Vermischtes
Warum auch der Ingenieurbau ‘konstruktive Kritik’ braucht

Die Ganterbrücke von Christian Menn, laut Billington ein Werk der Structural Art (Foto: Nicolas Janberg/Structurae)
Bei der intensiven Mitarbeit an der deutschen Übersetzung des Buches “The Tower and the Bridge” von David P. Billington, die wir bei uns im Verlag Ernst & Sohn im Dezember veröffentlichen werden, ist mir immer wieder aufgefallen, wie wenig in der Öffentlichkeit über das Thema Ingenieurbaukunst geredet wird – vor allem im Vergleich zu den Werken unser Kollegen in der Architektur.
Während meines Studiums an der Universität Princeton habe ich bis zum Bachelor sowohl Vorlesungen in Architektur als auch in Bauingenieurwesen belegt. Im Fachbereich Architektur gehörten für mich auch sogenannte „Design Studios“ dazu, in denen man regelmäßig seine Entwürfe vor einer Jury verteidigen musste. In den Jurys saßen auch mehr oder weniger namhafte Architekten, die teilweise auch von außerhalb der Universität kamen. Dort lernte man als Student, sowohl Kritik an den Werken seiner Studienkollegen zu üben als auch die manchmal doch recht harsch herübergebrachte Kritik der “echten” Architekten zu ertragen. Vor allem ging es aber darum, aus der Kritik zu lernen, um seine Entwürfe zu verbessern. Mir persönlich gefiel die Art der Kritikkultur in der Architektur nicht – z.B. soll ein namhafter Architekt das Modell eines Masterstudenten buchstäblich in eine Mülltonne gestampft haben – weshalb ich mich schließlich für das Masterstudium vollständig auf das Bauingenieurwesen konzentrierte.
Als Masterstudent hatte ich dann aber auch die Gelegenheit, bei dem damals noch von David P. Billington gelesenen Kurs “Structures and the Urban Environment”, auf dem sein Buch “The Tower and the Bridge” basiert, in beiden Jahren zu assistieren. In dem Kurs werden noch heute Studenten angeleitet, Ingenieurbaukunst zumindest nach den von Billington aufgestellten Kriterien zu betrachten und zu erkennen. Fast jeder, den ich in diesem Kurs unterrichten durfte, hatte nachher einen vollkommenen anderen Blick auf die gebaute Umwelt, wie ich selbst natürlich auch, nachdem ich den Kurs in meinem zweiten Jahr belegt hatte.
Selbst wenn ich heute nicht mehr strikt nach Billingtons Kriterien “Structural Art” definieren würde, so hat mich erst einmal die Tatsache, dass man Ingenieurbauwerke tatsächlich als Werke einer unabhängigen Kunstform sehen kann, bis heute überzeugt. Für Structurae durfte ich mir schon viele Bauwerke persönlich oder auf Fotos anschauen. Dabei habe ich viele gute wie schlechte Beispiele der Ingenieurbaukunst gesehen. Allerdings vermeide ich aufgrund des eher enzyklopädischen Charakters von Structurae dort eigentlich jegliche ästhetische oder konstruktionstechnische Wertung der Bauwerke. Aber gerade wenn ich mit ähnlich interessierten Kollegen Bauwerke vor Ort besuche, ist es immer wieder interessant, die Konstruktionen auch kritisch zu diskutieren.
Allerdings höre ich immer wieder, dass man gerade in Deutschland, die Arbeit seiner Ingenieurkollegen nicht gerne kritisiert. Öffentliche Kritik ziemt sich nicht. Warum eigentlich? Sicher, wenn die Kritik unflätig ausfällt und persönlich angreift, ist sie nicht angebracht – aber das sollte ja generell so gelten. Wenn jedoch Konstruktionskritik auf zivilisierte Weise ausgeübt wird, dann profitieren doch beide Seiten davon. Derjenige, dessen Werk kritisiert wird, kann es – zumindest vor Fertigstellung – eventuell noch verbessern, aber auf jeden Fall die ihm entgegengebrachten Meinungen und Erfahrungen in zukünftige Arbeit einbringen. Natürlich ist er oder sie natürlich auch nicht dazu verpflichtet. Derjenige, der kritisiert, profitiert aber genauso, denn die Auseinandersetzung mit den Werken Anderer kann seine Arbeit ebenfalls beeinflussen und verbessern.
Öffentliche Konstruktionskritik nutzt allen
Inwieweit Konstruktionskritik direkt unter Kollegen bereits jetzt geübt wird, ist natürlich von außen nicht direkt erkennbar, aber öffentliche Kritik ist sicherlich heute die Ausnahme und wird höchstens in Fachkreisen geübt. Gerade bei gesellschaftlich wichtigen Projekten wäre aber die Konstruktionskritik von Bauwerken in aller Öffentlichkeit, gerade vor der allgemeinen Öffentlichkeit, die nicht das nötige Fachwissen besitzt, noch viel wichtiger. Zum einen können wir Bauingenieure gerne jammern, dass Architekten im Rampenlicht stehen, aber wenn wir uns selbst nicht öffentlich zu unserer eigenen Arbeit äußern können und wollen, dann kann unsere Berufsgruppe in der Öffentlichkeit auch gar nicht wahrgenommen werden. Dann werden “Signature Bridges” weiterhin von Architekten dominiert, die zwar ästhetisch interessante Projekte abliefern, die dann aber womöglich als konstruktive – und damit oft auch wirtschaftliche – Albträume Realität werden. Durch klare, zivilisierte und öffentliche Konstruktionskritik hätte man als Bauingenieur dann die Möglichkeit, der Öffentlichkeit entsprechende Kriterien zur Bewertung an die Hand zu geben, die anders sind als die der Architekten, Politiker oder reinen Ästheten. Als Nebeneffekt zu einem womöglich verbesserten Endprojekt – oder besseren nächsten Projekt – würde mit der Zeit sicher die Aufmerksamkeit für das Bauingenieurwesen bzw. den Beruf des Bauingenieurs ebenfalls steigen. Vielleicht würde die Öffentlichkeit bald auch die Meinung von Bauingenieuren vermehrt aktiv einholen. Hoffentlich würde auch die allgemeine Presse dann mehr darauf achten, dass Ingenieure nicht wirklich als Architekten bezeichnet werden wollen, was ebenfalls noch viel zu häufig geschieht.
Natürlich will zivilisiertes Kritisieren gelernt werden. Deshalb sollten Entwurfskritiken bereits Teil des Studiums sein, damit schon dort erlernt werden kann, sich entsprechend klar und vor allem kollegial auszudrücken. Eventuell muss man auch lernen, Kritik anzunehmen bzw. sich damit selbstkritisch auseinanderzusetzen. Wer von vorneherein gewohnt ist, seine Entwürfe zu verteidigen, wird alleine durch die Vorbereitung auf mögliche Kritikpunkte sich intensiver mit seinem eigenen Entwurf auseinandersetzen. Gleichzeitig wird man auch für die Arbeitswelt gewappnet, da es immer wieder vorkommt, dass man seine konstruktiven Entscheidungen vor Kollegen oder Vorgesetzten erklären und verteidigen muss, auch wenn dies nicht öffentlich geschieht.
Wenn wir Bauingenieure aber nicht für unsere eigene Arbeit öffentlich einstehen wollen, dann brauchen wir uns nicht wundern, wenn uns der potentielle berufliche Nachwuchs nicht wahrnimmt.
Autor dieses Beitrages
Nicolas Janberg ist Chefredakteur im Wilhelm Ernst & Sohn Verlag für Structurae, einer Datenbank für Ingenieurbauwerke und andere Informationen rund um den Ingenieurbau, die er 1998 selbst gründete.
Leserkommentare
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Rudolf Brandstötter | 24. November 2013
Sehr geehrter Herr Janberg,
freue mich auf die Übersetzung von “The tower and the bridge” – ein Standardwerk, welches in jedes Ingenieurbüro gehört.
Mit freundlichem Gruß aus Salzburg,
Rudolf Brandstötter