Kolumne Falk Jaeger
In Tippelschritten Richtung Utopie
Wohnraum wird knapp, Mieten werden unbezahlbar, Wohnbevölkerung wird an den Stadtrand gedrängt, eigentümergeführter Einzelhandel und Warenhäuser gehen kaputt. Dass die Entwicklung unsere Städte immer mehr aus dem Ruder läuft und den Planern die Steuerungsinstrumente versagen, das kann eigentlich nicht überraschen. Das Problem ist bekannt, nicht erst seit Marx und Engels, sondern schon seit der Gründerzeit, zum Beispiel durch die Arbeiten des Sozialökonomen Adolph Wagner. Die meisten Fehlentwicklungen lassen sich auf die nicht zu bändigenden Bodenpreise zurückführen. Die Bevölkerung und der Wohlstand und damit der Wohn- und Gewerbeflächenbedarf steigen ständig, doch der Boden ist nicht vermehrbar.
Der Besitz von Grund und Boden – und somit die Spekulation damit – als Kardinalfehler des Kapitalismus wurde im Sozialismus folgerichtig abgeschafft. Und unglücklicherweise wieder eingeführt, als es den sozialistischen Gesellschafts- und Wirtschaftssystemen an den Kragen ging.
Unser Grundgesetz hält sich in dieser Frage klug zurück. Zwar gewährleistet es das Eigentum, doch in Art 14 GG (2) heißt es auch: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“. Immerhin eine soll-Bestimmung. Doch selbst die Vergesellschaftung wird im Art 15 ermöglicht: „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.“
Dass man mit diesem Instrument der Enteignung im Wesentlichen den Bau von Autobahnen und Flughäfen durchsetzt, ist freilich eine zumindest aus heutiger Sicht fragwürdige Auslegung des Begriffs Allgemeinwohl.
So bleibt es beim folgenlosen Lamento all jener, die sich als Volks- oder Gesellschaftswissenschaftler, als Politiker oder Planer mit den negativen Auswirkungen unseres Bodenrechts beschäftigen gegenüber der Bunkermentalität der Besitzenden, die davon profitieren.
Und bei den Versuchen, scheibchenweise Änderungen an den Besitzverhältnissen zu erwirken. Mit Vorkaufsrechten zum Beispiel versuchen Städte, ihren Grundbesitz zu vergrößern, in kleinem Umfang wenigstens. 2006 hatte die Stadt Dresden ihre 48.000 Wohnungen verkauft und war mit einem Schlag schuldenfrei geworden. Doch längst ist die Privatisierung als epochaler Fehler erkannt worden. Dresden hat reumütig eine neue Wohnungsbaugesellschaft gegründet und baut nun in Tippelschritten den kommunalen Wohnungsbestand neu auf.
Gegen harte Widerstände versuchen Städte, die Gemeinwohlverpflichtung zu stärken und bei privaten Neubauvorhaben über den Hebel des Planungsrechts 20 oder bestenfalls 30 Prozent Sozialwohnungen durchzusetzen. Auch die Förderung von Genossenschaften und Wohngruppen steht auf der Agenda, letztlich alles Maßnahmen, den Investoren und Spekulanten Aktionsmasse zu entziehen.
Ein noch mühsameres Geschäft für Planer und Behörden ist die Erhaltung oder Wiederbelebung der Urbanität der Innenstädte. Ein Kuratieren der Ladenflächenbelegung wäre wünschenswert, wie in gut geölten Einkaufszentren. Doch das würde bedeuten, dass man einen Pool bildet und nicht mehr jeder einzelne Hausbesitzer seine Flächen individuell meistbietend vermarktet, weshalb nur noch internationale Modeketten mithalten können.
Der Berliner Architekt und Quartiersplaner Christoph Kohl hat jüngst vorgeschlagen, den Rentabilitätsdruck von den Erdgeschossen zu nehmen. „Die Wirtschaftlichkeitsberechnung für die Immobilie könnte ja auch dank eines Bonus-Erdgeschosses erst ab dem ersten Obergeschoss beginnen und man könnte zum Beispiel die Erdgeschosse für einen symbolischen Euro vermieten.“ An eigentümergeführte Restaurants und Cafés, an kleine wohnungsnahe Dienstleister, an Vereine und Kulturinitiativen. Die Nutzungsvielfalt und damit die Attraktivität für die Stadtbewohner könnte zurückgewonnen werden.
Gegen die Bodenspekulation und deren Auswirkungen anzukämpfen, bleibt ein mühsames Unterfangen mit vielen Einzelmaßnahmen, da eine konsequente Bodenreform zumindest in Innenstädten in unserem politischen System wohl Utopie bleibt.
Leserkommentare
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Karl-Eugen Kurrer | 1. Juli 2020
Vielen Dank für den erhellenden momentum-Artikel von Falk Jäger.
Lohnenswert zu diesem Thema:
– Friedrich Engels: Zur Wohnungsfrage (1872)
– Alexander Mitscherlich: Die Unwirtlichkeit unserer Städte (1965)
– Alexander Wilcke: Die Stadt als Beute (2016) – DokumentarfilmIm Dokumentarfilm ließ Wilcke den Immobilien-Unternehmer Groth (von der Groth-Gruppe) erzählen, dass sich die Preise von Immobilien der Stadt radial von Innen (City) nach Außen (Peripherie) von teuer zu weniger teuer bewegen. Das hat zur Folge, dass in den inneren Ringen der Stadt abgerissen wird, um neu zu Bauen. Soweit Groth.
Aktuelles Beispiel aus Berlin: Das 100 Jahre alte Filmtheater “Colosseum” in der Schönhauser Allee wird wahrscheinlich abgerissen werden, um Platz für ein Bürogebäude zu schaffen (weil profitabler). Eine neue Stufe der Privatisierung semi-öffentlicher Räume – langweiliger gehts nicht. Der Grund und Boden ist “wertvoller” als das darauf sich befindliche Filmtheater, das vor knapp 20 Jahren aufwändig saniert wurde. Ein weiterer Mosaikstein zur Unwirtlichkeit unserer (unserer?) Städte, aber auch ein Beispiel für die tägliche Ressourcenverschwendung. So wurden auch Wohnraum zugunsten von profitableren Bauwerken vernichtet, oder es wurden in der Innenstadt Luxuswohnungen errichtet, die sich kein Mensch leisten kann, der sein Geld durch Können und Wissen verdienen muss. Die meisten Menschen werden an die Peripherie verdrängt – diese Migrationsströme induzieren wiederum ein Ansteigen des Verkehrsaufkommens (aber das ist nicht der einzige Preis der Verdrängung der Menschen an die Peripherie: z.B. sozialpsychologischen Schäden, die an anderer Stelle die Gesellschaft mit erhöhten Gesundheitskosten belasten).
Friedrich Engels schrieb 1872: “Die Ausdehnung der modernen großen Städte gibt in gewissen, besonders in den zentral gelegenen Strichen derselben dem Grund und Boden einen künstlichen, oft kolossal steigenden Wert; die darauf errichteten Gebäude, statt diesen Wert zu erhöhn, drücken ihn vielmehr herab, weil sie den veränderten Verhältnissen nicht mehr entsprechen; man reißt sie nieder und ersetzt sie durch andere. (…) Das Resultat ist, daß die Arbeiter vom Mittelpunkt der Städte an den Umkreis gedrängt, daß Arbeiter- und überhaupt kleinere Wohnungen selten und teuer werden und oft gar nicht zu haben sind; denn unter diesen Verhältnissen wird die Bauindustrie, der teurere Wohnungen ein weit besseres Spekulationsfeld bieten, immer nur ausnahmsweise Arbeiterwohnungen bauen” (S. 20).
Engels’ Feststellung trifft heute nicht nur für Arbeiter zu, sondern auch für gut verdienende Angestellte. Sie alle werden nach außen verdrängt.
Wäre es nicht gut, wenn “momentum” den 200. Geburtstag von Engels (1820-1895) zum Anlass nimmt, sich mit seiner Schrift “Zur Wohnungsfrage” auseinanderzusetzen? Die geplagten MieterInnen der großen Städte wären sicherlich dankbar.