Interviews
Neun Fragen an C. Zimmermann und A. Bach von Schüßler-Plan
„Langfristig gesehen werden wir einen guten Mittelweg zwischen digitaler und persönlicher Kommunikation finden.“
Im Interview mit Christina Zimmermann, M. Sc., Geschäftsführende Gesellschafterin, Schüßler-Plan und Dr.-Ing. Andreas Bach, Leiter digitale Vernetzung, Schüßler-Plan
3D-Visualisierung EÜ Dortmund-Ems-Kanal (© Schüßler-Plan)
1. Ein Projekt, das ab LP 1 in BIM geplant wird, bringt für Sie einen deutlich größeren Planungsaufwand mit sich. Wie entscheiden Sie, ob sich ein Projekt als BIM-Projekt lohnt?
CZ: Die BIM-basierte Planung befindet sich in einem dynamischen Prozess, der, auch von der Softwareindustrie angetrieben, zu einer stetigen Verbesserung und Weiterentwicklung der BIM-Planung führt. Sowohl planende als auch ausführende Unternehmen können mit der Vielzahl an Softwareprodukten Erfahrungen sammeln und dabei ebenfalls bestehende Arbeitsweisen hinterfragen und gegebenenfalls weiterentwickeln.
Unter dem Aspekt der Weiterentwicklung sehen wir das Potenzial der BIM-basierten Planung somit grundsätzlich bei jedem neuen Projekt, unabhängig von der Frage nach Wirtschaftlichkeit. Denn Fakt ist, dass eine BIM-basierte Planung in den frühen Leistungsphasen, also nach abgeschlossener Grundlagenermittlung, aufgrund der sich ständig verändernden geometrischen Randbedingungen mit erhöhtem Aufwand verbunden ist, den man mit dem Ziel des Fortschritts bereit sein sollte, auf sich zu nehmen.
Ob und in welcher Tiefe ein Projekt in BIM bearbeitet wird, hängt letztendlich oftmals auch von der Bereitschaft des gesamten Fachplanerteams ab, kollaborativ zu planen. Ist diese Bereitschaft nicht bei allen gegeben, bleibt vom Gedanken und der Umsetzung einer BIM-basierten Planung am Ende nur eine isolierte 3D-Planung übrig.
2. Wie lange dürfte es nach Ihrer Einschätzung noch dauern, bis Sie mit einem 3D-Modell auf die Baustelle kommen können, ohne dass Sie jemand komisch anschaut?
CZ: Auf den Baustellen ist das Wort „BIM“ schon lange kein Fremdwort mehr, im Gegenteil. Wir machen bereits seit längerer Zeit die Erfahrung, dass der Mehrwert unserer 3D-Planungen vonseiten der ausführenden Unternehmen erkannt wird.
Dabei erleben wir allerdings noch große Unterschiede in der Anwendung.
Der wohl am weitesten verbreitete Vorteil ist die Veranschaulichung komplexer Konstruktionen und Details als zusätzliche Hilfestellung für die Schalung und Bewehrung von Bauteilen.
Einige Baufirmen gehen diesbezüglich schon viel weiter und nutzen die teils sehr detaillierten Rohbau- und Ausbaumodelle für Anwendungen wie die Massenermittlung, die Kalkulation, das Prozessmanagement, die Gewerkekoordination, das Baucontrolling und das spätere FM.
Die Einsatzgebiete und das allgemeine Potential der 3D- und insbesondere der BIM-basierten Planung wurden somit ebenso wie bei den Fachplanern erkannt und sind inzwischen weit verbreitet.
AB: Die modellbasierte Arbeitsweise ist für die ausführende Seite sicherlich keine Vision mehr, sondern der logische Schritt in naher Zukunft. Dennoch wird es sicherlich noch ein paar Jahre dauern, bis die Arbeitsweisen einen flächendeckenden Standard darstellen.
3. Es scheint sich eine Tendenz abzuzeichnen, dass Planungsbüros auch eigene Softwarelösungen entwickeln. Wie entgehen Sie dabei der ewigen Falle von Insellösungen?
AB: In vielen Bereichen kann man mit bestehender Software einen großen Teil der gestellten Anforderungen abdecken, aber in gewissen Themenfeldern kommen wir ohne Eigenentwicklungen einfach nicht weiter. Die Entwicklung von eigenen Lösungen war für uns eine logische Konsequenz. Das Thema Insellösung macht mir persönlich wenig Sorgen. Bis dato sind unsere Prozesse auf Open BIM ausgerichtet und werden dies auch bleiben. Hierdurch sind wir auch in der Prozesskette wesentlich flexibler und können das ein oder andere Tool im Vergleich zu einer geschlossenen Systemarchitektur viel besser austauschen.
4. Würden Sie sagen, dass die Pandemie einen Schub in Sachen Digitalisierung auslöst und sehen Sie Indikatoren dafür in Ihrer Arbeit?
CZ: Das ist mit Sicherheit so. Die „Digitalisierung der Baubranche“ wurde zu Beginn dieses Jahres noch häufig mit der Anwendung von BIM gleichgesetzt. Die Pandemie hat dieses doch recht einseitige Verständnis in einer Schnelligkeit verändert und weiterentwickelt, für die Planende und Ausführende vermutlich Jahre gebraucht hätten. Der Zwang, sich nicht nur mit „neuen“ Medien zu beschäftigen, sondern auch damit arbeiten zu müssen, hat zu einer neuen digitalen Zusammenarbeit geführt. Das Streben nach einer BIM-basierten Planung im Projekt ist dabei nicht weniger wichtig geworden, vielmehr hat sich das allgemeine Verständnis von Digitalisierung erweitert. Wir sehen aber auch, dass digitale Besprechungen keinen vollwertigen Ersatz für ein persönliches Gespräch darstellen. Langfristig gesehen werden wir einen guten Mittelweg zwischen digitaler und persönlicher Kommunikation finden.
5. Industrie 4.0, KI, Big Data und andere Methoden und Technologien – welchen Einfluss haben Sie auf das Bauen und wird BIM demgegenüber einmal in den Hintergrund treten?
AB: Themen wie KI, BIG Data sind nicht losgelöst von BIM zu betrachten. BIM ist die Schlüsseltechnologie, um Baudaten strukturiert zu erfassen, zu beschreiben und zu verwalten. KI und BIG Data werden uns darüber hinaus neue Möglichkeiten aufzeigen, Prozesse zu verbessern sowie die Daten der BIM-Modelle weitergehend zu nutzen. Betrachten wir die Vision einer zentralen Datenbank des Unternehmens, in der alle Bauprojekte als digitale Modelle mit Terminen, Kosten etc. hinterlegt sind. Das schafft ungeahnte Möglichkeiten, z. B. in Bezug auf Prognoserechnungen, Musterabgleiche oder Suchfunktionen. Ich bin persönlich sehr froh, dass wir zu Beginn des nächsten Jahres mit einem ersten Forschungsprojekt zu KI starten werden. Hierdurch werden die vorab genannten Ideen wesentlich konkreter werden.
Animation des Bauwerksinformationsmodells Frankenschnellweg Nürnberg (© Schüßler-Plan)
6. Parametrisches und generatives Design kann als das Pendant der Tragwerksplaner zu BIM angesehen werden. Wo sehen Sie hier aktuelle Anwendungsmöglichkeiten und weitere Entwicklungen?
CZ: Seit einigen Jahren kommt das parametrische Entwerfen insbesondere bei Architekten zum Einsatz, um einerseits komplexe Rahmenbedingungen schnell und umfassend zu begreifen und andererseits den Aufwand in der Variantenfindung zu minimieren. Eine BIM-basierte Planung ist weniger ein Pendant, sondern eher eine Weiterentwicklung in der Planung, auch für den Architekten. Mit Hilfe von BIM ist es möglich, fachübergreifend an einem digitalen Gebäudemodell zu arbeiten. Dadurch können frühzeitig Schnittstellen definiert sowie Probleme erkannt und gelöst werden. Das generative Design geht noch einen Schritt weiter. Es verbindet die architektonische Gestaltung mit den tragwerksplanerischen Möglichkeiten zur Realisierung dieser. Dabei kann eine hohe Effektivität hinsichtlich der Ausnutzung der Materialien bei guter gestalterischer Qualität erreicht werden.
AB: Wir sehen hier vielversprechende Möglichkeiten zur Findung der optimalen Lösung in der Planung. Die Grundlage der Algorithmen sind parametrische Modelle, die wir an vielen Stellen bereits für eine effiziente Modellierung verwenden. Durch die Kopplung der Modelle mit – zum Beispiel – evolutionären Algorithmen können eine Vielzahl von Varianten abgeleitet und analysiert werden. Die Anwendungsbereiche decken gewisse Themenfelder der Statik bereits ab, sind in Zukunft aber sicherlich auf andere Bereiche übertragbar (Kosten, Flächennutzung etc.). Erste Ergebnisse, die wir in einer Arbeit zum Thema Variantenstudien im Brückenbau erarbeiten konnten, sind sehr vielversprechend.
7. Algorithmus und Verantwortung: Kann bedenkenlos alles gebaut werden, was avancierte Programme entwerfen, bei denen selbst bloße Plausibilitätsprüfungen unmöglich sind?
CZ: Das ist genau die Fragestellung, auf die wir uns in den nächsten Jahren zubewegen werden, denn der Wunsch nach spektakulären Bauwerken, die eine hochkomplexe Tragwerksplanung erfordern, ist groß! Dennoch kann kein Ingenieur die Verantwortung für etwas übernehmen, von dem man nicht imstande ist, es zu verstehen. Sich bloß auf ein Rechenprogramm zu verlassen, ist meiner Meinung nach nicht nur fragwürdig, sondern auch fahrlässig.
AB: Wir können und werden immer mehr Leistungen automatisieren und digitalisieren. Technologien aus dem Bereich 3D-Druck werden vielleicht die Baubarkeit an der ein oder anderen Stelle auf ein neues Niveau heben. Dennoch wird das Endergebnis immer ein Ingenieur bewerten und die Bauverfahren hierbei stets im Blick haben müssen. Algorithmen werden ingenieurtechnisches Denken und Kreativität nie in Gänze ersetzen.
8. Einer Ihrer Schwerpunkte ist die interne und externe Weiterbildung. Kompensieren Sie damit Defizite der Ingenieursausbildung und erwarten Sie von den Hochschulen andere Curricula?
CZ: Natürlich erwarten wir, dass Hochschulen ihren Horizont und damit ihren Lehrplan genauso weiterentwickeln, wie es die freie Wirtschaft tut. Dennoch kann man nicht erwarten, dass frisch gebackene Absolventen ausgelernt haben. Die Praxis auf der einen Seite und auch der kontinuierliche Wissenszuwachs in den Bereichen Forschung und Digitalisierung auf der anderen Seite erfordern es, sich ein Leben lang weiterzubilden. Mit unserer Schüßler-Plan Akademie begleiten wir den kontinuierlichen Wissenszuwachs und vermitteln dabei gleichzeitig unsere Unternehmenskultur. Darüber hinaus fördern Seminare von Schüßler-Planern für Schüßler-Planer die gegenseitige Wertschätzung untereinander. Ergänzt wird das interne Förderprogramm sinnvoll durch externe Weiterbildungen.
AB: Wir erwarten, dass die Hochschulen die notwendige Grundkompetenzen in Bezug auf Modellierung, Datenaustausch, Kollaboration und zentrale Anwendungsfälle vermitteln. Hierauf aufbauend werden wir, unsere eigenen Arbeitsweisen, Standards und Prozesse weitergehend im Detail vermitteln.
Entsprechende Vorkehrungen haben wir in der Vergangenheit getroffen und ein skalierbares und leistungsfähiges Angebot insbesondere im Bereich des E-Learning aufgebaut. Allein 2020 konnten wir hierüber mehr als 100 Mitarbeiter zu BIM und spezifischen Softwareanbindungen fortbilden. Unser Angebot werden wir in Zukunft weiter ausbauen und auch extern anbieten.
9. Das Verhältnis von Planung und Ausführung ist in Deutschland klassisch getrennt. Erachten Sie das als gut so?
CZ: Grundsätzlich halte ich eine Trennung von Planung und Ausführung für sinnvoll. Jeder Bereich für sich ist hochkomplex und erfordert ein hohes Detailwissen, welches kaum gleichzeitig zu erlernen und abzurufen ist. Dennoch sollte gerade bei komplexen und/ oder langen Bauvorhaben eine frühzeitige Einbindung von ausführenden Firmen in die Planung erfolgen, um Herausforderungen, aber gleichzeitig auch Potenziale rechtzeitig zu erkennen und vielleicht sogar Synergien zu finden.
AB: Darüber hinaus sollte auch das Know-how aus der Planung stärker bei der Ausführung eingebunden werden. Die logische Konsequenz ist eine stärkere Verzahnung der beiden Bereiche Ausführung und Planung. Wir haben das für das Thema Baulogistik und Bauabläufe bereits entsprechend bei uns initiiert und hegen einen entsprechenden Austausch zwischen den Bereichen auf Projektebene für die Optimierung und Absicherung unserer Dienstleistungen.
Frau Zimmermann, Herr Bach, haben Sie Dank für dieses Interview.
Die Fragen stellten Bernhard Hauke und Burkhard Talebitari