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Fachkräftemangel: Notruf der Bauwirtschaft

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Nicht nur Preisexplosionen bei den Baustoffen oder unsichere Lieferketten bereiten der Bauwirtschaft große Sorgenfalten, sondern der auch immer dramatischere Fachkräftemangel am Bau. Rund 205.000 Stellen sind nach Hochrechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) für das zweite Quartal 2022 im Baugewerbe zurzeit unbesetzt (IAB-Stellenerhebung, Stand 11. August 2022). „Der Bau braucht dabei nicht vorrangig Hilfskräfte, sondern dringend gewerbliche Fachkräfte und Spezialisten“, bringt es BVMB-Hauptgeschäftsführer Michael Gilka auf den Punkt. „Dazu ist die Bauwirtschaft aber zwingend auf die Unterstützung der Politik angewiesen“, fordert er geeignete Maßnahmen und vor allem eine Strategie der Regierung ein. Neben Erleichterungen für die Zuwanderung von Fachkräften geht es der BVMB darum, die gewerbliche Ausbildung attraktiver zu gestalten und das handwerkliche Arbeiten durch mehr Wertschätzung in der Gesellschaft weiter aufzuwerten.

„Ambitionierte Ziele der Politik werden Makulatur“

„Die Politik weiß nicht erst seit wenigen Wochen, sondern bereits seit vielen Jahren, dass der Fachkräftemangel am Bau immer dramatischer wird und auch den Bau immer mehr lähmt, – aber es passiert nicht wirklich etwas, das systematisch helfen würde“, beklagt BVMB-Hauptgeschäftsführer Gilka die inzwischen prekäre Lage der Bauwirtschaft. Immer mehr Baufirmen hätten trotz zahlreicher eigener Initiativen und Investitionen massive Probleme, ausgebildetes Fachpersonal oder Bewerber zu finden. Das betrifft sowohl rein handwerkliche Tätigkeiten als auch beispielsweise Geräteführer und Lkw-Fahrer. Die Entwicklung werde aber auch negativ auf die Politik zurückfallen, so Gilka: „Wenn sich nicht bald substanziell etwas tut, werden die ambitionierten Ziele der Politik wie Mobilitäts-, Verkehrs- und Energiewende oder klimagerechte Sanierungen völlig zur Makulatur“, warnt der Verbandsvertreter. Die von der Ministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen Klara Geywitz (SPD) versprochenen 400.000 Wohnungen pro Jahr blieben dann nur mehr reine Wunschvorstellung – „es sind schlicht zu wenige da, die sie bauen können!“ Wie lässt sich die Misere lösen? Gilka sieht eine Abhilfe in Form der Zuwanderung. Experten schätzen laut BVMB, dass Deutschland pro Jahr rund 400.000 Zuwanderer bräuchte, um die Zahl der Erwerbstätigen allein konstant halten zu können. „Es fehlt aber nach wie vor eine Anwerbestrategie der Politik“, stellt Gilka fest. Fachkräfte müssten im Ausland gezielt angesprochen werden, rechtlich sichere Zugangswege nach Deutschland erhalten und Qualifizierungswege dort aufgezeigt bekommen.

„Politik muss gewerbliche Ausbildung attraktiver machen“

„Mit Zuwanderung allein schaffen wir den Sprung nach vorne allerdings auch nicht“, bekennt Gilka, der „grundsätzliche Maßnahmen im Inland“ von der Politik einfordert. So müsse die Erwerbsbeteiligung der Frauen verbessert werden, wofür mehr Betreuungsangebote für Kinder nötig seien. Ältere Mitarbeiter müssten passend eingesetzt werden, sich qualifizieren können und attraktivere Verdienstmöglichkeiten neben der Rente bekommen. „Wir werden auf die erfahrenen, älteren Mitarbeiter in Zukunft in unseren Bauunternehmen nicht verzichten können“, ist sich Gilka sicher.

Auch müsse die Regierung Auswärtstätigkeiten, wie sie in der Bauwirtschaft und im Handwerk an der Tagesordnung sind, steuerlich deutlich attraktiver gestalten. Allein gelassen wird die Bauwirtschaft und das Handwerk von der Politik auch beim Thema Berufsunfähigkeit und ihrer finanzierbaren und fairen Absicherung für die Arbeitnehmer. Eine ausreichende Berufsunfähigkeitsversicherung ist nahezu für keinen Handwerker heute mehr erschwinglich, obwohl das höhere Risiko gegenüber einem Bürojob meistens offensichtlich und die Absicherung extrem wichtig ist.

Eine „schlagkräftige Ausbildung 4.0“ sieht die Bundesvereinigung Mittelständischer Bauunternehmen jedoch als ein Hauptinstrument für die Zukunft: „Die Politik muss Anreize setzen, um eine gewerbliche Ausbildung attraktiver zu machen“, appelliert Gilka. Ähnlich wie geförderte Studentenwohnheime müssten derartige günstige Unterkünfte auch für gewerbliche Auszubildende geschaffen werden. Die Schulen müssen mehr Aufklärungsarbeit und Unterstützung leisten, um auch für die Bauberufe und ihre guten Perspektiven zu werben. „Das handwerkliche Arbeiten muss durch gezielte Programme aber generell mehr Wertschätzung und Förderung in der Gesellschaft gegenüber akademischen Berufen erfahren“, lautet eine zentrale Botschaft der BVMB. Gilka: „Diese Erkenntnis darf nicht erst eintreten, wenn Horden von Akademikern plötzlich jahrelang warten müssen, bis sie ihr Dach repariert, ihren Hof gepflastert oder ihr Haus gebaut bekommen, da muss jetzt schnell etwas passieren!“

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