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Betonbau, Personalien

Harald S. Müller wird 70 Jahre

Harald S. Müller

Harald S. Müller (Foto: KIT -Karlsruher Institut für Technologie)

Forschung an Baustoffen erfordert zumeist Geduld – sehr viel Geduld. Dies gilt insbesondere dann, wenn man sein forscherisches Streben dem Langzeitverformungsverhalten oder der Dauerhaftigkeit von Beton widmet, wie es Harald S. Müller getan hat. ‚Low hanging fruit‘ – also die gemeinhin ‚einfachen‘ Erfolge – gibt es in diesem Themenfeld, das durch so große Namen wie Volker Wittmann, Hubert Rüsch und Zdenek Bazant geprägt wurde, quasi keine zu ernten.

Stattdessen sind klassische Forscherqualitäten gefragt, wie Weitsicht bei der Versuchsplanung, messtechnische und experimentelle Innovativität sowie Perfektion in den Methoden der Modellbildung. Und nicht zuletzt gehört hierzu eben auch ein hohes Maß an Geduld und Beharrlichkeit, wenn man z. T. viele Jahre auf wichtige Versuchsergebnisse warten muss.

Harald S. Müller hat in seinem forscherischen Leben die Forschung zum Verformungsverhalten von Beton wie kein anderer geprägt und die Tatsache, dass seine Ingenieurmodelle, Formeln und Tabellen heute nahezu weltweit genutzt werden, um Betonbauwerke zu bemessen, sind Beleg dafür, dass er genau über die oben aufgezeigten Forschertugenden verfügt. Zu seinem 70. Geburtstag darf er stolz auf seine außergewöhnlichen Erfolge zurückblicken.

Harald S. Müller – das oft hinterfragte S. steht für Siegfried – wurde am 16.12.1951 in Osterburken im Odenwald geboren. Als Sohn eines Bauingenieurs war ihm das Interesse für ‚den Bau‘ bereits in die Wiege gelegt und schon in seiner Jugend verbrachte er viele Stunden als Praktikant auf Baustellen des Betriebs seines Vaters. Trotz dieser Prägung konnte ihn sein Mathematik- und Physiklehrer überzeugen, nach Abschluss des Abiturs im Sommer 1971 Physik an der damaligen Technischen Hochschule Karlsruhe zu studieren – was sicherlich auch einen wichtigen Grundstein für die sehr naturwissenschaftlich geprägte  Herangehensweise in seiner späteren wissenschaftlichen Arbeit gelegt hat.

Bereits nach kurzer Zeit im Physikstudium wurde Harald Müller jedoch klar, dass seine eigentliche Passion das Bauingenieurwesen war, zu dem er dann auch im Jahr 1972 wechselte. Dieses Studium schloss  er im Jahr 1979 mit einem Preis der Fakultät für Bauingenieurwesen und Geodäsie der Universität Karlsruhe für hervorragende Studienleistungen ab und erhielt sodann die Einladung von Hubert K. Hilsdorf, als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand an dessen Lehrstuhl tätig zu werden. Dieser erkannte sehr früh das Talent von Harald Müller im Bereich der Modellbildung insbesondere zum Verformungsverhalten von Beton und band ihn daher in die damals anlaufenden Arbeiten zur Entwicklung des ‚Model Code for Concrete Structures‘ des damaligen Comité Euro-International du Béton (der heutigen International Federation for Structural Concrete, fib) ein.

Auch nach Abschluss seiner mit Auszeichnung bewerteten Dissertation „Zur Vorhersage des Kriechens von Konstruktionsbeton“ im Jahr 1986, für die er im Jahr 1988 von der Fakultät mit dem Ehrensenator-Huber-Preis ausgezeichnet wurde, blieb er der Arbeit am Model Code in seiner neuen Rolle als Oberingenieur von Hubert Hilsdorf treu und war maßgeblich für die Entwicklung des Kapitels zu den Materialmodellen für Beton im Model Code 1990 verantwortlich.

Sein Wirken blieb in Fachkreisen nicht unbemerkt: Noch vor der Wende 1989 wechselte Harald Müller an die damalige Bundeanstalt für Materialprüfung (BAM) in Berlin, wo er rasch bis zum stellvertretenden Abteilungsleiter und Professor aufstieg und dort im Auftrag des Berliner Senats die einmalige Chance hatte, sich mit vielen baulichen Herausforderungen zu beschäftigen, z. B. den Sanierungen und Ertüchtigungen des Olympiastadions, der Berliner Philharmonie oder des Palasts der Republik.

Im Jahr 1994 erhielt er Rufe an die TU Dresden und die Universität Karlsruhe (TH) und entschied sich, ab 1995 die Nachfolge seines Lehrers Prof. Hilsdorf auf dem Lehrstuhl für Baustoffe und Betonbau in Karlsruhe anzutreten. Trotz weiterer Rufe an andere Universitäten hat er seiner Alma Mater bis zur Emeritierung im Jahr 2017 die Treue gehalten. Heute lehrt und forscht er noch als Gastprofessor an der Universität in Qingdao, China.

In seiner Zeit in Karlsruhe hat Harald Müller extrem viel bewegt. Neben der bereits erwähnten Leuchtturm-Forschung zum Verformungsverhalten von Festbeton – und hier insbesondere zum Kriechen und Schwinden – stellte er sehr schnell fest, dass nicht nur die Verformung von festem Beton viele spannende Fragen birgt, sondern dass auch das Frischbetonverhalten ein extrem herausforderndes Forschungsfeld darstellt. Umfangreiche, auf physikalischen Grundlagen beruhende Arbeiten stellte er hier beispielsweise zum Fließverhalten von selbstverdichtenden Betonen und vor allem von selbstverdichtenden Leichtbetonen vor. Aber auch die Forschung auf dem Gebiet der Dauerhaftigkeit von Beton, kombiniert mit dem Themenfeld der Betoninstandsetzung, entwickelte Harald Müller zu hoher Sichtbarkeit und konnte mit Arbeiten zum Thema der  Bewehrungskorrosion in Stahlbeton, zum  Hydroabrasionsverschleiß von Beton, aber auch zur Dauerhaftigkeit von Naturstein wichtige wissenschaftliche Fragen klären. Seine maßgebliche technischwissenschaftliche Mitwirkung beim Wiederaufbau der Frauenkirche in Dresden zeugt von einer an den Belangen der Praxis orientierten Forschung. Auch zählte er zu den ersten deutschen Wissenschaftlern, die auf die Bedeutung der Umweltwirkungen und Nachhaltigkeit der Betonbauweise hinwiesen und systematisch ihre Forschung auf dieses Thema ausrichteten. Die Bedeutung dieser Entscheidung ist heute allgegenwärtig sichtbar.

Neben seiner Tätigkeit als Hochschullehrer war Harald Müller als vereidigter Sachverständiger im von ihm mitgegründeten Büro SMP Ingenieure im Bauwesen, Karlsruhe und Dresden, sowie ehrenamtlich in  unzähligen technischwissenschaftlichen Gremien engagiert. Deren Auflistung würde hier bei Weitem den Rahmen sprengen. Hervorgehoben werden müssen jedoch sein Engagement als Senatsausschussmitglied und später als Fachkollegiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) sowie seine Zeit als Präsident der International Federation for Structural Concrete (fib) in den Jahren 2015 und 2016. In dieser prominenten  internationalen Funktion waren als Deutsche vor ihm nur Hubert Rüsch (damals CEB) bzw. Hans Wittfoth (damals FIP) in den 1960er und 1980er Jahren tätig. In seiner Amtszeit gelang es Harald Müller, fib weiter zu internationalisieren und wichtige Kooperationen auf- und auszubauen.

Vor dem Hintergrund der immensen Bedeutung des nachhaltigen Bauens mit Beton gab er den Anstoß für die Entwicklung des MC 2020, nachdem er bereits am MC 2010 maßgebend mitgewirkt hatte. Seit nun über 30 Jahren prägt Harald Müller die gesamte Modellbildung zum Werkstoff Beton innerhalb des fib. Für sein fachliches Wirken wurde er im Jahr 2020 durch das American Concrete Institute (ACI) mit der Ernennung zum ACI Honorary Member ausgezeichnet, der höchsten Ehrung des ACI, die in der über einhundertjährigen Geschichte des ACI zuvor nur vier deutschen Bauingenieuren zuteilwurde.

All diese fachlichen Meriten und Erfolge erfordern viel Zeit. Durch seine Frau Cornelia und seine Söhne – und seit neuestem auch eine Enkeltochter – hat er dabei enorme Unterstützung und Bestärkung erfahren, ohne die ein solches Lebenswerk in dieser Form sicher nicht möglich gewesen wäre. Zu seiner ‚erweiterten‘ Familie gehören aber sicherlich auch seine Doktorschülerinnen und Doktorschüler, zu denen auch der Autor dieser Laudatio gehört.

Mit Harald Müller hatten wir einen äußerst engagierten, fachlich überragenden und vor allem menschlich großartigen Mentor, der uns mit ganzer Kraft gefördert, aber auch im besten Sinne gefordert hat. Hierfür danken Dir, Harald, deine Doktorschülerinnen und -schüler ganz herzlich.

Wir alle, Deine Freunde, Deine Kolleginnen und Kollegen, deine ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Deine Schülerinnen und Schüler wünschen Dir, lieber Harald, alles erdenklich Gute zum 70.  Geburtstag. Wir hoffen, dass Du Dich noch viele Jahre bester Gesundheit erfreust, deine Hobbies wie Berg- und Radtouren sowie Tanzen vermehrt genießen kannst, und wir noch viele Jahre mit Dir mit einem Glas Primitivo oder Barolo auf alte, aber auch auf schöne neue Zeiten anstoßen können.

Auch hoffen wir, dass Deine wissenschaftliche Neugier und Deine fachliche Aktivität im „Ruhestand“ noch lange erhalten bleiben und freuen uns darauf, weiter von Dir zu lernen.

Herzliche Glückwünsche
Michael Haist, Hannover

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Datum 16. Dezember 2021
Autor Michael Haist
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