BIM - Building Information Modeling, Gespräch
“Mit Forschung und Entwicklung immer eine Nasenlänge voraus”
momentum sprach mit Dr.-Ing. Oliver Geibig, Technischer Leiter Zentraleuropa, Hilti Deutschland AG, über die Unternehmensstrategie und die Bedeutung von Grundlagenforschung in Zeiten von BIM.
momentum: Wenn man sich die Produktpalette von Hilti anschaut, drängt sich die Frage auf: Was haben Sie eigentlich nicht im Angebot?
Dr. Geibig: Man muss sich dazu die Unternehmensgeschichte vor Augen führen. Hilti wurde 1941 in Liechtenstein gegründet und war zunächst auf Geräte zur Direktmontage spezialisiert. Da man unter Wasser noch nicht schweißen konnte, war das für kleinere Reparaturen an Schiffen – es war ja Kriegszeit – bestens geeignet. Heute nennt man diese Technik übrigens Bolzen setzen. Die Geräte wurden zunächst über Baumärkte vertrieben und Martin Hilti hat dann aber sehr schnell gemerkt, dass der Verkauf beratungsintensiv ist. Daraus entstand der Direktvertrieb.
Das nächste waren dann die legendären Bohrhämmer, die nach dem elektropneumatischen Prinzip arbeiten. Das war in den 60er Jahren eine Revolution. Und diese Geräte passten auch in den Direktvertrieb. Das ist der Vertriebskanal, bei dem man direktes Kundenfeedback bekommt und das fließt dann in die Weiterentwicklung der Produkte ein.
So entstand ein umfangreiches Produktportfolio, zugeschnitten auf den Direktvertrieb. Mittlerweile haben wir Messtechnik, Bohr- und Meisseltechnik, Diamanttechnik, Trenn-, Säge und Schleiftechnik, Befestigungstechnik (Dübel, Direktmontage, Ankerschienen, Schrauben), Installationstechnik und Brandschutz in unserem Produktportfolio und das Ganze dann noch kombiniert mit Software, mit Services, mit unserer direkten Beratung vor Ort.
Eine der Hilti Produkt-Neuheiten ist ein Hohlbohrer. Was hat es damit auf sich?
Bisher mussten Bohrlöcher für nachträglich eingeklebte Bewehrung mit Druckluft gereinigt werden. Wir haben einen Bohrer entwickelt, bei dem das nicht mehr nötig ist. Der ist innen hohl, vorne an der Bohrspitze sind entsprechende Öffnungen, an den Bohrhammer wird ein Staubsauger angeschlossen und dann wird während des Bohrens das Loch automatisch komplett gereinigt. Das ist ein Riesenvorteil, wenn man die Staubfontänen bedenkt, die sonst rauskommen, wenn das Bohrloch mit 6 bar Druckluft gereinigt wird. Damit ist die Qualität der Installation auch gesichert, denn oftmals werden die Bohrlöcher auf Baustellen eben gar nicht gereinigt. Dazu kommt, dass große Einhausungen eingespart werden können, wenn mit diesem Hohlbohrer die Löcher gebohrt werden, wie jetzt beispielsweise bei der Humboldtbrücke in Berlin.
Dieser Bohrer ist ja nicht Ihre einzige Neuentwicklung. Wie viel steckt Hilti eigentlich in Forschung und Entwicklung?
Pro Jahr bringt Hilti rund 30 Neuprodukte auf den Markt. Wir haben einen recht ansehnlichen Forschungs- und Entwicklungsetat, 4% bis 5% vom Umsatz. Das liegt im dreistelligen Millionenbereich Schweizer Franken jährlich, Tendenz steigend. Wir investieren so viel, weil wir der Meinung sind, so können wir wirklich unsere Marktführerschaft, die wir zweifelsohne in vielen Bereichen haben, weiter ausbauen. Und da, wo wir noch keine Marktführerschaft haben, streben wir diese natürlich an.
Das gehört sicherlich auch zu Ihrer Strategie Champion 2020, von der auf der Hilti Webseite zu lesen ist?
Wir haben eine klare Ausrichtung, dass wir in dem Bereich „relativer Marktanteil“ vorankommen wollen. Das heißt, unser klares Ziel ist, Marktführerschaft zu erreichen, in den Bereichen, wo wir es noch nicht sind. Dafür reicht es nicht nur, die tollen Produkte zu haben; man braucht auch das richtige Verkaufsteam, die richtige Marketingabteilung und eine sehr genaue Beobachtung der Wettbewerber. Aber nur den Wettbewerb zu beobachten und darauf zu reagieren, wäre sicher zu wenig. Deswegen ist unser klares Ziel, mit Forschung und Entwicklung immer eine Nasenlänge voraus zu sein.
Eine Nasenlänge voraus ist man sicher auch durch Gremienarbeit …
Wir haben eine Abteilung in unserer Zentrale in Liechtenstein, die sehr intensiv auch an Vorschriften mitarbeitet. Das heißt beispielsweise, dass Mitarbeiter von Hilti, wie übrigens von unseren Wettbewerbern auch, daran beteiligt sind, wenn ein Zulassungsverfahren entwickelt wird. Und wenn man in dem Gremium mitarbeitet und dann schon weiß, in welche Richtung das Ganze geht, kann man natürlich parallel schon seine Produkte entwickeln und kann dann relativ schnell am Markt sein. So ist es uns gelungen, als die Vorschrift für seismische Einwirkungen rauskam, mehr oder weniger zeitgleich die ersten zugelassenen Dübel-Produkte zu präsentieren. Darüber hinaus begleiten wir auch Zustimmungen im Einzelfall, wenn die Anwendung außerhalb geltender Normen und Zulassungen liegt. Zu erwähnen sind hier Projekte wie etwa die Dresdner Frauenkirche oder die Kuppel des Berliner Reichstags.
Sie sprachen von Beobachtung des Wettbewerbs. Wie funktioniert denn das genau?
Nehmen wir das Beispiel Ankerschienen. Wir sind weltweit zu über 200 Kunden gegangen und haben einfach gefragt: Was müssen wir ändern, damit ihr unsere Schiene kauft? Und mithilfe der Antworten haben wir eine Schiene entwickelt, die den Anforderungen der Kunden gerecht wird: höhere Lasten näher am Rand, eine Schraubengröße für alle Schienen und eine PE-Schaumfüllung die an einem Stück herausgezogen werden kann statt Styropor, der herausgekratzt werden muss.
Und wir haben eine Abteilung, die sich ganz genau die Arbeitsabläufe anschaut. Dafür wird der Kunde bei der Arbeit gefilmt und dann wird analysiert, wie der Kunde arbeitet, was noch an Verbesserungen möglich oder erforderlich ist. Das ist uns ganz wichtig.
Bevor wir dann zum spannenden Thema Building Information Modeling kommen …
Wir bei Hilti planen immer mindestens fünf bis zehn Jahre voraus. Fragestellungen wie: „Wie sieht ein Bauablauf in fünf oder zehn Jahren aus?“ oder die schnelle Entwicklung der Smartphones, Computertechnologie oder „Mit welchen Baustoffen wird gebaut?“ beschäftigen uns natürlich. Vor einigen Jahren wurde eben der Trend Building Information Modeling (BIM) identifiziert. Vor allem durch Entwicklungen in den USA und in Skandinavien wurde spätestens 2010 klar, dass wir uns damit intensiv befassen müssen. Die Frage war: Wie können wir unsere Produkte in diese BIM-Modelle einfließen lassen? Jetzt haben wir eine BIM-CAD-Library, in der alle Produkte in BIM-Formaten zu finden sind, d. h., ich kann sie runterladen, auch mit dem neutralen IFC-Format. Und wenn die Produkte im Modell drin sind, sind sie mehr oder weniger ausgeschrieben.
Aber sind Sie nicht in Ihrer Entwicklung da zum Teil weiter als die Realität? Die Kunden sind doch eigentlich noch gar nicht soweit oder? Zumindest Deutschland hängt da noch hinterher …
Im Moment, genau. Allerdings, in USA wird das schon sehr intensiv gemacht. Es gibt beispielsweise das Projekt Cathedral Hill Hospital, wo man bei einem Investitionsvolumen von etwa 1,3 Mrd. USD 300 Mio. einsparen will, indem man Planer einfach ein Jahr lang physisch zusammenbringt und das Gebäude Stück für Stück durchgeht und jede Kollision, die auftritt, durchspricht und ausräumt. Da müssen dann natürlich auch die Befestigung und der Brandschutz mit einbezogen werden. Ein Kollege hat mal an solch einer Besprechung teilgenommen und hat gesagt: Dort wird über einen Detaillierungsgrad gesprochen, der im Moment in Deutschland unvorstellbar ist. Da sitzt der Haustechniker mit dem Elektroplaner und dem Tragwerksplaner zusammen und jede kleine Aussparung wird durchgesprochen.
Der große Unterschied zu Deutschland ist allerdings die Vertragskonstellation. Dort sitzen alle in einem Boot und bekommen einen Bonus in Aussicht gestellt für den Fall, dass Zeit und Kosten eingehalten werden. Das heißt, alle ziehen an einem Strang. Und diese Mentalität, die man im Moment noch in Deutschland hat, dass es gar nicht so schlimm ist, wenn ein Vorgewerk irgendwie Verzögerungen auslöst oder irgendetwas anders macht, als vereinbart, weil dann ja Nachträge gestellt werden können: Dieses Einstellung muss sich unbedingt ändern.
Da müsste man dann auch an die Honorarordnung ran …
Ja, aber es wird dadurch insgesamt nicht teurer, es werden nur Entscheidungen in frühere Phasen vorgezogen, d. h., die Honorare werden in früheren Phasen bezahlt. Und dazu kommt, dass der Architekt, der gerne eine gewisse Freiheit hat in seinen Entscheidungen und gerne Entscheidungen rauszögert, sich vielleicht früher festlegen muss. Die Reformkommission Großprojekte befasst sich übrigens genau damit. Das Ausland macht es uns vor. Wenn ich mir anschaue, wie „sanft“ der Bahnhof in Wien umgebaut wurde: Kosten eingehalten, Bauzeiten eingehalten, Bevölkerung regelmäßig involviert. In Deutschland sind wir noch nicht so weit.
Es gibt aber Firmen in Deutschland, Planungsbüros, die schon sehr intensiv mit BIM arbeiten und schon ganze Projekte mit BIM durchgeführt haben. Wo es aber im Moment noch hapert, ist der Medienbruch, wenn die Planung durchgeführt ist. Dann hat man immer noch zwei D-Pläne, nach denen gebaut wird.
Wohin gehen Ihre Überlegungen in technischer Hinsicht im Bereich BIM?
Wir beschäftigen uns über die Messtechnik mit dem sogenannten BIM-to-field. Das heißt, wir haben mittlerweile die Möglichkeit, ein 3D-Objekt in einzelne Punkte zu zerschneiden, diese Punktwolke mit den entsprechenden Attributen in eine Totalstation zu übertagen und dann auf der Baustelle mit dem Tablet oder mit dem Handheld die Punkte per Laserstrahl abzustecken. Das ist heute schon möglich und das wird zum Teil auch schon gemacht.
Und umgekehrt geht das dann auch?
Ja, das ist bei uns auch schon möglich, dass ich am Ende per Laser die Punkte, wo beispielsweise tatsächlich eine Befestigung ist, einmesse und zurück ins Modell übertrage. Das ist das sogenannte Field-to-BIM, sodass ich dem Kunden auch ein Modell übergeben kann, insbesondere erforderlich für den Facility-Manager, das all die korrekten Informationen enthält, die er zum Betreiben des Gebäudes benötigt.
Neben diesen Zukunftsthemen betreiben Sie aber auch noch Grundlagenforschung …
Ja, natürlich. Dort konzentrieren wir uns unter anderem auf Langzeitversuche. Wir haben Dübel, die seit 10, 20, 30 Jahren unter Last stehen in den unterschiedlichsten Materialien. An zahlreichen Stellen auf der Erde haben wir Dübel unterschiedlichen aggressiven Umgebungen ausgesetzt und beobachten beispielsweise Korrosionsfortschritte. Was passiert mit Dübeln, die korrodiert sind? Bis wann funktionieren sie? Und auch für galvanisch verzinkte Dübel, die nur im trocknen Innenraum eingesetzt werden dürfen in Deutschland: Was passiert mit denen, wenn ich die der Meeresatmosphäre aussetze? Das ist beispielsweise Grundlagenforschung. Wir haben eine sehr gute Metallurgieabteilung, die nicht nur zu unseren Produkten forscht, sondern teilweise auch Anfragen von Kunden bekommt, die wissen möchten, was mit einem Bolzenanker passiert, der eine gewissen Zeit dieser oder jener chemischen Atmosphäre ausgesetzt ist. Solche Fragen können wir mithilfe unserer Grundlagenforschung beantworten.
Der Werbeslogan einer Bank lautet „Jeder hat etwas, das ihn antreibt“. – Was treibt Sie in Ihrer Arbeit an?
Was mich reizt, ist, immer wieder Dinge zu hinterfragen, immer nach Entwicklungsmöglichkeiten zu suchen und sich nicht mit dem Status quo zufrieden zu geben und eben vorauszuschauen. Das gilt ganz besonders für BIM. Wir könnten sagen: Im Moment ist es noch nicht relevant für uns. Aber wir entwickeln schon. Das heißt, wir schauen nicht nur auf die reale Welt, nämlich auf die Baustelle, sondern auch auf die virtuelle Welt des Planers und versuchen für beide Welten adäquate Lösungen anzubieten. Das ist schon faszinierend.
Herr Dr. Geibig, haben Sie vielen Dank für dieses Gespräch.
Leserkommentare
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Fritz Scheidegger | 31. Juli 2014
Oliver
Das hast du super gemacht!
Gartuliere -
Thorsten mleczinski | 7. August 2014
Gut Oliver ,
Thorsten Mleczinski