Neuerscheinung bei Ernst & Sohn
Eiserne Eremitage – Ein Buch in zwei Bänden

Eiserne Eremitage – Bauen mit Eisen im Russland der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts; Werk bestehend aus 2 Bänden, erschienen Januar 2022 XXVIII, 714 Seiten, 1036 Abbildungen, Hardcover Sprache: Deutsch, € 149 (Preise inkl. Mehrwertsteuer) (Ernst & Sohn GmbH)
Im Dezember 1837 zerstört ein verheerender Großbrand das Machtzentrum des russischen Reichs, den Winterpalast in St. Petersburg. Der von Zar Nikolaus I. forcierte umgehende Wiederaufbau bildet den Auftakt eines groß angelegten Um- und Neubauprogramms für nahezu sämtliche Bauten der kaiserlichen Residenz, die heute umgangssprachlich unter dem Namen Eremitage zusammengefasst werden. Vermeintlich “feuersichere” Eisenkonstruktionen modernster Bauart ersetzen in den Dächern und Decken die traditionellen Holztragwerke. Bis 1852 entsteht in beispiellosen Ausmaßen, erstaunlicher Vielfalt und unterschiedlichen konstruktiven Handschriften das größte Ensemble eiserner Tragwerke der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts – die Eiserne Eremitage.

Der Winterpalast mit anliegenden Gebäuden, die heutige Staatliche Eremitage (Luftbild 2005). Von rechts nach links: Winterpalast (1754 – 1762, 1838 – 1842), Kleine Eremitage (1764 – 1775, 1850 – 1852), Alte Eremitage (1771 – 1787, 1850 – 1852), dahinter: Neue Eremitage (1839 – 1852); angegeben sind jeweils die wesentlichen Bauphasen der ursprünglichen Errichtung und des Umbaus mit Eisentragwerken. (Foto: Evgenij Sinjaver)
Errichtet in einer technologisch noch offenen Zeit, in der Europa gerade erst daran arbeitet, die Möglichkeiten des Bauens mit Eisen zu erkunden und erste Regeln und Praktiken dafür zu formulieren, bilden die hinter den Fassaden und abgehängten Decken der Eremitage verborgenen Eisenkonstruktionen heute ein einzigartiges Zeugnis aus der Frühzeit des europäischen Stahlbaus.
Bauforschung mit ingenieurwissenschaftlichem Schwerpunkt
Im Ergebnis eines langjährigen Forschungsprojekts eröffnet die zweibändige Monographie eine gänzlich neue Sichtweise auf diesen Gebäudekomplex von Weltrang: Nie zuvor ist eine historische Eisenkonstruktion in derartiger Tiefe und Weite erfasst, dokumentiert und interpretiert worden. Exemplarisch zeigt die Untersuchung dabei das Potenzial einer Bauforschung mit ingenieurwissenschaftlichem Schwerpunkt, die nicht nur die Auswertung umfangreicher Archivbestände, handnahe In-situ-Untersuchungen, Laboranalysen und statisch-konstruktive Analysen umfasst, sondern auch die kompetente Verortung und Bewertung im zeitgenössischen bautechnikgeschichtlichen Kontext. In einem eigenen Tafelband werden aus der Fülle des Materials Archivalien, detaillierte Konstruktionszeichnungen und Visualisierungen der eisernen Tragwerke präsentiert und kommentiert.

Tafel: Winterpalast, Dokumentation der neuen eisernen Dächer, vor August 1841. Dachaufsicht mit folgenden Tragwerkstypen und deren Einsatzbereichen (AGE˙ 3-1-53): – „mechanische Sparren“ über Konzertsaal, Nikolaisaal und Vorsaal (Bereich A); – „mechanische Sparren“ über dem Wappensaal (Bereich B); – „mechanische Sparren“ über dem Gemeinderaum der Großen Kirche sowie dem Thron-, Feldmarschall- und Alexandersaal (Bereich C); – eiserne unterspannte Sparren über dem durchgehenden Korridor und den angrenzenden Räumen im Westflügel (auf dem Dachplan / Bereich D); – eiserne unterspannte Sparren über einem Großteil des Millionnajatrakts (Bereich E). (Foto: Tafel 24: Winterpalast, Dokumentation der neuen eisernen Dächer, vor August 1841 )
Pionierleistung des Bauens mit Eisen
Auf der Suche nach Erklärungen verfolgen die Autoren Sergej G. Fedorov, Bernhard Heres und Werner Lorenz in ihrer detaillierten Aufbereitung der Bau- und Konstruktionsgeschichte den langen Weg des Eisens zurück bis zu den Wurzeln im Ural, dem Abbau und der Verhüttung des Erzes. Die Spurensuche entfaltet die Folie, vor der sich der Bau der Eisernen Eremitage überhaupt erst vollziehen konnte – die beeindruckende Geschichte der russischen Eisenproduktion und bislang nahezu unbekannter Pionierleistungen des Bauens mit Eisen im 18. und frühen 19. Jahrhundert. Das Ergebnis verändert unseren Blick auf die Frühgeschichte des Stahlbaus – im Verständnis der Entwurfs-, Konstruktions- und Bauprozesse eines solchen Großprojekts, vor allem aber auch hinsichtlich der bereits weit zurückreichenden Traditionslinien des russischen Eisenbaus.