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Was ist Konstruktionskritik?

Podiumsdiskussion

Podiumsdiskussion mit Werner Lorenz, Stefan Polónyi, Gert Kähler und Reinhard Hübsch (v.r.) (Foto: N. Janberg)

Architekturkritik ist selbstverständlicher Bestandteil des öffentlichen Diskurses über die gebaute Umwelt. Der Beitrag der Bauingenieure zur Gestaltung unserer Städte und Landschaften kommt dagegen kaum zur Sprache. „Konstruktionskritik“ wäre die Form, in der die Auseinandersetzung mit diesem Aspekt des Bauens stattfinden könnte. Auf dem Symposium „Konstruktion im Diskurs _ Positionen“, zu dem der Ingenieurbaukunst e.V. und die TU Berlin am 23.01. eingeladen hatten, nahmen u. a. Werner Lorenz, Gert Kähler und Stefan Polónyi eine Standortbestimmung vor.

„Kritik“ hat für Viele einen ausschließlich negativen Klang, stellte Prof. Annette Bögle zu Beginn der Veranstaltung in ihrer kurzen Einleitung fest. Jedoch sei Kritik durchaus positiv, denn sie diene schließlich dem Hinterfragen der eigenen Arbeit. Josef Seiler vom Ingenieurbaukunst e.V. betonte, dass die Forderung nach einer Konstruktionskritik bereits seit den 90er Jahren bestünde, als sie sehr beharrlich von Klaus Stiglat (2012 wieder veröffentlicht in “Bauingenieur? – Bauingenieur!“) vorgebracht wurde. Das Symposium stehe somit klar in dieser Traditionslinie.

Mangel an Diskurs ist relativ neues Phänomen

Werner Lorenz

Werner Lorenz (Foto: N. Janberg)

Der erste Vortragende, Bautechnikhistoriker Prof. Werner Lorenz, zeigte am Beispiel von Jean-Baptiste Rondelet, wie Konstruktionskritik um 1800 aussah. Rondelet hatte in seinem 7-bändigen Werk Traité théoretique et pratique de l’art de bâtir zahlreiche Konstruktionen wie Brücken und Überdachungen dargestellt, analysiert und Verbesserungen vorgeschlagen – also Konstruktionskritik geübt.

Dieses Beispiel zeige, so Lorenz, dass der Mangel an kritischer Auseinandersetzung mit Konstruktion ein relativ neues Phänomen sei. Zurückzuführen sei es zum Teil auf die „Mechanisierung der Baukunst“ ab der Mitte des 19. Jahrhunderts. Mit der starken Orientierung des Bauens am Rechnen – gebaut wurde, was sich rechnen ließ – sei der Raum für einen Diskurs über Konstruktion kleiner geworden.

Außerdem beklagte Lorenz den Verlust der Auseinandersetzung mit der Geschichte. Allerdings würde mit der Zunahme des Bauens im Bestand eine solche Auseinandersetzung (unter den Stichwort “Weiterbauen”) wieder häufiger in der Praxis stattfinden.

Ganz im Sinne Rondelets betonte Lorenz, dass Konstruktionskritik keine ästhetische Kritik sei, sondern vielmehr die Aufgabe habe, die Konstruktion zu optimieren – und nicht die Erscheinung.

Kann Architekturkritik Konstruktionskritik sein?

Prof. Gert Kähler

Gert Kähler (Foto: N. Janberg)

Prof. Gert Kähler ging anschließend das Thema Konstruktionskritik aus Sicht des Architekturkritikers an. Die zentrale Frage seines Vortrages war: Kann Architekturkritik Konstruktionskritik sein? Indem er sich damit auseinandersetzte, ob „Ehrlich. Sauber. Gut.“ – so der Titel des Vortrags – geeignete Prädikate für die Beschreibung von Bauwerken sind, näherte er sich den Unterschieden zwischen Architekturkritik und Konstruktionskritik an.

Kähler zeigte, dass Architektur in seltenen Fällen ehrlich ist. Sehr häufig spielten Verblendungen und Verkleidungen (hier in doppelter Bedeutung) eine Rolle. Architektur müsse aber in diesem Sinne „unehrlich“ sein dürfen, so Kähler, um eine bestimmte architektonische Aussage treffen zu können. Die getroffene Aussage im jeweiligen Kontext des Bauwerkes sei der Maßstab, die Konstruktion dagegen für den Architekturkritiker weniger wichtig. Zugespitzt formulierte Kähler: „Die architektonische Wahrheit ist mit der konstruktiven nicht identisch.“

Keine Angst vor Kritik!

Prof. Stefan Polónyi

Stefan Polónyi (Foto: N. Janberg)

Im Vortrag von Prof. Stefan Polónyi ging es um die Spezifizierung des Begriffs „Konstruktionskritik“. Jene sollte sich auf klare Kriterien stützen, die jedoch wandelbar sein müssten. Zentral sei dabei die Forderung nach Nachvollziehbarkeit des Tragverhaltens.

Außerdem, so Polónyi, sollte die symbolische Aussage des Bauwerks in Betracht gezogen werden. –Hier gäbe es also eine Überschneidung mit der Architekturkritik. – Laut Polónyi liegt der Zweck der Konstruktionskritik in der Verbesserung der Qualität der Konstruktion (vgl. Lorenz) und der Kostenminimierung.

Niemand müsse Angst vor Konstruktionskritik haben, da es grundsätzlich immer eine Aufwertung sei, wenn sich jemand tiefgreifend mit der Arbeit anderer auseinandersetzt. Um die Konstruktionskritik auf breiter Basis zu etablieren, müsse sie jedoch Teil der Lehre werden.

Keine Normen in der Lehre!

Konstruktion im Diskurs

Im Publikum: Holger Svensson, Mike Schlaich, Jörg Schlaich (hintere Reihe v.l.), Volker Schmid, Annette Bögle.

Um die Lehre ging es ebenfalls in der anschließenden Podiumsdiskussion, die von Reinhard Hübsch moderiert wurde. Außerdem wurde die Zusammenarbeit zwischen Architekten und Ingenieuren thematisiert.

Stefan Polónyi betonte, dass diese Zusammenarbeit in der Ausbildung geübt werden müsste, was an der TU Dortmund auch der Fall sei. Josef Seiler ergänzte, dass Ingenieure im Studium lernen müssten, ihre Arbeiten zu präsentieren und zu verteidigen. Das fördere die Reflexion des eigenen Tuns und wirke der “Sprachlosigkeit der Ingenieure” entgegen.

Werner Lorenz forderte vehement: „Verbannt die Normen aus dem Ingenieurstudium!“. Das enge Normenkorsett sei eine der Ursachen für die fehlende kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Arbeit.

Was also ist Konstruktionskritik?

Das Symposium hat gezeigt, dass es noch einige Unklarheiten über den Begriff „Konstruktionskritik“ gibt. Zwei Erkenntnisse lassen sich allerdings festhalten: Konstruktionskritik ist kein Teilgebiet der Architekturkritik; und: Ihr Zweck ist die Verbesserung der Konstruktion. Divergenzen gab es in Bezug auf die Einbeziehung ästhetischer Beurteilungen. Die Bedeutung der Kenntnis der Baugeschichte für eine tiefgreifende Konstruktionskritik war dagegen unstrittig.

Die Etablierung der Konstruktionskritik als fester Bestandteil der Lehre und der Praxis wird sicher noch einige Zeit dauern. Das Symposium „Konstruktion im Diskurs _ Positionen“ war eine wichtige Standortbestimmung, auf deren Grundlage die Debatte weitergeführt werden muss. Der Ingenieurbaukunst e.V. wird sich, wie Josef Seiler ankündigte, weiter intensiv diesem Thema widmen.

Zum Weiterlesen:

Warum auch der Ingenieurbau „konstruktive Kritik“ braucht

Buchtipp: David Billington „Der Turm und die Brücke“

Buchtipp: Klaus Stiglat „Bauingenieur? – Bauingenieur!“

Leserkommentare

  1. Cengiz Dicleli | 11. Februar 2015

    Wenn die Baukunst unteilbar ist (Jörg Schlaich), ist die Trennung Konstruktion und Architektur für mich völlig unverständlich und rückschrittlich. Ebenso befremdend ist, dass Konstruktionskritik unbedingt zur Kostenminimierung führen soll. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Stefan Polónyi Kosten minimieren wollte, als er seine Rohrbrücken in NRW entwarf. Eine Brücke besteht zu einem großen Anteil nur aus Konstruktion. Wenn Konstruktionskritik keine Architekturkritik sein sollte, dann dürfte man die Gestaltung der Brückenkonstruktion gar nicht thematisieren sondern sich nur darüber auslassen, ob man sie hätte billiger bauen können.
    Die Trennung Konstruktion und Architektur liefe auch der Forderung nach der guten Zusammenarbeit Ingenieur – Architekt und der gemeinsamen Ausbildung zuwider. Ich gehe einfach mal davon aus, dass ich das, was ich gerade gelesen habe, falsch verstanden habe.

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Datum 29. Januar 2015
Autor jv
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