Kolumne Falk Jaeger
Die High-Tech-Nation bleibt beim Bauen auf der Kriechspur
Deutsche bauen die besten Autos und sind führend im Maschinenbau. Auch bautechnisch liefern sie Superlative, wenn es in die Höhe geht mit den gigantischsten Mobilkranen, wenn es unter die Erde geht mit den leistungsfähigsten Tunnelbohrmaschinen. Deutsche Ingenieure planen die schönsten und smartesten Tragwerke und Brücken.
Nur beim alltäglich Bauen ist Sand im Getriebe. Treibt das Profitstreben die technische Entwicklung, die Rationalisierung und letztlich die Massenfertigung preisgünstiger, aber hochentwickelter Maschinen und Fahrzeuge an, so scheint es im Bauwesen eine gegenteilige Wirkung zu entfalten. Wir bauen organisatorisch und mit Techniken wie vor 100 Jahren. Die Gründe sind vielfältig.
1. Der Maschinen- und Fahrzeugbau tendiert dazu, Entwicklungspotenziale aus Kostengründen in den größtmöglichen Einheiten zu konzentrieren. Die modernsten Autos bauen die großen Konzerne. Auch Spezial- und Nischenprodukte werden von Firmen am höchsten entwickelt, die Weltmarktführer sind, Beispiel Trumpf Lasertechnik. Das Bauen hingegen geschieht vor Ort, es lässt sich nur marginal in große Werke verlagern. Die übers Land verteilten örtlichen Baufirmen zu fusionieren, bringt wenig Effekt. Und so pflegt jede Firma ihr eigenes Bausystem, probiert neue Fügetechniken, entwickelt Modulsysteme. Es fehlt die geballte Forschungskraft großer Konzerne (Zuletzt war es der DDR-Staat, der das Plattenbausystem WBS 70 entwickeln ließ und landesweit einsetzte).
2. Neue Entwicklungen setzen sich einer solchen Struktur am Markt nur schwer durch, auch weil die kleinen Entwickler weder Marktmacht noch die PR-Maschinerie besitzen.
3. Der Kunde fragt High-Tech im Bauwesen nicht nach. Bei seinem Auto oder bei seiner vollautomatisierten Espressomaschine (nur trinken muss er noch selbst), erfreut er sich der Innovation, kennt die Leistungsdaten, fachsimpelt und glänzt damit im Freundeskreis.
Ob ihre Wohnung aus nachhaltigen Baustoffen errichtet wurde und welche Betriebskosten in den nächsten zwei Jahrzehnten zu erwarten sind, ist den meisten Menschen seltsamerweise ziemlich Schnuppe. Übrigens auch – noch merkwürdiger – ob der Grundriss für die eigenen Bedürfnisse optimiert ist. Was zählt, ist der Quadratmeterpreis, mit dem lässt sich kalkulieren, mit dem kann man Angebote vergleichen.
4. Innovationstreiber sind normalerweise die Käufer. Im Bauwesen sind das vornehmlich Investoren. Doch die sind nur am schnellen Umsatz interessiert, profitieren von den Innovationen nicht unmittelbar. Für sie sind reibungslose Abläufe Geld wert. Sie ziehen eingespielte, überschaubare, für sie risikofreie Prozesse vor.
5. Das Vorschriftenwesen reagiert defensiv. Es dauert eben seine Zeit, bis Neuerungen im Bauwesen zertifiziert und normiert sind. Derzeit aktuelles Konfliktfeld ist der innovative Holzbau mit seinen vielfältigen, neu zu bewertenden Erkenntnissen, Konstruktions-, Verarbeitungs-, Füge- und Prüftechniken.
Zu viele Baumaßnahmen bedürfen der teuren Prüfung und Zulassung im Einzelfall. Dazu gibt es unser Föderalismusproblem. Wenn eine Bauweise an einem Ende der Republik eingeführt ist, muss sie am anderen Ende noch lange nicht genehmigungsfähig sein. Man hat den Eindruck, ein Holzbalken brenne in Kiel anders als in Aachen oder die Menschen im prosperierenden Bayern seien zwei handbreit größer gewachsen als im armen Mecklenburg-Vorpommern.
6. Staatliche Reglementierung, a priori ein Bremsklotz am Bein, ist im Bauwesen besonders stark ausgeprägt. Das liegt an der Zerrfaserung der Genehmigungsbehörden. Nicht ein Bundesamt analog dem Kraftfahrtbundesamt hat das Sagen, reglementiert und genehmigt, sondern eine Kaskade von Bundes-, Landes-, Kreis- und Kommunebehörden. Das betrifft vor allem den Unfall- und Brandschutz. Soviel souveränen Sachverstand, wie es dazu bräuchte, gibt es in der Breite nicht. Und so trifft die Anwendung der Vorschriften auf lokaler Ebene auf extrem defensiv agierende Entscheider. Jeder Kreisbrandmeister und jeder Baubeamte bringt seinen ganz privaten Erfahrungsschatz kreativ in den Genehmigungsvorgang mit ein. Persönliche Befindlichkeiten und Vetternwirtschaft sind auf dieser Ebene kaum zu vermeiden.
Fazit: Die finanzielle, organisatorische und rechtliche Struktur der Gebäudeproduktion in Deutschland kann man nur als innovationsfeindlich bezeichnen.
Nötig wäre (wie seit Jahrzehnten), die Baugesetze, die Landesbauordnungen usw. bundesweit zu vereinheitlichen. Den unüberschaubar gewordenen Wust an überholten Vorschriften auszumisten oder zu aktualisieren. Es geht darum, Normierung zu beschleunigen und Fehlentwicklungen im Vorschriftenwesen schneller zu analysieren und zu ändern.
Wer schafft Abhilfe? Der Bundesbauminister – den wir nicht haben, aber das ist ein anderes Thema.