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Kolumne Falk Jaeger

Plötzlich geht alles ganz schnell

Prof. Dr. Falk Jaeger

Prof. Dr. Falk Jaeger (Foto: Geyr)

Bauen wird immer komplizierter. Und langwieriger. Das liegt nicht an den Bauherren und Investoren, die es verständlicherweise lieber flott angehen, denn ihr Handeln wird vom Streben nach Kostenminimierung bzw. Gewinnmaximierung ordentlich befeuert. Es liegt am Gesetzgeber und an den Behörden. Und die befeuern gar nichts. Sie sind ein System, das, sich selbst überlassen, nach den Gesetzen der Entropie immer mehr diversifiziert. Kafka lässt grüßen.

Änderungen, Vereinfachungen, Optimierungen sind nur durch Druck aus dem politischen Raum möglich und erfordern ständig neue Anstrengungen, eine endotherme Reaktion sozusagen. Das ist mühsame Kärrnerarbeit, mit der man als politischer Karrierist nicht punkten kann. Architekten- und Ingenieurverbände, für die das Lamento vor den Türen des Gesetzgebers gewissermaßen zum Programm gehört, wissen das. Die Vereinfachung des Baugesetzbuches ist als Forderung so alt wie das BauGB selbst.

Auch jahrelanges Klagen, dass die deutsche Immobilienwohnungswirtschaft nicht in der Lage sei, bezahlbaren Wohnraum für Minderbemittelte zu schaffen, während gleichzeitig immer mehr Sozialwohnungen aus der Sozialbindung herausfallen und von den gemeinnützigen Gesellschaften dem freien Markt überlassen werden, hatten keine Resonanz gefunden. Der Markt werde es schon richten. Er hat es natürlich gerichtet, Richtung oben, Richtung exorbitanter Mietsteigerungen.

Doch nun soll alles ganz schnell gehen mit dem billigen Wohnraum. Genehmigungsverfahren sollen beschleunigt werden. Die strengen Regelungen von Baugebietstypen sollen aufgeweicht werden. Standards sollen gesenkt werden. Die Energieeinsparverordnung soll ihren Absolutheitsanspruch verlieren. Wohnraumförderung soll vervielfacht, Steuererleichterungen eingeführt werden. Wie das?

Der erstaunliche wind of change bläst natürlich aus dem politischen Raum. Nein, es ist ein Strom, der Flüchtlingsstrom, der plötzlich bislang Undenkbares möglich macht. Nicht die frustrierten, aber ruhigen einheimischen Wohnungssuchenden hatten das nötige Druckpotenzial aufgebaut, sondern der Flüchtlings-Tsunami macht allen Angst. Soviel, dass plötzlich die heilige Kuh der Energieeinsparverordnung geopfert werden soll, weil sie angeblich das Bauen um acht Prozent verteuere. Soviel, dass plötzlich an Stellen gebaut wird, die bisher fürs Wohnen tabu waren. Aber es sind ja nur „Unterkünfte“, rasch hingeknallte Behausungen, knapp dem Präfix „Not-„ entkommen, keine Wohnungen. Wie wenn es nicht viele Architekten und Bauträger gäbe, die in der Lage und bereit wären, innerhalb von Monaten vernünftige Wohnungen zu bauen, wenn man sie denn nur ließe. Das wäre allemal nachhaltiger als die Containergebirge zu überhöhten Preisen, mit denen sich clevere Leute Dank der hektischen Nachfrage hilfloser Behörden goldene Nasen verdienen.

Angesichts der Unterbringungsprobleme die Errungenschaften unserer Baustandards herabzuschrauben, ist ebenso unsinnig und unnötig wie die Aufgabe unserer gesellschaftlichen Werte. Die Entstehung baulicher Ghettos ist ebenso inakzeptabel wie die Entstehung von Parallelgesellschaften mit Scharia-Ordnung.

Wir haben gewiss ein Berg von Problemen bei der Integration vor der Brust. Wenn aber der Migrantenstrom dazu führt, dass unsere Bauämter auf Trab kommen, Baugenehmigungsverfahren vereinfacht und beschleunigt, Vorschriften entschlackt werden, dann soll er uns nicht nur zur Behebung unseres Fachkräftemangels und zur Korrektur unserer demographischen Misere willkommen sein.

 

 

 

 

Leserkommentare

  1. Karl-Eugen Kurrer | 28. Januar 2016

    …die Kolumne von Falk Jäger trifft ins Schwarze. Bitte Weitermachen.

    Die soziale Komponente des Wohnungsbaus sollte im gesellschaftlichen Diskurs eine Hauptachse bilden. Was nützen neu errichtete Wohnungen, wenn diese nur von vermögenden Leuten bewohnt werden können und das untere Drittel der Gesellschaft das Nachsehen hat. Architekten und Bauingenieure sollten sich deshalb fragen: “Für wen bauen wir?”
    Auch die Abteilung “Wohnen” der “Flüchtlingsindustrie” sollte kritisch unter die Lupe genommen werden. Werden doch hier auf besonders hemmungslose Weise staatliche Mittel privatisiert und die Extraprofite dann auch noch in Steuerparadiese verschoben.

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Datum 8. Januar 2016
Autor Falk Jaeger
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