Bautechnik
Editorial Bautechnik 8/21
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
die Hochwasserereignisse der vergangenen Wochen zeigen uns auf dramatische Weise, wie viel Energie in Wasser gespeichert ist und was für eine Spur der Zerstörung strömendes Wasser hinterlassen kann. Umso wichtiger ist es, die zugehörige Infrastruktur zu erhalten und an die Herausforderungen des Klimawandels anzupassen. Damit geht einher, dass Neu- und Ausbauplanungen zunehmend gegenüber dem Erhalt, der Modernisierung und der Instandsetzung der bestehenden Infrastruktur zurücktreten.
Richten wir das Augenmerk auf den Verkehrswasserbau, geht es darum, die Wasserstraße als Verkehrsträger fit für die Zukunft zu machen und einen Beitrag zur Verkehrswende zu leisten. Grundsätzlich ist die Wasserstraße der Verkehrsträger mit dem größten Entwicklungspotenzial. Ein großer Teil der Anlagen hat jedoch inzwischen eine Nutzungsdauer von bis zu 100 Jahren und darüber hinaus erreicht. Gerade die Wehranlagen müssen neben der Wasserstandsregulierung zur Aufrechterhaltung der Schifffahrt die Aufgabe des Hochwasserschutzes gewährleisten. Wehranlagen lassen sich nicht einfach sperren, es handelt sich um sogenannte systemkritische Bauwerke. Unzählige Anlagen sind in den nächsten Jahren instand zu setzen und infolge des Klimawandels – aber auch aufgrund erhöhter naturschutzfachlicher Anforderungen – an geänderte Randbedingungen anzupassen. Daraus ergeben sich enorme Herausforderungen für den Bund und die Länder als Bauherrn, die Planungsbüros und die Bauindustrie. Durch den Fachkräftemangel bei allen am Bauprozess Beteiligten wird die Situation zusätzlich verschärft.
Was ist zu tun? Ein wichtiger Baustein ist Innovation. Neben der deutlichen Beschleunigung von Endscheidungsprozessen in der Verwaltung kann das Entwickeln neuer Planungsmethoden, neuer Vergabemodelle für Planungs- und Bauleistungen und neuer Bauverfahren zur Optimierung der Planungs- und Bauprozesse führen, Personal- und Materialressourcen schonen und zu einer schnelleren Realisierung von Bauvorhaben führen. Eine positive Fehlerkultur kann dazu beitragen, Bauvorhaben im prognostizierten Zeit- und Kostenrahmen abzuwickeln und so verloren gegangenes Vertrauen zurück zu gewinnen. Die Baubranche muss in vielerlei Hinsicht attraktiver werden, um junge Menschen für Bauberufe zu gewinnen. Modelle zur integrierten Projektabwicklung und die Digitalisierung der Prozesse in der Planung und Realisierung können nicht nur einen entscheidenden Beitrag leisten, um schneller und besser zu planen und zu bauen, sondern das Bauwesen als Zukunftsbranche zu etablieren und talentierten Nachwuchs für diese Aufgaben zu begeistern.
Mit diesem Heft wollen wir dazu einen Beitrag liefern und das breite Spektrum an innovativen Themen rund um den konstruktiven Wasserbau zeigen. Der Ausbau des Großen Wellenkanals in Hannover leistet einen weltweit einmaligen Beitrag zur Modellierung und Erforschung von Strömungsprozessen in tidebeeinflussten Gewässern. Erkenntnisse aus der Untersuchung der Wechselwirkungen an Offshore-Gründungskonstruktionen bieten Optimierungspotenzial für effiziente Gründungsstrukturen für zukünftige Anlagen zur Gewinnung regenerativer Energien. Mit dem Projekt „Instandsetzung unter Betrieb“ sollen Alternativen zu herkömmlichen Bauweisen entwickelt und erprobt werden, um Einkammerschleusen unter Aufrechterhaltung der Schifffahrt instand zu setzen. Das Projekt hat sowohl im Hinblick auf das für die Vergabe der Planungs- und Bauleistungen gewählte Dialogverfahren Modellcharakter als auch bei der Entwicklung von Standards für zukünftige Instandsetzungen unter Betrieb.
Erlauben Sie mir zum Ende einen Appell in eigener Sache. Wir werden die Herausforderungen der Zukunft aus dem Klimawandel und der zur Erreichung der Klimaziele erforderlichen Energie- und Verkehrswende nur dann erreichen, wenn die öffentliche Verwaltung, die Planungsbüros und die Bauindustrie an einem Strang ziehen. Dafür braucht es nach Jahren des Sparens in den öffentlichen Haushalten zukünftig zuverlässigere Investitionen in die Infrastruktur der Wasserstraße und einen Kulturwandel bei den am Bau Beteiligten. Nicht der niedrigste Angebotspreis lässt die wirtschaftlichste Umsetzung erwarten, sondern das fachlich und qualitativ beste Angebot, das die Projektrisiken im Hinblick auf Qualität, Budget und Zeit im Blick hat. Ingenieurbüros sind Wirtschaftsunternehmen, niedrige Angebotspreise wirken sich deshalb unmittelbar auf die Qualität und Leistungsumfang der Planungsleistung aus und ziehen häufig Mehraufwendungen in der Bauausführung nach sich. Nur wenn es uns gelingt, den Preisdruck im Bereich der freiberuflichen Leistungen zu reduzieren, können wir das dem Bauprozess anhaftende Konfliktpotenzial selbst beherrschen, die Attraktivität des Bauingenieurberufs erhöhen und im Wettbewerb um die besten Köpfe bei den Absolventen bestehen. Nur dann werden wir langfristig den Anforderungen an den Erhalt und die nachhaltige Entwicklung unserer Infrastruktur gerecht werden.
Dr.-Ing. Jeannette Ebers-Ernst
grbv Ingenieure im Bauwesen GmbH & Co. KG