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BIM - Building Information Modeling, Interviews

„Wir müssen uns davon lösen, nur einen hundertprozentig ausgearbeiteten Standard zu akzeptieren“

Über die strategische Partnerschaft zwischen Nemetschek und Trimble sprach momentum mit Dietmar Bernert, Director Strategic Corporate Accounts bei Trimble, und Patrik Heider, Sprecher des Vorstands und CFOO der Nemetschek Group.


momentum:
Strategische Partnerschaften sollten Ähnlichkeiten zur Grundlage haben; wo sehen Sie die bei Ihren, von der Größe her ja recht unterschiedlichen, Unternehmen?

Patrik Heider, Sprecher des Vorstands und CFOO der Nemetschek Group

Patrik Heider, Sprecher des Vorstands und CFOO der Nemetschek Group (Foto: Nemetschek Group)

Heider: Die Grundlage unserer Partnerschaft ist, dass Trimble und Nemetschek prinzipiell ein ähnliches Selbstverständnis haben. Offene Standards und interoperable Lösungen sind für die erfolgreiche Nutzung und Verbreitung von BIM essentiell. Unser Ziel ist es, diese Entwicklung voranzutreiben, und da können wir gemeinsam mehr erreichen.

Ebenso wichtig ist aber, dass sich Trimble und Nemetschek beim Know-how und Produktportfolio ergänzen. Nemetschek ist besonders stark in den Bereichen Architektur und Design vertreten, die über 80 % des Umsatzes unseres Unternehmens ausmachen. Unsere Kunden kommen traditionell eher aus dem Mittelstand. Durch die Partnerschaft gewinnen wir Kompetenzen, die wir bisher nicht im Portfolio haben, und können unsere Kundenklientel erweitern.

Dietmar Bernert, Director Strategic Corporate Accounts bei Trimble

Dietmar Bernert, Director Strategic Corporate Accounts bei Trimble (Foto: Trimble)

Bernert: Bei Trimble ist es genau andersherum: Historisch gesehen kommen wir mit unseren Positionierungslösungen und Maschinensteuerungen von der Baustelle. Wir sind besonders im Ingenieur- und Konstruktionsbereich bei großen Bauunternehmen vertreten und kennen die Bedürfnisse dieser Zielgruppe genau. Durch die Partnerschaft mit Nemetschek wollen wir auch im Mittelstand und bei kleineren Ingenieurbüros stärker Fuß fassen. Darüber hinaus bringt Trimble eine hohe Bekanntheit im amerikanischen Markt mit, während Nemetschek besonders in Zentraleuropa stark positioniert ist. Gemeinsam wollen wir die Bekanntheit beider Unternehmen in diesen Regionen steigern.


Welche Ziele verfolgen Sie konkret am weltweiten Markt jenseits der bloßen Verlautbarung?

Heider: Das Ziel unserer Partnerschaft ist analog zur Zielsetzung von BIM: größtmögliche Transparenz über den gesamten Gebäudelebenszyklus zu schaffen. Der Bauherr soll jederzeit über den Status des Projekts informiert sein und nicht einige Jahre nach Auftragserteilung vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Das akzeptiert der Kunde immer weniger. Trimble und Nemetschek werden gemeinsam in den relevanten BIM-Gremien auftreten, um die Nutzung von BIM stärker voranzubringen.

Bernert: In Deutschland sind Nemetschek und Trimble beide im Bundesverband Bausoftware (BVBS) aktiv, wo wir unsere Bemühungen bündeln. In der Politik ist das Thema mit der Arbeit der Reformkommission Großprojekte im Bundesministerium für Verkehr und Digitale Infrastruktur (BMVI) und der Gründung der „planen-bauen 4.0 GmbH“ durch führende Institutionen der Baubranche ebenfalls angekommen. Auch dort werden wir gemeinsam auftreten, um etwas zu bewegen.

Kurz- bis mittelfristig gesehen werden wir zunächst offen an die Bauindustrie herantreten. Gemeinsam wollen wir identifizieren, was die Unternehmen heute daran hindert, konsequent nach dem BIM-Workflow zu arbeiten und welche Impulse sie sich von der Partnerschaft von Nemetschek und Trimble erhoffen. Basierend darauf werden wir dann die Strategie für unsere Zusammenarbeit verfeinern.


Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Partnerschaft und der Strategie im Umgang mit den einzelnen Marken in Ihren Unternehmen?

Heider: Definitiv, Trimble und Nemetschek sind sich in diesem Bereich sehr ähnlich. Beide Unternehmen haben starke Eigenmarken im Portfolio. Dadurch können wir marktgerechter und kundenorientierter agieren als ein Unternehmen, das stark zentralisiert organisiert ist. Auch in Zukunft wird der Architekt noch eine Architektursoftware suchen und nicht eine Lösung, die viele Professionen anspricht, aber wesentlich komplexer und umfangreicher ist als nötig. Unsere Lösungen sind innovativer und können sich schneller entwickeln als eine große, integrierte Software. Auch deshalb spielen BIM und die Interoperabilität einzelner Lösungen eine so große Rolle für unsere beiden Unternehmen.


Stichwort Interoperabilität – wie sieht sie konkret aus und entstehen aus der Partnerschaft die berühmten Synergien, die erstere befördern?

Heider: Zunächst einmal ist BIM kein Produkt, sondern eine Philosophie, zu deren Umsetzung wir die besten Tools brauchen. BIM ist letztendlich die Interoperabilität zwischen Softwarelösungen, und die möchten wir mit unserer Partnerschaft verbessern.

Bernert: Durch die Partnerschaft und die verbesserte Interoperabilität zwischen unseren Lösungen schaffen wir mehr Flexibiltät für unsere Kunden. Jeder soll das Werkzeug nutzen können, das für seine Disziplin am besten geeignet ist. Ein konkretes Projekt, das wir mit Hochdruck verfolgen, ist die gemeinsame Nutzung der Online-Kollaborationsplattform Trimble Connect. Damit verbessern wir die Interoperabilität zwischen einigen Lösungen von Nemetschek und Trimble. Über die Plattform können Nutzer ihre Modelle aus unterschiedlichen Softwarelösungen austauschen und verwalten. Außerdem bietet sie Funktionen zur Daten- und Aufgabenverwaltung: Probleme oder mögliche Fehlerquellen können gekennzeichnet und direkt einer Person oder einem Team zugewiesen werden. Dies ist besonders hilfreich, wenn an unterschiedlichen Standorten, vielleicht auch über Ländergrenzen und Zeitzonen hinweg, an einem Projekt gearbeitet wird.


BIM, die Standards und der verlustfreie Datenaustausch – können Sie dieses Spannungsfeld im Rahmen Ihrer künftigen Zusammenarbeit ein wenig kommentieren?

Bernert: Das Hauptziel unserer Zusammenarbeit ist, dass alle Disziplinen ihre Arbeitsergebnisse möglichst verlustfrei austauschen können, unabhängig davon, mit welchem BIM-Werkzeug sie arbeiten. Unsere Kunden in der Bauindustrie wollen ihre Prozesse besser strukturieren und verschlanken und benötigen dafür Software-Werkzeuge, die miteinander kommunizieren können.

Ein gewisser Mindeststandard ist dafür erforderlich, und der wird auch sicher gesetzlich festgelegt werden. Er darf aber die Unternehmen nicht einschränken. Wir müssen uns auch davon lösen, nur einen hundertprozentig ausgearbeiteten Standard zu akzeptieren. Der Markt braucht jetzt Prozesse und Werkzeuge, die den nahtlosen Datenaustausch ermöglichen, und der Standard wird mit der technologischen Entwicklung wachsen.

Heider: Die Offenheit im Sinne von Open BIM ist dafür äußerst wichtig, besonders wenn wir das 3D-Gebäudemodell um die vierte und fünfte Dimension, nämlich Zeit und Kosten, ergänzen. Dafür brauchen wir einen Standard, wie ihn beispielsweise Großbritannien oder die skandinavischen Länder bereits haben. In welche Richtung sich Deutschland dabei orientiert, werden wir sehen. Wir haben bereits Erfahrungen mit verschiedenen Standards gesammelt und können sie flexibel bedienen.


Die Erweiterung von BIM auf den gesamten Lebenszyklus von Gebäuden ist ein Ziel Ihrer Kooperation. Welche konkreten Perspektiven eröffnet das für PPP hierzulande?

Bernert: Mit der Möglichkeit, den gesamten Gebäudelebenszyklus abzubilden, eröffnen wir neue Perspektiven für PPPs. Die gesamten Gebäudeinformationen sind jederzeit, über offene Schnittstellen, für jeden Projektbeteiligten verfügbar und Kosten- und Zeitplanung werden transparent. Nemetschek und Trimble haben beispielsweise beide Lösungen für das Facility Management in den BIM-Workflow integriert, um Daten für Betrieb und Bewirtschaftung des Gebäudes zugänglich zu machen. Dadurch vereinfacht sich die Zusammenarbeit der öffentlichen und privaten Partner erheblich. Auch die Nutzung dieses Gebäudemodells für den Rückbau in 50 oder 70 Jahren rückt schon in greifbare Nähe. Dieses Thema wird für uns immer wichtiger.


In Ihrer Partnerschaft treffen auch amerikanische und europäische Unternehmenskultur aufeinander – was lässt sich da, und zu welchem Zweck, voneinander lernen?

Heider: Bei Nemetschek freuen wir uns über den amerikanischen Einfluss. In Deutschland und Europa arbeiten wir oft sehr produktbezogen und tendieren zum „over-engineering“, während die USA eher eine Marketingperspektive einnehmen und die Kundenbedürfnisse stärker in den Mittelpunkt rücken. Hier wollen wir für beide Unternehmen den goldenen Mittelweg finden.

Bernert: Die Gestaltung der Unternehmenskultur ist ein weiterer Bereich, in dem wir voneinander lernen können. Als amerikanisches Unternehmen neigt man oft dazu, alles aus der US-Zentrale zu lenken. Doch oft ist eine regionale Perspektive erfolgreicher. Das haben wir bei Trimble erkannt und sind gerade dabei, unsere Ressourcen in Europa und insbesondere in Deutschland auszubauen.


Herr Bernert, Herr Heider, haben Sie vielen Dank für dieses Interview

 

 

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Datum 15. Oktober 2015
Autor Burkhard Talebitari
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