Vermischtes
Mythos aus Stahl – Metamorphose einer schottischen Sagengestalt
Was Loch Ness und Ovid gemeinsam haben, mag der spannendsten Fragen eine nicht sein. Kommt der Reisende aber nach Schottland und genauer zur Erweiterung des Forth and Clyde Canals nahe dem Fluss Carron, mag das schon anders aussehen. Er stößt dort nämlich auf die Kelpies, nicht die mythisch lebendigen, aber immerhin doch solche aus Stahl.
Aha, aber was sind Kelpies? fragt sich der geneigte Leser – und da kommen wir dann zu Loch Ness und Ovid. Denn „Kelpies“, das ist der schottische Name eines Metamorphosen vollziehenden Wassergeistes, der an allen auch nur leidlich namhaften schottischen Lochs – zumindest mythologisch – anzutreffen ist. Er wird für gewöhnlich als Pferd imaginiert, kann aber auch (siehe Gemälde von Herbert James Draper) durchaus bezirzende Menschengestalt annehmen. Einziger Haken: Er behält dann laut einschlägiger Sagenweisheit seine Hufen und mit diesen satanischen Fersen eine schwer übersehbare Ähnlichkeit mit dem Teufel.
Doch gemach: Heute sind „The Kelpies“ zwei Stahlskulpturen in Form riesiger Pferdeköpfe an einer neu erbauten Schleuse nahe Falkirk in Schottland. Hier ragen diese gigantischen Pferdestatuen als imponierende Wahrzeichen in die Höhe und heißen Touristen und Boote willkommen.
Der Künstler Andy Scott aus Glasgow ließ sich für dieses Projekt von den Kaltblütern inspirieren, die früher als Arbeitspferde zum Ziehen der Schiffe auf den Treidelpfaden an den Kanälen in Schottland eingesetzt wurden. Er erstellte zunächst Entwürfe und Modelle zweier Pferdeköpfe im Maßstab 1:10, die später aus Stahl gefertigt und bis zu 30 m hoch werden sollten.
Bei der Umsetzung wurde Scott durch Ingenieure von Atkins, SHStructures und Tata-Steel unterstützt. Seine Modelle wurden digital eingescannt, um ein virtuelles 3D-Modell der Oberfläche zu erstellen. Die Ingenieure arbeiteten sich dann gewissermaßen von außen nach innen und entwickelten eine Fachwerkkonstruktion, die dem Profil der Pferdeköpfe an der Innenfläche möglichst eng folgt und die Edelstahl-„Haut“ trägt.
Die Tragstruktur im Inneren der beiden Köpfe basiert auf zwei dreieckigen Hohlprofil-Fachwerken, die über Streben miteinander verbunden sind. Daran angeschlossen ist die Sekundärstruktur aus Hohlprofilen, die die Befestigungspunkte für die Außenhaut aufnimmt. Sowohl beim Haupt- als auch beim Nebentragwerk entschied man sich für das kreisförmige Hohlprofil Celsius® 355 von Tata Steel. Celsius® 355 ist ein warmgefertigtes Hohlprofil mit einer Mindeststreckgrenze von 355 N/mm².
Durch die Fertigung bei Normalisierungstemperatur ist das Material frei von inneren Spannungen und lässt sich auch unter anspruchsvollsten Bedingungen zuverlässig einsetzen. Durch die Normalisierung des gesamten Querschnitts ist das Profil sehr gut umformbar. Dies war beim Kelpies-Projekt besonders wichtig, da aufgrund der komplexen Form der Konstruktion viele Profile gebogen werden mussten. Da es sich um ein echtes warmgefertigtes Hohlprofil handelt, ist es zudem sehr gut schweißbar. Gemeinsam mit der hohen Maßhaltigkeit ermöglicht dies eine schnelle und effiziente Verarbeitung.
Das Haupttragwerk der Kelpies besteht aus mehr als 27.000 Einzelteilen. Die einzelnen Rohrfachwerkteile wurden in der Werkstatt gefertigt und teilweise probeweise montiert. Nach Sandstrahl- und Lackierarbeiten wurden sie nach Schottland transportiert. Mit über 10.000 speziellen Halterungen wurde dann die schimmernde Stahlhaut der Pferde am Stahlskelett aus Hohlprofilen befestigt.
Für die Montage der beiden riesigen Skulpturen vor Ort wurden nur 90 Tage benötigt.
Die Pferdeskulpturen flankieren nun stolz die neue Kanalschleuse, die den Forth and Clyde Canal mit der Nordsee verbindet. Seit der offiziellen Einweihung im vergangen Jahr wurde das Monument bereits von Tausenden von Besuchern bewundert.