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Historie

Eine Basisinnovation im Kranbau feiert ihren 100. Geburtstag

Bild 1: Extrablatt zur Leipziger Messe 1913 verkündet eine Basisinnovation im Kranbau (WOLFFKRAN)

Bild 1: Extrablatt zur Leipziger Messe 1913 verkündet eine Basisinnovation im Kranbau (WOLFFKRAN)

Das Extrablatt des „Tagblatt“ zur Leipziger Messe titelte vor 100 Jahren „Revolutionäre Entwicklung in der Bautechnik“ (Bild 1). Dort wird über den ersten schnell montier- und fahrbaren Baukran der Welt berichtet, den die Heilbronner Maschinenfabrik Julius Wolff & Co. auf der Messe präsentierte. Der technikbegeisterte deutsche Kaiser Wilhelm II. soll sich über die Messenovität aus Heilbronn in „Ausdrücken höchsten Lobes und Respectes“ ergangen haben, als Gottlob Göbel, seit 1908 Oberingenieur der Fa. Wolff, des „Pudels Kern“ seines oben drehenden Turmdrehkranes vorführte.

Die ersten Turmdrehkrane
Schon vor der am 3. Mai 1913 eröffneten Internationalen Baufach-Ausstellung in Leipzig, auf der Göbels Wolffkran unter den über 4 Mio. Besuchern Aufsehen erregte, arbeiteten schon Turmdrehkrane vereinzelt auf Baustellen. Es ist die durch den Stahlbetonbau nach 1900 im Bauwesen induzierte zweite industrielle Revolution, welche die Mechanisierung der Baustelle auf die Tagesordnung setzte und im Turmdrehkran ihre Antwort finden sollte. Bei den Turmdrehkranen herkömmlicher Bauart handelte es sich um starre Gerüste, auf die oben ein Kran mit kurzem Ausleger angeordnet wird. Um eine größere Fläche zu überstreichen, muss der Kranturm auf Schienen bewegt werden. So bot die britische Firma Herbert Morris & Bastert Ltd. in ihrem umfangreichen Katalog „Travelling Mast-Cranes“ (fahrende Mast-Krane) an. Bild 2 zeigt diesen patentierten Kran auf Schienen im Baustelleneinsatz.

Bild 2. Fahrende Mast-Krane auf der Baustelle

Bild 2: Fahrende Mast-Krane von Morris & Bastert Ltd. auf der Baustelle (Bachmann et al.)

Erkennbar ist das Kranführerhaus im unteren Mastdrittel, das sich mit dem Kranturm entlang einer Kranbahn bewegt. Sowohl das Kranfahren als auch das Schwenken erfolgt händisch. Elektrisch ist dagegen der Windenantrieb dieser je nach Größe 1 bis 5 t hebenden, ca. 8 bis 30 m hohen Krane mit 3 bis 11 m Ausladung.
Die Duisburger Maschinenbau AG lieferte 1910 einen Werftkran, den sie als „Turmdrehkran“ bezeichnete. So ist auf Bild 3 ein solcher oben drehender Turmdrehkran im Einsatz dargestellt – die technischen Daten: fahrbarer, elektrischer Portal-Turmdrehkran mit Laufkatze, 6 t Tragkraft bei 9 m Ausladung und 3 t bei 16 m sowie 27,1 m Hubhöhe.
Dieser Turmdrehkran war aber funktionell nicht für den Baubetrieb ausgelegt.

Der entscheidende Nachteil der frühen Turmdrehkrane besteht darin, dass deren Einzelteile mit Hilfe eines Mastes hochgezogen und stückweise gefügt werden müssen.

Göbels Innovation

Bild 3. Turmdrehkran im Werfteinsatz

Bild 3: Turmdrehkran der Duisburger Maschinenbau AG im Werfteinsatz (Bachmann et al.)

Der Heilbronner Maschinenbauingenieur konstruierte eine wesentlich wirtschaftlichere Variante des Turmdrehkranes. Erstmals kann der Kran auf dem Boden liegend montiert und mittels der eigenen elektrischen Winde errichtet werden (Bild 4). Nachdem der Turm steht, wird der Ausleger von der Winde hochgezogen und in die gewünschte Position gebracht. Mit diesem Verfahren gelingt es Göbel, die üblichen Montagezeiten der Turmdrehkrane von 10 bis 14 Tage um mehr als 50 % zu reduzieren. Dies ist für die nach dem „Time is Money“-Prinzip durchorganisierte Großbaustelle ein unschätzbarer Vorteil.

Aber damit nicht genug. Über die feststehende Spitze des Kranturms ist eine zweite, sich drehende Spitze gestülpt, an der gleichzeitig der Nadelausleger mit Bolzen angeschlossen ist (s. Bild 1); später sieht Göbel dort auch den Gegenausleger vor. „Für ihre technische Glanzleistung zum Ruhme des Vaterlandes“ wurde die Jul. Wolff & Co. mit einer Goldmedaille der Leipziger Messe geehrt. Göbel kehrte mit mehreren Abschlüssen nach Heilbronn zurück. Dort wird der neuartige Kran vorerst nur einzeln und auf Bestellung gefertigt. Göbel tüftelt weiter: Er konstruiert einen Kran mit drei unabhängigen Elektromotoren, so dass Fahren, Heben und Schwenken gleichzeitig ausgeführt werden können. Schon 1917 bietet die Fa. Wolff auch Turmdrehkrane in schwerer Bauweise an.

Wolffkrane erobern die Großbaustelle

Bild 4. Aufrichten des Wolffkranes

Bild 4: Aufrichten des Wolffkranes (WOLFFKRAN)

Zu einem erheblichen Teil „tragen“ die Heilbronner Turmdrehkrane die in den 1920er Jahren einsetzende Rationalisierungsbewegung auf den Großbaustellen. 1928 bietet die innovative Maschinenfabrik den ersten Turmdrehkran mit Katzausleger an. Die Abnehmerliste der Wolffkrane aus den Jahren 1926 bis 1930 (Bild 5) liest sich wie ein „Who is Who“ zeitgenössischer europäischer Großbaustellen. Auch in den 1930er Jahren bestimmen Wolffkrane das Bild zahlreicher Großbaustellen wie der US-amerikanischen Botschaft in Paris, der Reichsbank in Frankfurt/M und der Beltbrücke (1934). Nach Pius Meyer galt bis zu Beginn des Zweiten Weltkriegs Jul. Wolff & Co. als bedeutendster Hersteller mittelschwerer und schwerer Turmdrehkrane im Bereich von 40 bis 150 mt.

Bild 5. Referenzliste von Julius Wolff & Co.

Bild 5: Referenzliste von Julius Wolff & Co. (WOLFFKRAN)

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg eroberte der Turmdrehkran auch den Wohnungsbau. Seine Stunde schlug 1949 mit dem TK 10 des gelernten Maurers Hans Liebherr (1915-1993) im oberschwäbischen Kirchdorf.
So symbolisiert der Turmdrehkran seit 1913 die Mechanisierung der Baustelle auf anschauliche Weise.
Der Darstellung der historischen Entwicklung der Baukrane hat sich das Kran- und Baumaschinenmuseum in Rattelsdorf angenommen.

Bildquellen:

Bild 1: WOLFFKRAN GmbH (Hg.): WOLFFKRAN. Zwischen Himmel und Erde. Stuttgart: Motorbuch Verlag 2007, S. 20.

Bild 2: Bachmann, O., Cohrs, H.-H., Whiteman, T., Wislicki, A.: Faszination Baumaschinen – Krantechnik von der Antike zur Neuzeit. Isernhagen: Giesel Verlag 1997, S. 79.

Bild 3: Bachmann, O., Cohrs, H.-H., Whiteman, T., Wislicki, A.: Faszination Baumaschinen – Krantechnik von der Antike zur Neuzeit. Isernhagen: Giesel Verlag 1997, S. 81.

Bild 4: WOLFFKRAN GmbH (Hg.): WOLFFKRAN. Zwischen Himmel und Erde. Stuttgart: Motorbuch Verlag 2007, S. 18.

Bild 5: WOLFFKRAN GmbH (Hg.): WOLFFKRAN. Zwischen Himmel und Erde. Stuttgart: Motorbuch Verlag 2007, S. 29.

Literatur:

Bachmann, O., Cohrs, H.-H., Whiteman, T., Wislicki, A.: Faszination Baumaschinen – Krantechnik von der Antike zur Neuzeit. Isernhagen: Giesel Verlag 1997.

Bergerhoff, St., Kessel, H.-G., Meyer, P.: Turmdrehkrane. 100 Jahre auf Baustellen in aller Welt. Brilon: Verlag Podszun 2010.

Brunecker, F.: LIEBHERR – Kräne und mehr. Biberach: Museum Biberach 2005.

Kurrer, K.-E.: The History of the Theory of Structures. From Arch Analysis to Computational Mechanics: Berlin: Ernst & Sohn 2008, S. 411-433.

Moeller, D. P.: Kran- und Baumaschinenmuseum: Von der Idee zur Wirklichkeit. Stahlbau 82 (2013), H. 4, S. 302-308.

WOLFFKRAN GmbH (Hg.): WOLFFKRAN. Zwischen Himmel und Erde. Stuttgart: Motorbuch Verlag 2007.

Autor dieses Beitrages:
Dr.-Ing. Karl-Eugen Kurrer, Wilhelm Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Rotherstr. 21, 10245 Berlin
Chefredakteur „Stahlbau“, Editor-in-chief „Steel Construction – Design and Research“

Datum 3. Mai 2013
Autor Karl-Eugen Kurrer
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