Gespräch
Muss sich Grün rechnen?

Seit über 25 Jahren setzt Gunter Mann sich mit der Begrünung von Gebäuden auseinander und ist wie kaum ein anderer in der Branche vernetzt. Zu Beginn seiner „Dachbegrüner-Karriere“ war er bei der optima-Zentrale Süd in der Abteilung „Anwendungstechnik/Forschung und Entwicklung“ tätig. Darauf folgte die Tätigkeit als Marketingleiter und Prokurist bei der Optigrün international AG. Zuletzt war Mann Netzwerkmanager bei der GEMIFO GmbH im ZIM-Netzwerk „Stadtklima“ und betreute Unternehmen bei der Entwicklung innovativer Produkte. Heute ist er Präsident beim Bundesverband GebäudeGrün e.V. (BuGG). Fast 15 Jahre lenkte Gunter Mann als Präsident die Geschicke der Fachvereinigung Bauwerksbegrünung e.V. (FBB). Er ist bis heute bestrebt, Bauherren und Planern die positiven Wirkungen begrünter Dächer, Fassaden und Innenräumen näher zu bringen. Mit der „Bundesweiten Strategie Gebäudegrün“ und der damit verbundenen „Verbandsübergreifenden Allianz Bauwerksbegrünung“ leitete Mann eine neue Ära im Verband ein, war u. a. verantwortlicher Organisator des denkwürdigen Weltkongress Gebäudegrün (WGIC) 2017 in Berlin mit über 850 Teilnehmern und war maßgeblich an der Fusion von FBB und DDV Deutschen Dachgärtner Verband e.V. zum BuGG Bundesverband GebäudeGrün e.V. beteiligt. Derzeit bereitet er den 2. Weltkongress Gebäudegrün vom 16. – 18.6. in Berlin vor. (BuGG)
Herr Mann, einmal im Leben einen Weltkongress Gebäudebegrünung organisieren und durchführen, das dürfte doch reichen? Können Sie es nicht lassen?
So dachte ich auch! Doch 2017 war noch die Fachvereinigung Bauwerksbegrünung e.V. (FBB) Organisator. Und jetzt wollen wir es als Bundesverband GebäudeGrün e.V. (BuGG) nochmals wissen! Und nicht nur in diesem Jahr, sondern nach unseren Vorstellungen zukünftig alle drei Jahre.
Sie wollen also den „Weltkongress Gebäudegrün“ (World Congress of Buildung Greening) mit seinen Top-Referenten als „Marke“ etablieren?
Genau! Zwei Tage Fachkongress mit begleitender Fachausstellung und ein Tag Exkursion – so nach dem Schema soll sich der Weltkongress etablieren und die Fachwelt alle drei Jahre nach Deutschland zusammenbringen.
Und das dann immer hier in Berlin?
Berlin ist natürlich attraktiv für einen solchen Weltkongress und bietet auch gute Veranstaltungsorte dafür. Aber wir sind nicht mit Berlin verheiratet. Wir schauen jetzt wie der Kongress dieses Jahr läuft, dann sehen wir weiter.
Können Sie unseren Lesern erläutern, was sich seit dem letzten Weltkongress hier in Berlin 2017 und dem, der im Juni wieder hier stattfinden wird bei Ihren Mitgliedern und am Markt verändert hat?
Es hat sich kaum etwas und ganz viel gleichzeitig getan. Die Markteilnehmer, die Personen im Markt, die Produkte und Systeme und die Argumente „Pro Gebäudegrün“ sind in etwa die gleichen geblieben, doch wir und unsere besagten Argumente werden viel stärker wahrgenommen und sie werden auch viel stärker umgesetzt. Das Interesse der Städte und Medien an der Gebäudebegrünung ist auffällig stark gestiegen.
Folgen des Klimawandels auch hier?
Keine Frage, vor allem die Kommunalpolitiker und Städteplaner sind mittlerweile gezwungen, sich verstärkt mit Dach- und Fassadenbegrünung auseinander zu setzen. Wir als Verband werden fast täglich nach Vorträgen und Informationen angefragt; letzten Sommer war gefühlt jeder TV-Sender des Landes bei uns. Die Branche wächst, leider jedoch nicht die Fachkräfte dazu.
Wir haben viele neue Mitglieder bekommen und diese, was mich sehr freut, aus den unterschiedlichsten Bereichen – nicht nur Firmen, die direkt mit der Begrünung zu tun haben, sondern auch „angrenzende“ Gewerke wie beispielsweise Dachdecker, Fassadenbauer, Verbände, Städte.
Doch die größte Veränderung im Markt, für den Verband und mich persönlich war die Fusion von FBB „Fachvereinigung Bauwerksbegrünung e. V.“ (FBB) und dem „Deutschen Dachgärtner Verband e. V.“ (DDV) zum BuGG.
Diese Hochzeit fand am 17.5.2018 statt. Seither heißen beide Verbände Bundesverband GebäudeGrün e. V. (BuGG). Was hat Ihren Verband in den nun bald zwei Jahren seiner Existenz umgetrieben?
Unsere vorrangigen Ziele waren, uns intern schlagkräftig aufzustellen. Was uns mit guten und motivierten Kollegen und Kolleginnen wie Fiona Wolff, Simone Luck, Felix Mollenhauer, Rebecca Gohlke, Susanne Herfort und Isabel Salzmann gelungen ist. Und wir wollten bundesweit präsent sein, was wir allein im letzten Jahr mit 18 Veranstaltungen geschafft haben: ganztägige und zentral gelegene BuGG-Gründach-, Fassaden- und Innenraumbegrünungssymposium, halbtägige bundesweit verteilte BuGG-Gründach- und Fassadengrün-Foren und BuGG-Gründach-Welten. Natur, Sport und Spiel. Zudem haben wir erstmals den BuGG-Städtedialog Gebäudegrün und den BuGG-Tag der Forschung und Lehre initiiert und durchgeführt. Wir konnten insgesamt über 1.500 Teilnehmer begrüßen!
Der BuGG hat auch allerlei publiziert in diesen zwei Jahren.
Sicherlich, verschiedene Informationsschriften wie beispielsweise BuGG-Fachinformation „Leitfaden Gewerkeübergang Dachbegrünung“, BuGG-Fachinformation „Biodiversitätsgründach“, BuGG-Fachinformation „Positive Wirkungen von Gebäudebegrünung“ und die BuGG-Liste der wurzelfesten Bahnen und Beschichtungen.
Sie haben den Fachkräftemangel eben schon gestreift: Auch Ihre Branche beschäftigt er massiv. Was unternimmt Ihr Verband da?
Wir sind dran, ein Schulungs- und Fortbildungskonzept aufzustellen und verschiedene Arten von Seminaren (für Praktiker einerseits und Führungskräfte andererseits) anzubieten. Und das für Dach- und Fassadenbegrünung. Das Thema Innenraumbegrünung machen wir zusammen mit unserem Partnerverband Fachverband Raumbegrünung und Hydrokultur e. V. (FvRH).
Wir brauchen speziell ausgebildetes Personal für bestehende Fachbetriebe, aber auch ganz neue Unternehmen, die ihr Leistungsspektrum um Dach-, Fassaden- oder Innenraumbegrünung erweitern oder, was besser wäre, sich spezialisieren.
Was tut sich denn bei den Kommunen und in den einzelnen Bundesländern?
Die Städte haben die Dach- und Fassadenbegrünung immer mehr im Fokus. Die Zahl der Städte, die Gebäudebegrünung in den Bebauungsplänen bzw. Förderrichtlinien dazu haben, steigt deutlich. Auch die Öffentlichkeitsarbeit der Städte geht stark in Richtung Gebäudebegrünung; oft werden wir dazu als Referenten angefragt. NRW tut sich dabei besonders positiv hervor.
Immer mehr Städte führen auch Bestandsaufnahmen (Inventarisierung) bestehender Dachbegrünungen durch und ermitteln dabei auch die Begrünungspotenziale (Gründachpotenzialkataster).
Der BuGG hat eine „Gründach-Bundesliga“ aufgestellt. Was hat es damit auf sich?
Aufgrund der uns vorliegenden Bestandsdaten haben wir den Gründachbestand einer Stadt in Relation zu deren Einwohnerzahl gesetzt und den Gründach-Index ermittelt. Die „Tabelle“ führt dabei die Stadt Stuttgart mit einem Gründach-Index von 4,1 an. Das heißt in Stuttgart kommt auf jeden Einwohner 4,1 m² Gründach. Der durchschnittliche Gründach-Index der 11 „teilnehmenden“ Städte liegt bei 1,5.
Sprechen wir nur über das Gründach, sprechen wir zumeist über Retention. Warum ist das nicht das einzige Thema und welche Trends sind momentan wichtig?
Für uns wird der Klimawandel vor allem bei zwei Dinge spürbar: Hitze in den Städten und Extremniederschläge. Und schon sind wir beim Thema Retention. Schon eine einfache Extensivbegrünung hält etwa 50 % des Jahresniederschlags und eines Starkregens zurück. Die Wirkung eines „Retentionsdach“, d. h. mit zusätzlichem Speichervolumen in der Dränschicht, verstärkt diese Wirkung um ein Vielfaches. Bei optimierten Gründachaufbauten fließt so gut wie kein Wasser mehr ab. Und das Schöne ist, dass das zurückgehaltene Wasser verdunstet wird und damit die Umgebung und die Stadt kühlt!
Wobei Sie ja das Thema „Artenvielfalt und Artenschutz“ durch begrünte Dächer und Fassaden auch bespielen – um mal in der Fußballmetaphorik zu bleiben …
Ganz genau. Wir schaffen an und auf Begrünungen Rückzugsflächen für Fauna und Flora. Am Rande erwähnt: die heute so genannten „Biodiversitätsgründächer“ waren Thema meiner Dissertation.
Ansonsten geht der Trend zu genutzten Dächern hin. Bauherr und Planer haben erkannt, dass sich das schon teuer gekaufte Grundstück mehrfach, also auch auf dem Dach nutzen lässt. Und das als Wohnraum, Freizeit- und Sportfläche in Form eines begehbaren Dachgartens.
Lassen Sie uns übers Wetter reden. Was bedeutet das immer noch so verharmlosend „Klimawandel“ genannte Phänomen für Ihre Branche?
Die doch nun deutlichen spürbaren, langen und trockenen Sommermonate veranlassen uns schon zum Umdenken, da die Dachvegetation deutlich unter dem Hitzestress leidet. Für uns leiten sich vereinfacht drei Szenerien ab:
wir erhöhen die Substratdicke im Gründachaufbau, um mehr Wasser zu speichern und länger abpuffern zu können
wir wählen andere Pflanzenarten aus
oder unterstützen mit zusätzlicher Bewässerung und erhöhen damit auch die Verdunstungsleistung und -kühlung.
Hier tun sich äußerst spannende, neue Innovations- und Forschungspotenziale auf.
Gehört dazu auch BIM und die Digitalisierung allgemein: Welche Strategien entwickeln Ihre Mitglieder da?
Ehrlich gesagt, haben wir uns als Verband damit noch gar nicht auseinandergesetzt, was aufgrund anderer Aufgaben nach der Fusion ja auch so richtig war. Wir müssen mit unseren Mitgliedern schauen, was wir da machen werden. Die „größeren“ Unternehmen haben vereinfacht gesagt zumindest schon einmal ihre CAD-Zeichnungen auf BIM umgestellt. Je nach Branche befassen sich die Firmen mehr oder weniger damit.
Wenn Sie Einflüsse sehen, die sich nachteilig auf Dach- und Gebäudebegrünung auswirken, welche wären das?
Es gibt zwei klassische „Totschlagargumente“ gegen Dachbegrünung: sie kostet was und man muss sie pflegen. Ja, Dachbegrünungen sind ein Mehraufwand, samt Pflege, doch ist dieser relativ gering im Vergleich zu den Gesamtkosten. Und der Nutzen für den Eigentümer, Nutzer und die Allgemeinheit ist riesengroß, also nicht in Kategorien des Geldes abbildbar! Dafür vereinen Dach- und Fassadenbegrünungen zu viele positive Wirkungen.
Den Bauherren, der von ihnen hören will, dass sich die Begrünung rechnen muss, gibt es schon noch, oder?
Und ob! Und den fragen wir dann gern: Muss sich Grün rechnen? Brauchen wir es denn nicht zum Leben!? Und es gibt natürlich einige „weiche“ Faktoren, die auch dem Bauherrn was bringen – eben eher indirekt, wenn es das ganze Gewerbegebiet von Dachbegrünungen profitiert. Wenn beispielsweise aufwändige und platzraubende Regenüberlaufbecken eingespart werden können und so mehr Platz vorhanden und die Grundstücke günstiger werden.
Und bei der Fassadenbegrünung kommt dann auch noch das Vorurteil, dass man sich damit Tiere ins Haus holt. Dieses „Wehklagen“ hören wir allerdings nie von den „Betroffenen“ selbst, also Nutzern von fassadenbegrünten Häusern.
Dach- und Gebäudebegrünung ist das eine Thema, Innenraumbegrünung das andere. Wie würden Sie beide Themen derzeit gewichten?
Von der Gewichtung an begrünte Fläche gibt es eine klare Dominanz der Dachbegrünung mit etwa 7 Mio. m² neu begrünter Dachfläche im Jahr 2018. Dann folgt die Fassadenbegrünung, deren Größe wir nicht wirklich fassen können, die aber in der Größenordnung von 10.000 – 20.000 m² liegt. Und dann folgen die nicht bezifferbaren Innenraumbegrünungen.
Die allerdings in unserem letztjährigen Heft nur recht spärlich abgebildet werden konnten …
Weil das derzeit noch ein überschaubarer Markt ist, jedoch mit großem Wachstumspotenzial. Die Unternehmen der Branche sprechen über Zuwächse von etwa 20 %. Da geht also was. In der öffentlichen Wahrnehmung ist die Innenbegrünung derzeit sicherlich noch unterrepräsentiert, doch daran werden wir als Verband bald was ändern. Eine unserer Aufgaben für 2020 ff.
Zum Schluss, Herr Mann: Auf dem 2017er Weltkongress fielen unter den Ausstellern einige Start-ups mit sehr unkonventionellen Lösungen für die Gebäudebegrünung auf. Welche Rolle messen Sie den „jungen Wilden“ auf dem Markt zu?
Die neuen Unternehmen mit ihren innovativen Ideen sind natürlich unheimlich wichtig für den Markt! Sie bringen mit ihren Ideen, auch wenn sie vielleicht nicht immer marktdurchdringend und praxisrelevant umsetzbar sind, frischen Wind in unsere Branche, binden Aufmerksamkeit für das Thema Gebäudebegrünung und spornen die alteingesessenen Unternehmen an, auch wieder „Gas“ zu geben.
Wir als Verband unterstützen die Start-ups so gut es geht und begrüßen jährlich etwa fünf Firmen aus der Richtung.
Herr Mann, haben Sie Dank für dieses Gespräch
Die Fragen stellte momentum-Redakteur Burkhard Talebitari