnlicher Fall automatisiert erkannt werden kann. Woher sollen diese Beispiele, auch noch standardisiert aufbereitet, kommen, um sie in der KI anwenden zu können? Welcher Bauherr, welcher Architekt, welcher Investor und welcher Bauunternehmer veröffentlicht schon freiwillig Details seiner Baumängel oder gar seiner Assets, seien sie künstlerischer, konstruktiver oder wertschöpfender Natur, um als Beispiele zum Anlernen der Neuronalen Netze zu dienen? Die meisten haben ja schon Ängste, Pläne oder BIM-Modelle zu veröffentlichen, weil diese von anderen kopiert werden könnten!
[si-man-tik web] – Semantic Web: Dieselbe Frage kann genauso auch auf das Semantic Web übertragen werden. Wer stellt „dem Internet” so viele persönliche oder geschäftliche Daten zur Verfügung, damit Agentensysteme im WEB 3.0 diese nach eigenen Fragestellungen auswerten können?
Nicht umsonst sind in unserem Rechtssystem Grundbuchdaten nur von den Eigentümern oder Behörden auf Antrag abrufbar und bedürfen auch weiterhin unseres gesellschaftlich vereinbarten Schutzes. Jegliche Infrastruktur- oder Erschließungs-Daten von Netzbetreibern, der Energie- und Wasserwirtschaft, etc. können privat nicht einfach so abgerufen und gesammelt werden.
Nicht umsonst beschäftigt sich der britische Standard BS PAS 1192-5 Specification for Security-Minded BIM auch mit dem Sicherheits-Management wertvoller BIM-Daten.
Bleiben noch Augmented Reality, 3D-Drucker und Drohnen, deren Nutzen zumindest unsere Vorstellungskraft unterstützen und uns in COVID-Zeiten weite Wege einer Vor-Ort-Präsenz nachhaltig ersparen. Und das ist gut so! Auf diese Projekte freue ich mich, wenn sie nicht ausschließlich dem Technologie darstellenden Selbstzweck dienen, sondern einen wirklichen Nutzen erbringen!
Vision vs. Spekulation
Bleibt zum Schluss die Frage, was die vielen, teils selbsternannten „BIM-Experten” ausmacht? Sind es ihre visionären Kräfte, die die Bauindustrie digitalisieren werden? Oder geht es auch hier nur um Spekulationen auf „Disruptive Geschäftsmodelle” deren Auswirkungen wir gerade durch den COVID-19-Booster nur zu deutlich sehen und erfahren können?
Diejenigen, die mehr als zwei Semester Informatik an einer Hochschule gehört oder länger als zwei Jahre programmiert/codiert haben, findet man jedoch selten als BIM-Protagonisten, obwohl eigentlich sie dazu prädestiniert wären, die richtigen Weichen für eine digitale Zukunft zu stellen.
Leserkommentare
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Sebastian Fuchs | 24. November 2021
Lieber Andreas,
vielen Dank für den tollen Artikel. Er spiegelt auch meine Erfahrungen der letzten 15 Jahre wider.
Das Potential der Digitalisierung setzt eine Vielzahl von Visionen frei. Diese müssen bei den Entscheidungsverantwortlichen aber auch mit einer gewissen eigenen Beschäftigungstiefe mit der Materie versehen sein, sonst werden viele Erwartungen enttäuscht.
Als Bauinformatiker begleiten wir auf technischer Ebene gern BIM-Projekte, -Prozesse und -Produkte, die durch konstruktiv kritische Auseinandersetzung mit den eigenen Informationsprozessen gekennzeichnet sind. Die so erkannten größten Verbesserungspotentiale sind dann oft mit einfachen BIM-/IT-Mitteln zu heben.
Und solange national einheitliche Kataloge fehlen, bleibt BIM ein zäher Kaugummi. Jede proprietäre Festlegung verschlimmert es nur noch. Unsere Industriestruktur erlaubt keine immer neu aufgelegte Kompromissfindung über die Planung der (nun digitalen) Planung. Dazu fehlen uns die Honorierung, die BIM-Berater und die Bauinformatiker.
Die Nutzer haben m.E. einen Anspruch auf hochwertige BIM-Software. Die kann aber nur entwickelt werden, wenn die Software-Entwicklungsrisiken minimal sind. Dazu bedarf es eben einheitlicher, offener und verlässlicher Standards.