momentum magazin für Bauingenieure präsentiert von Ernst & Sohn
Bauen digital, BIM - Building Information Modeling, Gespräch, Vermischtes

„Bis am Modell verbindlich geprüft wird, wird es noch sehr lange dauern“

Gespräch mit André Jeske, Christian Schmitt und Helene Wehner von SSF Ingenieure

SSF wurde dieses Jahr 50. Wollen Sie die Entwicklung Ihres Büros ein wenig Revue passieren lassen? Und gehen Sie dabei vielleicht auch punktuell auf die schrittweise Digitalisierung der Planungspraxis ein?

Christian Schmitt – Vorstandvorsitzender SSF Ingenieure (Foto: SSF Ingenieure)

Christian Schmitt: SSF wurde 1971 gegründet. Mein Vater, Victor Schmitt und Dieter Stumpf haben beide in einer Münchner Baufirma gearbeitet. Mit ihrem Entschluss sich selbstständig zu machen, ist das Ingenieurbüro Schmitt und Stumpf entstanden.

Die Aufträge der ersten Jahre beschränkten sich vor allem auf die Tragwerksplanung von kleineren Autobahnbrücken. Die Innovationsfreude und kreativen Ideen der beiden Gründer – insbesondere die neuen Fertigteilbrücken und die Modulbauweise – überzeugten die Auftraggeber und so wuchs das Unternehmen kontinuierlich. 1989 trat Wolfgang Frühauf als Spezialtiefbau-Experte und dritter Gesellschafter ins Unternehmen ein und das Büro wurde zur Ingenieurgesellschaft Schmitt, Stumpf, Frühauf und Partner. Gemeinsam wollte das Führungstrio neue Geschäftsfelder erschließen und als Generalplaner komplexe Bauwerke von der Konzeption bis zur Übergabe begleiten.

Innovationsfreude und Geschäft stimmen ja nicht immer überein, wenn die Zeit noch nicht reif ist …

C.S.: Schon wahr. Bei SSF zahlte sich aber der Mut der drei Gesellschafter, eigene Ideen zu verwirklichen und Innovationen anzustoßen sehr wohl zur rechten Zeit aus und das Unternehmen wuchs weiter und lässt bis heute neue Lösungswege zu Regelbauweise werden  –  so z. B. beim Querverschub von Eisenbahnbrücken.

Ihr Büro hat ja dann beschlossen, sich unmittelbar nach dem Mauerfall auch in Ostdeutschland zu etablieren.

C.S.: Wir haben die Zeichen der Zeit wohl richtig gedeutet. Die Niederlassungen Berlin und Halle wurden 1991 gegründet und heute ist SSF Ingenieure ein gesamtdeutsches Planungsbüro. Dann entstanden Partnergesellschaften im Ausland und der Kompetenzverbund der SSF-Gruppe. Und so behauptet sich SSF immer mehr als Innovationsmotor im Bauwesen. 2008 erfolgte die Umbenennung in SSF Ingenieure. Gleichzeitig wechselten die Gründer in den Aufsichtsrat und Christian Schmitt und Helmut Wolf stellten dann die neue Führungsgeneration, die 2011 von Anton Braun komplettiert wurde. Den familiären Geist hat SSF sich aber bis heute erhalten und dabei auch das einst gesteckte Ziel erreicht: vom Brückenbauer zum Generalplaner zu werden und spektakuläre Bauten wie die BMW Welt in München zu planen und zu begleiten.

In den Anfangsjahren wurde sicher auch bei SSF noch alles von Hand bzw. mit dem Rechenschieber gerechnet, und am Zeichentisch konstruiert, ja?

C.S.: Klar, aber sukzessive gingen wir dann zu elektronischen Tischrechnern und Taschenrechnern über. In den 80’er Jahren hielten dann die ersten PCs Einzug, zunächst für die statische Berechnung und dann auch für CAD. Der nächste Schritt war dann die Vernetzung der Büro-PCs und der erste Server. Die zentrale Datenablage auf dem Server führte weg von den Originalplänen auf Transparent, hin zu einer digitalen Dateiablage.

Gleichzeitig führten wir einen E-Mail-Server ein und somit die Anbindung an das Internet. Ja, und diese – heute unspektakulären – Schritte waren es doch, die uns ermöglichten, schließlich einen durchgängigen Planungsprozess in BIM abzubilden.

Zählen Sie SFF in Sachen Digitalisierung oder konkret BIM zu den early adoptern?

C.S.: Wir beschäftigen uns seit fast 10 Jahren mit diesem Thema und können uns sicher als early adopter betrachten.

Sie haben kürzlich eine eigene BIM-Gruppe, bewusst getrennt von der IT-Abteilung, gegründet. Welche Überlegungen führten zu diesem Schritt?

André Jeske – Leiter Bereich BIM Entwicklung, Berlin / SSF Ingenieure (Foto: SSF Ingenieure)

André Jeske: Für uns war ganz klar, dass BIM nicht gleich IT ist. Durch die Anfänge in BIM bei SSF ergab sich diese Struktur. Man wusste noch nicht, wo hin die Reise geht. Nun, wo die BIM-Methode schon fast zum Standard geworden ist und auch bei uns die Anzahl an BIM-Projekten steigt, zeigte es sich, dass die Kollegen einen zentralen Ansprechpartner brauchen und auch auf Firmenebene eine einheitliche Struktur hermusste. Denn eine Doppelbearbeitung/-Entwicklung der BIM Methode in den Abteilungen ist nicht zielführend und das soll durch eine BIM Gruppe abgefangen und zentralisiert werden.

Helene Wehner – Leiterin Bereich BIM Entwicklung, München / SSF Ingenieure (Foto: SSF Ingenieure)

Helene Wehner: Uns ist bewusst, dass für eine gute Implementierung der BIM-Methode im Unternehmen und auch in der Bearbeitung der Projekte viele Entwicklungen benötigt werden, die wir aus unserer BIM-Gruppe zentral koordinieren wollen. Die damit verbundenen Aufgaben sind vielfältig. Dabei geht es zum einen um die Weiterentwicklung unserer Firmenstandards, der Pflege unserer Bauteilbibliotheken, der Entwicklung von firmeninternen Softwaretools und der Umsetzung unseres BIM-Qualitätsmanagements, mit deren Hilfe wir unsere Projekte einheitlich und teilweise automatisiert abwickeln können. Zum anderen geht es aber auch um Themen wie Wissensmanagement. Welche Gruppen haben welche Erfahrungen bei der Bearbeitung in BIM gemacht und wie können wir dieses Wissen firmenweit streuen? Wie halten wir unsere Mitarbeiter auf dem neuesten Stand und bilden diese weiter? Dafür entwickeln wir Konzepte zu Anwendertreffen, internen und externen Schulungen und Workshops und schaffen Plattformen für einen regen Austausch.

2013 – 2015 waren Sie am Metro-Projekt in Doha beteiligt. Für ein BIM-Projekt im Infrastrukturbau ziemlich früh. Was hat das Projekt für Ihre spätere Infrastrukturplanung bedeutet?

C.S.: Wir mussten uns bei diesen Planungen mit Dritten über Europa hinweg koordinieren, sodass wir sehr früh erkannt haben, welche Potentiale an der Schnittstellenproblematik zu den anderen Beteiligten am Bau über weite Entfernungen gelöst werden konnten.

Bild 4 Modell "The White Palace Station" der Metro Doha, Katar (Bild: SSF Ingenieure)

Metro_DohaRelativ schnell im Anschluss haben wir auch die ersten Schritte in der BIM-Methodik in den ersten Leistungsphasen bei Umbau am Sendlinger Tor gemacht. Wir haben dort Ablaufsimulationen erstellt, neben der Plausibilisierung der Bauzeiten wurden u. a. die Beeinträchtigungen an Oberflächen einschließlich sämtlicher dazu benötigter Bauphasen visualisiert. Hierbei haben wir früh das Potential dieser Methodik u. a. auch für die Öffentlichkeitsarbeit erkannt.

Wie sehen Sie die Entwicklung, hin zu für alle verbindlichen Standards im Hochbau und insbesondere im Ingenieurbau, was würde Sie sich diesbezüglich wünschen und wie lange dauert es wohl noch, bis am Modell freigegeben werden kann?

A.J.: Bis am Modell verbindlich geprüft wird, wird es noch sehr lange dauern. Und hier sind wir als Planer auf die Auftraggeber angewiesen, wie schnell diese hier vorankommen. Wenn wir Bund und Länder sehen, wird es wohl noch mindestens bis 2035 dauern, bis etwas in dieser Richtung funktionieren kann. Technisch wären wir jetzt schon dazu in der Lage. Wir können den AG diese Möglichkeiten nur weiterhin aufzeigen und ihn ermutigen.

Also noch ein weiter Weg bis zu wirklicher Arbeit mit BIM?

H.W.: Für uns geht es nicht nur um BIM, sondern grundsätzlich um die Digitalisierung unserer Planungsprozesse. Je digitaler unsere Planung abläuft, desto besser können Prozesse automatisiert werden und somit Zeit und Kosten bei repetitiven Aufgaben eingespart werden. Vor diesem Hintergrund sind Standards unabdingbar, denn nur was standardisiert ist, kann auch automatisiert werden. Uns ist bewusst, dass verschiedene Auftraggeber verschiedene Standards entwickeln werden und wir unsere Prozesse darauf abstimmen müssen. Aber je einheitlicher diese werden, desto effizienter können unsere Prozesse an die Anforderungen der Auftraggeber angepasst werden.

Bild 5 Modell des Münchner Volkstheaters (Bild: SSF Ingenieure)

Beim Thema IFC gibt es ja regulär verschiedene Konfessionen. Während im Hochbau das IFC-Thema wohl weitestgehend durch ist, nimmt es im Infrastrukturbau erst Fahrt auf. Wie sehen Sie da die IFC-Situation?

H.W.: Gerade in der Infrastruktur in Deutschland spielt IFC eine wichtige Rolle. Denn Infrastrukturprojekte sind vorrangig öffentliche Projekte, die herstellerneutral ausgeschrieben werden. Ein offener Standard ist da wichtig, um dieser Anforderung gerecht werden zu können. Aber neben rein rechtlichen Aspekten, gibt es auch andere Vorteile von IFC. Nämlich dann, wenn es um eine langjährige Datenvorhaltung geht.

Ein wenig behandeltes Thema, die „Haltbarkeit“ von Daten …

H.W.: Ganz genau! Wer sagt uns denn, dass wir unsere BIM-Modelle in den Datenformaten, in denen wir sie erstellt haben in zwanzig, dreißig oder fünfzig Jahren noch öffnen, lesen und sogar bearbeiten können? Eine IFC kann über einen einfachen Texteditor geöffnet und gelesen werden. Das bedeutet, im Zweifel kann ich die Datei immer öffnen. Ob IFC mit all den Entwicklungen in der digitalen Welt auch in Zukunft noch der offene Standard sein wird, lässt sich nicht sagen. Aber zum jetzigen Zeitpunkt ist es wichtig, dass weiter an dem Standard gearbeitet wird.

A.J.: Aktuell ist IFC ein schöner Gedanke und sollte unbedingt weiterverfolgt werden. Wenn dann auch alle Infrastrukturbereiche implementiert sind, sind wir definitiv einen Schritt weiter, aber ob das die aktuelle Situation mit den nativen Daten entspannen wird, werden wir dann sehen, ich glaube es aber nicht.

Bild 6 Modell der Westendbrücke, Berlin (Bild: SSF Ingenieure)

International operierende Büros wie SFF Ingenieure sehen sich zunehmend dem Wettbewerb von internationalen Büros aus dem Ausland ausgesetzt, die teils massive Begehrlichkeiten auf dem deutschen Markt haben. Wie schätzen Sie hier die künftige Entwicklung ein?

C.S.: Derzeit ist eine Konzentration von Ingenieurbüros auf dem deutschen Markt erkennbar. Große außerdeutsche Unternehmen spielen da genauso eine Rolle, wie der deutsche Markt selbst. Diese Entwicklungen, sicherlich auch die COVID-Situation in den vergangenen 1,5 Jahren, einhergehend mit dem Wegfall der HOAI haben zu einer geringfügig verminderten Angebotssituation und zu einem Preisverfall für Ingenieurleistungen geführt. Doch ist das Interesse aus dem Ausland für den deutschen Ingenieurmarkt vermutlich auch deshalb groß, weil hierzulande noch große Infrastruktur-Aufgaben anstehen. Dafür hat die öffentliche Hand Investitionspakete für die nächsten Jahren auf den Weg gebracht. Die daraus resultierende, erhöhte Nachfrage lässt hoffen, dass die vorher beschriebene Situation sich wieder auf das Vor-COVID-Niveau einpendeln wird.

Es gibt zunehmend parametrisierte Brückenentwürfe. Wo geht hier aus Ihrer Sicht die Reise hin und welche Rolle können dabei KI-Algorithmen zukünftig spielen?

H.W.: Die Parametrisierung der Modelle ist mit Sicherheit ein erster Schritt hin zu neuen digitalen Methoden, wie beispielsweise KI. Es wäre durchaus denkbar, dass auch im Brückenbau irgendwann, vermutlich eher früher als später, KI-Algorithmen eine Rolle spielen und den eigentlichen Brückenentwurf liefern. Unsere Aufgabe als Ingenieurinnen und Ingenieure wäre dann, diese KI-Algorithmen zu entwickeln und die gelieferten Entwürfe zu überprüfen und zu beurteilen. Die Digitalisierung bietet uns viele neue Möglichkeiten, die unser Berufsbild mit Sicherheit deutlich verändern werden. Der Umgang mit KI ist davon nur eine, der wir uns gerne zukünftig stellen werden.

Bild 7 Modell des Rampenbauwerkes des Autobahndreiecks Heumar (Bild: SSF Ingenieure)

Und Sie sähen bei KI keine Entmachtung der Ingenieurs-Kompetenz?

A.J.: KI wird immer mehr im Alltäglichen und in der Bearbeitung unsere Projekte Einzug halten und uns vielleicht auch maßgeblich unterstützen. Sehr wohl sollten wir uns davon aber nicht verleiten lassen, unsere Kompetenz aus den Händen zu geben. Wir haben selbst große parametrische Brückenmodelle entwickelt und stellen auch hier immer wieder fest, dass der Planer/Ingenieur am Ende und auch während der Entwurfsphase immer gebraucht wird. Sonst kommt am Ende nichts Vernünftiges raus. Bis jetzt kann ich mir noch nicht vorstellen, dass eine KI das komplett übernehmen kann.

Wenn Sie als Planer einen Wunsch frei hätten, der Ihre Arbeit maßgeblich begünstigen würde, welcher wäre das?

H.W.: Aus Sicht unserer BIM-Entwicklungsabteilung wäre das der Wunsch nach einem Ausbau der digitalen Infrastruktur sämtlicher Ämter, sowohl Software- als auch Hardwaretechnisch. Das würde uns die Abstimmung mit den Auftraggebern im Rahmen einer BIM-Planung deutlich vereinfachen. Genauso wie mehr Offenheit und Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Technologien.

A.J.: Das alle in diesem Bereich offen miteinander reden würden. Die Softwarehersteller offener untereinander wären und wir nicht deren Kampf ständig ausführen müssten. Das der Auftraggeber visionärerer wäre und wir neue Möglichkeiten schneller ergründen und umsetzen können. Dann würde uns viel Arbeit erspart bleiben.

Bild 8 Logo SSF / BIM (Bild: SSF Ingenieure)

Gibt es ein Projekt, von dem sie jenseits pekuniärer Implikationen träumen?

A.J.: Ich habe da kein bestimmtes Projekt vor Auge. Ich würde nur gerne einmal ein Projekt im Infrastrukturbereich (Brückenbau) mit der aktuell möglichen Technik bearbeiten und umsetzen. Also das nutzen, was aktuell wirklich möglich ist. Hierzu müssten wir uns aus der AEC Zone vielleicht einmal rausbewegen und den Bereich der Gaming Engine mitberücksichtig. Die Norweger machen es ja gerade vor.

Herr Jeske, Herr Schmitt und Frau Wehner, haben Sie Dank für dieses Gespräch.

 

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Datum 26. November 2021
Autor SSF Ingenieure AG
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