BIM - Building Information Modeling, Mein Ausland
Wie war’s eigentlich in den Niederlanden
Fünf Fragen an Dipl.-Ing. Robert Schedler, Geschäftsführender Gesellschafter VCE Vienna Consulting Engineers ZT GmbH, über seine Tätigkeit in den Niederlanden.
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50 Brücken im Gebiet des Rotterdamer Hafens, einem der am dichtesten industrialisierten und besiedelten Gebiete Europas, wie stemmt man das?
Schedler
Mit einem sehr guten Team, mit starkem Willen, ausgereiften Bestandsunterlagen, einer großen Portion positiver Herangehensweise und klaren Verantwortlichkeiten und Prozessen. Die Autobahn A15 stellt die Verkehrsanbindung für einen Großteil des Warenverkehrs des Hafens mit dem Hinterland dar. Die Erweiterung der A15 unter Verkehrsaufrechterhaltung sowie unter Berücksichtigung all der vorhanden unterirdischen Einbauten wie Kabel und Pipelines ist vergleichbar mit dem Bau in einem „Minenfeld“. Jede mögliche Baufläche, die visuell eine Freifläche vermuten lässt, stellte sich letztlich als bereits benutzte und unterirdisch bebaute Fläche heraus. In vielen Fällen mussten zusätzliche Lastverteilungsbauwerke erstellt werden, bei deren Errichtung das Gewicht des erforderlichen Baugerätes sowie die Vibrationen und Erschütterungen im Arbeitseinsatz wesentliche Kriterien für einen erfolgreichen Bau darstellten. Neben den vielen Brücken, Rampen und Überführungsbauwerken ist die neue und weltgrößte Hubbrücke über die alte Maas mit den anschließenden Vorlandtragwerken das technisch und optisch prägendste Bauwerk des gesamten Abschnittes.
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Das Projekt ist ein PPP-Projekt, wie sieht die niederländische Erfahrung in diesem Bereich aus?
Schedler
In den Niederlanden werden derzeit viele größere Verkehrsinfrastrukturprojekte in Form von Pubilc Private Partnership-Verträgen abgewickelt. Der öffentliche Vertragspartner ist Rijkswaterstaat (RWS), eine ausführende Behörde des niederländischen Ministeriums für Infrastruktur und Umwelt. Im Regelfall beinhalten diese Verträge die Leistungen Design, Build, Finance and Maintenance, weshalb in den Niederlanden von DBFM-Verträgen gesprochen wird. Die öffentliche Verwaltung sieht diese Vertragsform als Vorteil, da innovative Lösungsansätze im Wettbewerb qualifizierter Marktteilnehmer unter Berücksichtigung der Lebenszykluskosten und einer optimalen Verfügbarkeit ermöglicht und gefördert werden. Die Bieterverfahren verlaufen mehrstufig mit Dialogprozessen sowie unter Berücksichtigung qualitativer und ökonomischer Beurteilungskriterien ab.
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Österreich war bei der Einführung der EC-Normen früh dabei. Hat Ihnen das für die Arbeit am Projekt Vorteile verschafft?
Schedler
Die Einführung der EC-Normen erfolgte in Österreich stufenweise bereits ab den frühen 2000er Jahren. Unser Projekt, die Erweiterung der A15, startete 2009 und beinhaltete die Forderung der Umsetzung der in den Niederlanden noch relativ neu eingeführten EC-Standards. Für uns als Planer war es neben den Herausforderungen in der Umsetzung der EC-Normen von Vorteil, dass dieses Projekt mit uns bereits bekannten Planungsphilosophien umgesetzt wurde. Es ermöglichte eine technisch auf gleicher Basis stehende Verständigung – neben der sprachlichen Vereinfachung aufgrund der vorhandenen Grundnormen in allen EU Sprachen. Genaues Studium erforderten die in allen Ländern unterschiedlichen nationalen Anhänge zu den Grundnormen. Der Vorteil unserer Kenntnis im Umgang mit den EC-Normen wurde in manchen Fällen durch die gleichzeitig mit unserem Projekt in den Niederlanden neu eingeführten EC-Normen durch übliche und verständliche „Vergleichsanalysen“ mit den alten niederländischen Regelungen egalisiert.
Wissenswertes zum niederländischen Bau-Arbeitsmarkt im Überblick:
- Steuern: das Finanzamt hat in den Niederlanden den passenden Namen „Belastingsdienst“.
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Obwohl die Projekt-Sprache Englisch ist, haben Sie des Niederländischen mächtige Mitarbeiter eingestellt. Warum?
Schedler
Für uns Österreicher war es schon sehr toll zu sehen, dass bei Besprechungen und Abstimmungen mit Kunden, Behörden und allen anderen Stakeholdern eine Diskussion in Englisch einfach und unkompliziert möglich war. Bei uns in Österreich ist diese Vorgangsweise nicht vorstellbar. Unabhängig von der Projektsprache Englisch sind viele wesentliche Dokumente nur in Niederländisch erhältlich. Zusätzlich war klar, dass wir auch landesspezifische Gepflogenheiten für die Umsetzung des Projektes erlernen müssen. Diese kulturelle und technische Integration in unser Team ist am besten nur in direktem Kontakt mit erfahrenen niederländischen Ingenieuren möglich. Im Zuge des mehrjährigen Projektes haben neben unseren Projektkoordinatoren vor Ort auch viele andere Mitarbeiter in Wien sehr viel Niederländisch gelernt.
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Die Niederlande gelten als ein beim Thema BIM fortgeschrittenes Land. Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen?
Schedler
Bei Diskussionen und Kongressen in den Niederlanden wird klar, dass die Behörde Rijkswaterstaat (RWS) als verantwortliche Stelle für den Bau und Unterhalt der Verkehrsinfrastruktur großes Interesse an BIM-basierten Projekten hat. Da unser Projekt bereits im Jahr 2009 startete, werden die BIM Anforderungen im Vergleich zu heutigen Standards nur in reduzierter Form verlangt. Bei den jetzt am Markt angebotenen, vergleichbaren Projekten benötigt man bereits mit der Angebotsplanung eine BIM Struktur. Diese Kundenanforderungen in Verbindung mit besserer Projektqualität und den heutigen technischen Möglichkeiten sind die wesentlichen Entwicklungstreiber für BIM-Projekte. Der Anspruch mit BIM die heterogenen und zunehmend komplexer werdenden Datenmengen aller beteiligten Disziplinen so miteinander zu verknüpfen, dass eine konsistente und jederzeit abrufbare Datenbank entsteht, ist nachvollziehbar. Unabhängig von unseren eigenen bürointernen Entwicklungsschritten mit BIM werden neben technisch notwendigen Verbesserungen (hier herrscht noch eine große Lücke zwischen der Vorstellung, was BIM theoretisch alles kann, und der heutigen Umsetzung) vor allem auch vertraglich/rechtliche Grundsätze im Umgang mit BIM Strukturen in den nächsten Jahren zu klären sein. BIM ist jedenfalls eine Revolution im Bauwesen, die vieles verändern wird.
Overleg/Beratung – In der niederländischen Berufswelt bzw. Projektwelt ist der „overleg“ eine sehr wichtige Einrichtung, ja geradezu eine Institution. „Overleg“ bedeutet Beratung, die möglichst solange geführt wird, bis eine für alle Beteiligten vertretbare Entscheidung, Einigung, ein Konsens zustande kommt. Diese „overlegs“ werden gerne zur Mittagszeit abgehalten. Dabei wird Lunch gereicht, was die Gemeinschaft fördert und nebenbei die private Geldbörse entlastet. Zu diesem Mittagsaustausch wird eine Variation von Milchprodukten aus Vollmilch, Buttermilch, Käsesandwiches und Milchbrötchen gereicht. Und um wirklich sicher gehen zu können, alle Meinungen möglichst unabhängig von der vorhandenen Positionshierarchie gewürdigt und die Trade off Matrix mit allen Pros und Cons gefüttert zu haben, wird der „overleg“ gerne ausreichend oft wiederholt, bis er an manchen Tagen auch direkt in den Vaternachmittag übergeht, der Vätern einmal die Woche für ihre Kinder zur Verfügung steht.
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