Vermischtes
Wenn der Vater mit den Söhnen …
… dann darf man die Mutter nicht vergessen. Diesen Rat nahm sich Maurizius Staerkle-Drux in seinem Film über die Architektendynastie Böhm zu Herzen. Es ist ihm das bewundernswerte Kunststück gelungen, aus dokumentarischem Material einen spannenden Spielfilm zu komponieren, der als ergreifendes Familiendrama die Gemüter berührt.
von Manuel Pestalozzi*
Die Geschichte von Dynastien gehört zu den Grundpfeilern des internationalen Filmschaffens. Damit soll nicht gesagt werden, dass Don Corleone beim Machen von „Die Böhms“ Pate stand. Oder tat er‘s vielleicht doch? Maurizius Staerkle-Drux liefert jedenfalls mit seinem Film den eindrücklichen Beweis, dass Familien den idealen Stoff für Handlungsstränge in animierten Bildern liefern. Die Böhms, das sind in erster Linie Gottfried, Jahrgang 1920, Pritzker-Preisträger von 1986, und seine Söhne Stephan, Peter und Paul. Gemeinsam und doch jeder für sich entwerfen sie Architektur, im selben sachlichen, geräumigen Atelier-/Wohnhaus auf dem Römerberg in Köln. Aber da ist auch die temperamentvolle Mutter, ebenfalls Architektin, die als Mitwirkerin, Kommentatorin, Kritikerin und Erzieherin am kreativen Output beteiligt ist. Nach dem ersten Drittel des Films verstirbt sie, doch ihre Präsenz besteht fort: in der Plastik, die man Gottfried bedächtig und konzentriert modellieren sieht, in den Worten der Söhne – und in der riesigen Trauerweide, die sie in den späten 1940er-Jahren als junge Braut gepflanzt hat. Dominikus Böhm, Vater von Gottfried und ein berühmter Kirchenarchitekt, wacht als Bronzebüste über den Zeichentischen. Als Entwerfer des 1932 fertiggestellten Atelier-/Wohnhauses darf er den Credit des Set Designers für sich beanspruchen. In einer körnigen Super8-Einspielung sieht man, wie er sich gleichzeitig mit anderen männlichen Familienmitgliedern in den kleinen Swimmingpool vor dem Atelierfenster fallen lässt. Zurück in der Gegenwart, lässt es sich der hochbetagte „Boss“, so nennt man Jaguarfahrer Gottfried im Hause, nicht nehmen, dort vor laufender Kamera einen Kopfsprung ins frisch eingelassene Wasser zu wagen. Die neue Saison ist eingeweiht, das Leben geht weiter.
„Die Böhms“ ist kein Architekturfilm, wie ihn Sydney Pollack über Frank O. Gehry oder Christoph Schaub über Santiago Calatrava gedreht hat. Es ist auch keine Werkmonographie, die sich um Vollständigkeit bemüht. Im Zentrum stehen die Familie und die Beziehungen zwischen den einzelnen Mitgliedern. Es handelt sich um komplexe Beziehungen, Vater, Söhne und Mutter sind mitunter auch professionelle Konkurrenten. „Boss“ ist bei den Böhms kein Kosename. Den Handlungshintergrund bildet der Architekturbetrieb mit seinen Härten und Unwägbarkeiten. So erzählt Gottfried in einer Einstellung einem trostbedürftigen Sohn, er habe mal 25 Wettbewerbe hintereinander nicht gewonnen und sich mit der Möglichkeit eines finanziellen Bankrotts auseinandersetzen müssen.
Dem Regisseur ist es gelungen, aus Aufnahmen, Gesprächsfetzen und historischem Filmmaterial einen Handlungsstrang zu komponieren. Er erzählt in ausgewogenem Rhythmus die intime, spannende Geschichte einer Familie und entführt mithilfe der Architektur und sorgfältig eingesetzter Musik die Zuschauerinnen und Zuschauer wiederholt im mystische Sphären, wo Erde und Himmel sich berühren. Dokumentarfilmaccessoires sind aufs Minimum beschränkt; es gibt keine „Namensschilder“, keine zusätzliche Erzählstimme oder eine Persönlichkeit, die Fragen stellt. Die Aussagen der Protagonistinnen und Protagonisten reichen aus, um zusammen mit den Bildern die Handlung voranzutreiben und verständlich zu machen. Das „Casting“ ist so perfekt, man mag bisweilen fast nicht glauben, dass für diese Geschichte kein Charakter erfunden wurde. So gibt es im Hause Böhm auch ein bärtiges Faktotum, ein betagter ehemaliger Mitarbeiter, der den Garten pflegt, dem „Boss“ gelegentlich Gesellschaft leistet und bei Bedarf stets mit Anekdoten zur Stelle ist. Als eine Mischung zwischen Butler und ewigem Jünger respektive Meisterschüler, fungiert er mit seinem Wissen als wohlwollender, distanzierter Beobachter der Ereignisse und als absolut passgenaue Ergänzung der Familienmitglieder. Auch bei den Einstellungen fragt man sich gelegentlich, ob sie nicht eingeübt wurden. Völlig nahtlos fügen sie sich in die Dramaturgie ein. Damit erreicht „die Böhms“ die höchste Stufe der Dokumentarfilmkunst. Die Zuschauer werden bewegte Zeugen des Wirkens einer Familie für die Architektur. Und in der Architektur.
* Manuel Pestalozzi, dipl. Arch. ETHZ und Journalist BR SFJ, betreibt die Einzelfirma Bau-Auslese Manuel Pestalozzi (http://bau-auslese.ch) .