Kolumne Reinhard Hübsch
leck mich oder: was sind die bauingenieure der post wert?
leck mich – mit diesem imperativ werden architekten und ingenieure immer noch jeden tag konfrontiert. denn wenn entwurfsskizzen, pläne und berechnungen nicht per mail, sondern mit der post verschickt werden, muss immer noch die gute alte briefmarke bemüht werden. doch haben architekten, wenn sie zu den gezackten gebührenmarken greifen, dabei ungleich mehr freude als die ingenieure, denn in der welt der philatelie tummeln sich mehr kollegen von der einen als von der anderen zunft.
nicht nur das: wer auf die kleinen, zumeist nur wenige quadratzentimeter großen werbetafeln (und das sind die porto-belege allemal!) blickt, sieht bauwerke aus der feder von architekten ungleich öfter als jene konstruktionen, für die ingenieure verantwortlich gezeichnet haben. so hat die deutsche post im laufe der letzten jahrzehnte alles porträtiert, was in der architekturhistorie rang und namen hat: von balthasar neumann und carl gotthard langhans über schinkel bis zu ludwig mies van der rohe und egon eiermann – entweder wurde die markanten köpfe dem briefeschreiber nahegebracht oder aber die bauwerke, die sie zu verantworten hatten: von mies ist die neue nationalgalerie ebenso zu bestaunen wie sein berühmter weltausstellungs-pavillon für barcelona, eiermanns gedächtniskirche für berlin, schinkels museumsbau unter den linden, von langhans selbstverständlich das brandenburger tor, aber auch sein schlosstheater in berlin-charlottenburg. und wer den blick in die internationale der bau-welt richtet, dem wollen vor lauter corbusier (schweiz), josef hoffmann (österreich), frank lloyd wright (usa) und vielen vielen anderen die freudentränen kommen. architekten aller länder – vereinigt seid ihr im ewigen briefmarken-bund!
trauer muss dagegen der ingenieur tragen: kaum einer seiner kollegen wurde für würdig befunden, auf karten, briefen und paketen vom ruhm der zunft zu zeugen. wenn der deutsche briefmarken- und bau-historiker nicht auf das erbe der ddr-post zurückgreifen würde, sähe die deutsche bilanz nach 1949 geradezu armselig aus: die sozialistische briefmarke ehrte 1952/53 wenigstens den (auch-)ingenieur leonardo da vinci, 20 jahre später schaffte es das berühmte ahornblatt auf der berliner fischerinsel (nach der wende abgerissen) auf eine 12-pfennig-marke – wobei der ingenieur ulrich müther, der diese filigrane kostbarkeit entworfen hatte, nicht genannt wurde.
1976 erschien dann eine reihe „brücken in der ddr“ mit zeichnungen der konstruktionen in berlin-adlergestell oder der brücke am großen dreesch in schwerin – doch wer sie entworfen hatte, erfuhr der betrachter nicht. in der bundesrepublik wurde die brücke zwischen ingenieuren und briefeschreibern gelegentlich geschlagen (etwa 2008 mit der altenrheinbrücke im badischen bad säckingen), gelegentlich ging die post – wie ab 2005 – auch mit turmbauten in ungeahnte höhen: gleich vier leuchttürme wie die in falshöft oder brunsbüttel strahlten da ins land.
und der blick in die nachbarschaft will auch nur selten freude machen: paris ehrte den berühmten turm des ingenieurs gustave eiffel mit einer biefmarke, den usa war richard buckminister fuller 2004 immerhin eine 37-cent-briefmarke wert.
diese porto-ungerechtigkeit lässt sich allerdings ausgleichen, denn dem bundesfinanzministerium – das für die gestaltung der postwertzeichen zuständig ist – kann jedermann und jedefrau vorschläge machen, jährlich im herbst berät dann ein programmbeirat, welche motive ausgewählt werden. bis zum 15. September müssen die vorschläge für das jahr 2016 vorliegen – mehr dazu hier.
für dieses jahr bleibt es bei einem philatelistischen 5:1- vorteil für die architekten: das kloster lorsch und das schloss stolzenfels am rhein (an dem u.a. schinkel und stüler mitwirkten) sind bereits veröffentlicht, im märz folgt die albrechtsburg in meißen, im herbst der leuchtturm von buk (erbaut von landbaumeister carl luckow), gleichzeitig erscheint wenigstens ein ingenieurbauwerk: der leuchtturm von pellworm, eine konstruktion aus 130 tonnen gussstahl. ingenieur: unbekannt.
übrigens: 2016 wäre der 125. geburtstag des norddeutschen hafenbauingenieurs arnold agatz zu feiern, george bähr (der die frauenkirche in dresden konstruierte und den die bauingenieure mit fug und recht als einen der ihren für sich reklamieren können) kam 350 jahre zuvor in fürstenwalde zur welt. und wenn der den berliner ministerialen keine briefmarke wert ist, dann müsste man als bauingenieur zumindest denken: leck mich …
Leserkommentare
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Tschumi Marcel | 3. März 2014
Sehr geehrter Herr Hübsch,
Ich bin ganz Ihrer Meinung. Vor einigen Jahren habe ich bei der Deutschen Post eine Serie mit den Köpfen von 4 Bauingenieuren (u.a. Brückenbau) verlangt, das Gesuch wurde aber leider abgelehnt. Dafür wurden dann jedes Jahr Briefmarken mit Brücken herausgegeben.
Ich habe eine thematische Briefmarkensammlung mit dem Titel “Brücken, Wunder der Technik aus vier Perspektiven”, die ich dieses Jahr in Paris ausstelle, auf internationalem Niveau.
Mit freundlichen Grüssen -
Tschumi Marcel | 9. März 2014
Nachtrag: Mein Gesuch an Herrn Rekittke vom 6.9.1999 betreffend Antrag zur Herausgabe einer Briefmarkenserie mit den Porträts von deutschen Brückenbauern oder Ingenieuren betraf:
Carl Culmann
Otto Mohr
August Wöhler
Emil Moersch